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Ein "Tierbuch" aus Brasilien

Zacharias Wagner d.J., Thier Buch, Brasilien, 1634-41, Feder und braune Tinte, Pinsel mit Aquarell und Deckfarben, teilweise Graphit, brauner Ledereinband mit Goldprägung, Kupferstich-Kabinett, SKD, Inv. Ca 226

© Kupferstich-Kabinett, SKD, Foto: Herbert Boswank

Das Dresdner Kupferstich-Kabinett bewahrt mit dem so genannten Thier Buch ein wichtiges Zeugnis aus der Kolonialzeit. Der gebürtige Dresdner Zacharias Wagner (Dresden 1614–1668 Amsterdam) heuerte als Soldat bei der niederländischen Handelsgesellschaft Westindien-Kompanie (WIC) an und wurde später Küchenschreiber. Das WIC strebte die Kontrolle über das von den Portugiesen besetzte Ostbrasilien an und half um die Mitte des 17. Jahrhunderts, die niederländische Kolonie Neu-Holland oder Niederländisch-Brasilien zu errichten. Die Niederländer*innen übernahmen dabei auch die portugiesischen Zuckerrohrplantagen, die vor allem mit unfreier Arbeit von versklavten Menschen aus Afrika bewirtschaftet wurden.

Das Thier Buch, welches Zacharias Wagner vermutlich für sich privat anfertigte, stellt auf 130 Blättern nacheinander Fische, Wasserpflanzen, Meerestiere, Vögel, Früchte, Säugetiere, Insekten und Reptilien sowie schließlich nicht-weiße Menschen und deren Umgebung vor. Vielen Zeichnungen sind Beschreibungen beigegeben, die zusätzliche Beobachtungen und persönliche Einschätzungen festhalten. Das Thier Buch stellt damit einen bis dahin in Europa weitgehend unbekannten Lebensraum mitsamt den in ihm damals beheimateten Spezies vor. Es folgt einer protowissenschaftlichen Ordnungsmethode, die im 17. Jahrhundert verbreitet war, die aber Zacharias Wagner keinesfalls erlernt hatte. Es spiegelt sich Verwunderung und Neugier gegenüber den Eindrücken in Brasilien in den Texten und Bildern wider.

Dabei beschreibt Wagner Menschen wie Tiere weitestgehend sachlich, teilweise auch empathisch und herabwürdigend. Nicht-weiße Menschen werden als Arten beschrieben und nicht als Individuen. Die Darstellung eines Sklavenmarktes und die Beschreibungen der Arbeits- und Lebensbedingungen, die Versklavte erdulden mussten, verbreiten rassistische Vorstellungen bis in die Gegenwart. Sie können noch immer die Nachfahren derer, denen die Lebensgrundlage oder das Leben selbst genommen wurde, sowie alle, die sich ihnen verbunden fühlen, persönlich verletzen und verunsichern.

Das kulturgeschichtlich bedeutsame Thier Buch öffnet im Rahmen der Ausstellung den Blick auf die politische und gesellschaftspolitische Dimension des Reisens in Zeiten des Kolonialismus. Es fordert uns auf, darüber nachzudenken, wie wir dem von uns als „fremd“ Empfundenen begegnen, und wirft die Frage auf, wann Reisen zu einem unangemessenen Eindringen wird. Welche Verantwortung tragen die Reisenden damals wie heute? Wer hat überhaupt die Möglichkeiten zu reisen? Was bedeuten uns die im Zusammenhang mit diesen Reisen mitgebrachten oder entstandenen Objekte? Wie wollen wir sie heute präsentieren und wie können wir über sie sprechen?

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