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#297

Manifestation

Mehretu, Julie (1970-) | Künstler

02:15

Auf den ersten Blick und mit größerem Abstand gesehen scheint klar: Das ist ein abstraktes Bild. Je näher wir dem Werk von Julie Mehretu kommen und je länger wir es betrachten, umso mehr Ebenen und Details zeigen sich. Unter allem – als Basis sozusagen – liegt ein feines Liniennetz, das sich hier zu einem Architekturfragment fügt – einer Hochhaus-Silhouette, einem Brückenfragment – dort zu Straßen und Plätzen, Gebäudegrundrissen, urbaner Landschaft aus der Vogelperspektive – alles nur angedeutet und in seiner Zartheit auch nur aus der Nähe sichtbar.

Über diesem Netz wirbelt eine ungestüme dunkle Malerei – oder ist es eher eine Pinselzeichnung mit Tusche? Alles scheint in Bewegung. Als blase ein kräftiger Wind die Gebilde über die Leinwand wie Wolken über den Himmel. An manchen Stellen verdichten sich wilde Formen zu vogelartigen Wesen und pflanzenähnlichen Erscheinungen. Gestrichelte Flächen breiten sich zu Flügeln und Hügelketten aus. Punkte formen riesige Vogelschwärme oder zarte Schleier, die sich jederzeit auflösen können. Und als wäre das noch nicht genug, setzte Julie Mehretu grafische Akzente auf die Fläche: farbige Linien, Punkte, Sterne, geometrische, am Computer generierte Muster. Malerei trifft auf Zeichnung, Chaos auf Exaktheit, intuitive Geste auf präzise Feinarbeit, Abstraktion auf Gegenständlichkeit, Farbe auf Schwarz-Weiß. Vielleicht auch Realität auf Fiktion.

Julie Mehretu, die in Addis Abeba geborene und in New York lebende Künstlerin, macht einige Dinge sichtbar – darauf deutet auch der Titel „Manifestation“ hin, der ja genau das bedeutet: etwas greifbar, deutlich machen. Aber sie erklärt sie nicht, lässt Raum für persönliche Deutungen und Erzählungen. Und vieles bleibt rätselhaft.

Material & Technik
Tusche und Acryl auf Leinwand
Museum
Schenkung Sammlung Hoffmann
Datierung
2003
Inventarnummer
SHO/00969
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