2005, kurz vor dem Abriss, wird im Palast der Republik in Berlin noch eine Ausstellung organisiert. Birgit Dieker ist eingeladen, ein Werk zum Thema Tod zu zeigen. Sie schaut sich die Räume an und hat sofort das Gefühl, in einem ausgeschlachteten Tanker zu stehen. Aus diesem Gefühl heraus entwickelt sie die monumentale Skulptur aus alten Rettungsringen und Tauwerk: „Seelenfänger“. Erinnerung an Treibgut, verfangen in alten Netzen, an den Strand geschwemmt. Aber auch an Bilder geflüchteter Menschen, die im Meer treiben und sich verzweifelt an einen Rettungsring klammern.
Die Arbeit entstand aber schon Jahre bevor sich Tausende Menschen auf die gefährliche Route über das Mittelmeer wagten. Birgit Dieker:
„Das ist ja wie so‘n Vorbote, im Grunde genommen, dieses Knäuel. Wenn man sich vorstellt, als ich dann auch die Bilder gesehen habe von den Flüchtlingen in den Rettungsbooten, in diesen, wie soll man sagen kleinen Schlauchbooten oder was auch immer. Voller Menschen, teilweise auch von Menschen, die diese Signalfarben anhatten… das ist genau die gleiche Farbwelt. Dieser Knoten verweist schon darauf, dass so etwas furchtbares passiert…“
Eigentlich sollen Rettungsringe ja Leben retten. Aber Dieker hat sie verknotet, verstrickt, festgezurrt, unbrauchbar gemacht:
„Also der Knoten assoziiert so viel Unterschiedliches. Im Aberglauben ist es zum Beispiel so, dass böse Mächte in einen Knoten gebunden werden können. Aber Andererseits verheißt der Knoten meistens nichts Gutes. Man hat sich verknotet, sitzt fest, man findet keinen Ausweg mehr. Es kann auch der psychische Knoten sein, Angstzustände, oder so irgendwas sitzt total fest. Aber natürlich auch physisch-körperlich als Krebsknoten zum Beispiel, wenn man irgendwelche Knötchen hat, die auch nichts Gutes verheißen…. Auf jeden Fall ist der Knoten eigentlich was Festes. Und wenn es dann auch noch so ein Knoten ist, dann findet man überhaupt keinen Ausweg mehr. Dann hat das was zu tun mit Chaos, mit etwas, das unübersichtlich ist. Wie kriege ich das wieder auf, wie komme ich raus, gibt‘s es eine Lösung?“
Diesem Unheimlichen und Bedrohlichen hat Birgit Dieker eine Form gegeben. Wie ein riesiger Krake mit langen Tentakeln kann der „Seelenfänger“ aus der Meer auftauchen und einen hinunterziehen. Die Angst des Menschen vor den Tiefen des Wassers, sagt sie, ist uralt und groß.
Weitere Medien
Birgit Dieker arbeitet oft mit gebrauchtem Dingen, die ihre eigenen Geschichten mitbringen. Auch die Rettungsringe und Taue haben viel erlebt, so abgenutzt, brüchig und fleckig wie sie sind. An das Material zu kommen, war extrem aufwändig:
„Ich musste sehr viel suchen. Ich lebe ja in Berlin und nicht an der Küste. Das machte die ganze Sache schon schwieriger. Aber später kam ein großer Glücksfall dazu… das ist dann wirklich lustig…“
Birgit Dieker recherchierte zunächst bei Reedereien und Schifffahrtsgesellschaften. Sie wollte unbedingt viele unterschiedliche Ringe haben. Einige Stücke bekam sie von einem Lagerplatz für ausrangiertes Material und schließlich lernte sie ganz zufällig einen Filmausstatter kennen, der für eine Produktion die ganze Atlantikküste bis nach Portugal abgeklappert hatte und nun sein Lager ausräumen musste.
„Ich kam in dieses Lager rein und sehe diese alten Kisten. Richtig alte Kisten. Dann haben wir die aufgemacht. Da waren die alten Seile drin, überall war Tauwerk und es roch nach Hafenbecken ganz hinten links. Und das war wirklich ein Wunder…“
Dieker mietete einen Arbeitsplatz, denn durch die Türe ihres Ateliers hätte der „Seelenfänger“ nicht gepasst. Außerdem brauchte sie Geräte zum Heben. Mit einem Assistenten baute sie schließlich die Skulptur:
„Und das war wirklich harte Arbeit, das war körperlich richtig anstrengend, diese schweren Taue und Seile zu knoten und festzumachen und zu zerren und durchzufädeln und so. Und das war im Sommer und das Tauwerk war furchtbar staubig und oll und wir waren völlig eingesaut und wir haben natürlich auch geschwitzt wie die Berserker, weil das so anstrengend war. Also das war ‚ne mördermäßige Arbeit“.
- Material & Technik
- Rettungsringe, Schiffstaue
- Museum
- Skulpturensammlung
- Datierung
- 2005
- Inventarnummer
- ZV 4306