In diesem vielstimmigen Werk versuchte Ernst Rietschel, Musik „sichtbar“ zu machen. Wir sehen, wie Musik gespielt wird und beinahe scheint es, wir könnten sie in den Gesichtszügen und in der Versunkenheit der Figuren auch hören.
Aber werfen wir zunächst einen Blick auf die Geschichte. 1839 erhielt Rietschel den Auftrag, für den Neubau des Ersten Dresdner Hoftheaters die beiden Giebelfelder in Sandstein zu gestalten. Passend zum Ort widmete er sie der „Dramatischen Dichtkunst“ und der „Musik“. 30 Jahre später, am 21. September 1869, brannte das von Gottfried Semper entworfene Theater bis auf die Mauern ab. Der nördliche Giebel zur „Tragödie“ wurde gerettet und befindet sich heute in Bautzen. „Die Musik“ aber wurde zerstört. Überlebt hat nur das Gipsmodell vor Ihnen, das etwa ein Drittel der Größe des Originals hat.
Die symmetrisch angeordneten Figurengruppen können einzeln betrachtet werden – gemeinsam erzählen sie die Geschichte vom Einfluss der Musik auf Menschen verschiedenen Alters. Im Mittelpunkt steht die Lyra spielende Frau, die von einem mächtigen Vogel in den Himmel getragen wird: es ist die Musik selbst, die auf einem Adler, dem Symbol für die höheren Mächte, reitet. Der Jüngling unter dem rechten Flügel, der die Posaune bläst, verkörpert das Heldenepos. Der Greis neben ihm lauscht ein wenig melancholisch – seine Taten sind Vergangenheit – während sich der Mann mittleren Alters bereit macht, mutig dem Ruf der Posaune zu folgen. Auch die beiden jungen Männer hören den Klang, und in ihnen erwacht eine Ahnung dessen, was das Leben für sie bereithalten könnte. Nur der Junge, der dem Schwan ein Schälchen Wasser reicht, bleibt noch unberührt.
Unter dem linken Adlerflügel kniet die Muse der Flötenmusik und des lyrischen Gesangs. In sich gekehrt lauscht ihr das Mädchen mit dem Blütenkranz im Schoß. Auch die junge Frau mit dem Zeigefinger am Mund will in Ruhe zuhören. Und so lässt auch ihr Liebster, der vielleicht gerade noch zum Tanz aufgespielt hat, sein Tambourin schweigen. Der Vater neben ihm ist zum Feiern aufgelegt. Eine Hand hält einen Weinbecher hoch, die andere umfasst zärtlich seine Frau. Die Lieblingsfigur vieler Besucher ist die Eule, die der Junge verscheucht. Vielleicht verkörpert sie hier Dunkelheit und Tod – als Gegenpol zum Schwan. Vielleicht sind die beiden Vögel auch Sinnbilder für Tag und Nacht.
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1834 wurde der Hamburger Gottfried Semper, gerade 30 Jahre alt, als Professor für Architektur an die Dresdner Akademie berufen. Schon bald entwickelte er Pläne für ein Theater, glaubte aber zunächst noch nicht an deren Verwirklichung. 1835 legte er einen Generalplan zur Erweiterung des Zwingers vor, in dem der Neubau eine wesentliche Rolle spielte. Kuratorin Astrid Nielsen:
„Diese Pläne konkretisierten sich ab 1839 und er entwarf das, was zu der Zeit tatsächlich als unglaublich moderner Theaterbau zu gelten hatte. Bekannt und bedeutend auch und wichtig für Dresden war die Zusammenarbeit von Gottfried Semper als Architekten und verschiedenen Bildhauern, darunter Ernst Julius Hähnel und vor allem Ernst Rietschel. Ernst Rietschel … gewann die Konkurrenz sozusagen gegen seinen Rivalen Hähnel und wurde beauftragt, für diesen Theaterbau zwei Giebel auf der Nord- und der Südseite umzusetzen“.
Sempers Hoftheater bildete den Auftakt für einen architektonischen Neubeginn in Dresden im Stil der Neorenaissance. Der monumentale Bau erwies sich als ebenbürtiger Partner von Zwinger, Hofkirche und Residenzschloss. 1847 begannen die Bauarbeiten für die Gemäldegalerie im Zwinger nach Sempers Plänen. Vor der Fertigstellung aber musste der Architekt fliehen. Er hatte den Maiaufstand unterstützt, bei dem der König gestürzt und eine sächsische Republik ausgerufen werden sollte.
Im Rückblick beschrieb Gottfried Semper die 15 Jahre in Dresden als die glücklichsten seines Lebens. Die Umgebung empfand er als „göttlich“ und die sächsische Hauptstadt selbst mit ihren 64.000 Einwohnern bot ein buntes Kulturleben. Sein berühmtestes Werk ist wohl die „Semperoper“, die später nach seinen Entwürfen von seinem Sohn Manfred erbaut wurde.
- Material & Technik
- Gips
- Museum
- Skulpturensammlung
- Datierung
- 1839
- Inventarnummer
- ASN 5223