Der Kopf: seitwärts nach unten geneigt. Die Augen: geschlossen. Der rechte Arm angewinkelt, die rechte Hand vor der Brust – eine beinahe demütige Geste. Weltvergessen, ganz bei sich.
Wilhelm Lehmbruck schuf die "Kniende" 1911 in Paris. Dort hatte er sich intensiv mit den Werken Auguste Rodins und Aristide Maillols auseinandergesetzt und schließlich seine eigene Formensprache entwickelt. Die Kuratorin Astrid Nielsen über die "Kniende":
"Wenn sie sich erheben würde, wäre sie 2 Meter 22 groß, so ungefähr, und er hat sie dann eben auch ausgestellt, präsentiert, sie war ebenso umstritten, weil natürlich auch diese Überlängung der Gliedmaßen sehr infrage gestellt worden sind, weil sich das von den natürlichen Körperformen entfernt hat."
Lehmbruck ging es aber nicht um ein Abbild der natürlichen Körperformen:
"was eben auch hier neu ist, was in der Idee bei Rodin schon angelegt ist, ist die sogenannte Ausdrucksplastik. Das heißt, diese Figuren stehen tatsächlich nur noch für sich und das, was sie aussagen wollen."
Die Kniende ist nicht aus Stein gemeißelt, sie ist aus Stein gegossen, eine Technik, die in Frankreich damals beliebt war. Beim Steinguss wird pulverisierter Stein mit Zement und Wasser vermischt und in eine Negativform gegossen. Nach dem Aushärten wird der Guss aus der Form gelöst und nachbearbeitet. Auf diese Weise kann eine Skulptur mehrmals hergestellt werden. Die Kniende, die Sie hier sehen, entstand 1920, als Lehmbruck bereits verstorben war. Sie ist der einzige Steinguss der Knienden, den es hier in Europa noch gibt.
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Am 19. Juli 1937 eröffneten die Nationalsozialisten in München die Ausstellung "Entartete Kunst". Dort präsentierten sie in diffamierender Weise 650 Kunstwerke der Moderne, die sie zuvor in deutschen Museen beschlagnahmt hatten. Kurz darauf folgte eine weitere, weitaus umfangreichere Beschlagnahmungs-Welle, der auch Lehmbrucks "Kniende" zum Opfer fiel. Astrid Nielsen über das Geschehen in Dresden:
„Tatsächlich wurden dann im September 1937 auch in Dresden verschiedene Skulpturen als sogenannte "entartete Kunst" beschlagnahmt. Das war nicht so umfangreich wie in anderen Museen, die Gründe dafür sind sehr vielfältig. Es mag daran gelegen haben, dass der damalige Direktor möglicherweise Kunstwerke versteckte, dass den Kommissionen der Zugriff auf Inventare verweigert wurde, und so wurden tatsächlich in Dresden nur elf Skulpturen beschlagnahmt. Dazu gehörten Werke von Ernst Barlach beispielsweise, Bernhard Hoetger und auch drei Skulpturen von Wilhelm Lehmbruck.“
Die stark überlängte, expressionistische Figur der Knienden widersprach dem Kunstverständnis der Nazis zutiefst:
„Die Nationalsozialisten hatten ein besonderes Verständnis von Kunst, es sollte der – natürlich – nordische Mensch propagiert werden, ein bestimmtes Körperbild, das Ideal eines Menschen, was aber nicht heißt, dass sie nicht wussten, dass es sich um wertvolle Dinge handelte.“
Die Nationalsozialisten planten, durch den Verkauf der beschlagnahmten Werke Devisen zu erwirtschaften. Lehmbrucks Kniende wurde daher zunächst nach Berlin transportiert, in ein Depot im Schloss Schönhausen. Im Anschluss wurde der Steinguss über den Schweizer Kunsthandel in die Vereinigten Staaten verkauft.
„Dort gelangte dieses Werk in verschiedene amerikanische Privatsammlungen, und gelangte 1993 wieder auf den Kunstmarkt, so dass es gelang, dieses Werk nach über 60 Jahren wieder für die Skulpturensammlung der Staatlichen Kunstsammlungen zurückzuerwerben.“
- Material & Technik
- Steinguss (englischer Zement)
- Museum
- Skulpturensammlung
- Datierung
- Modell 1911, Guss nach der originalen Form 1920
- Inventarnummer
- ZV 2840