„Ein kleines modernes Raubtier“.
So urteilt im Jahr 1900 Georg Treu, der Leiter der Skulpturensammlung im Albertinum, über Max Klingers Skulptur "Die neue Salome". Sie sehen hier das von Klinger eigenhändig bemalte Gipsmodell. Treu beschreibt das Kunstwerk so:
„Wie gut passen ihre gefährlichen dunklen Augen, das eigenwillige Näschen, die kalten schmalen Lippen zu der Bewegung der Arme, die sich in naiv-grausamer Selbstgefälligkeit über den verzerrten Köpfen ihrer sterbenden Opfer kreuzen.“
In der Bibel erbittet Salome von König Herodes als Lohn für ihren verführerischen Tanz das Haupt von Johannes dem Täufer. Klinger deutet die Figur neu: Er macht aus ihr eine selbstbewusste, moderne Femme Fatale, die die Männer ins Verderben stürzt. Ein Frauenbild, das um 1900 populär ist, weil es den Zeitgeist trifft: Viele Männer fühlen sich damals von den zunehmend sich emanzipierenden Frauen bedroht. Vielleicht sogar auch Georg Treu?
Modern ist auch, dass Klinger seine Salome farbig bemalt. Ende des 19. Jahrhunderts gilt oft noch die Regel: "Skulpturen müssen weiß sein" – am besten aus strahlendem Marmor, wie die Statuen der Antike. Aber Klinger ist auf dem Laufenden. Er weiß, dass man auch an antiken Skulpturen Farbspuren entdeckt hat, und greift zum Pinsel: Die "neue Salome" gilt als Schlüsselwerk der farbigen Skulptur im ausgehenden 19. Jahrhundert. Und Klinger geht noch weiter, er wagt das Unerhörte – den Materialmix. Haben Sie entdeckt, dass seine Salome wunderschöne Augen aus Bernstein hat?
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„Dresden galt zu Ende des 19. Jahrhunderts als ziemlich verschlafenes Zentrum der Kunst; es regierten lange Zeit die Geschmäcker der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Nazarener, Romantik, und erst nach und nach gelang es, den jungen Kräften, vor allem in Dresden das Neue mit auch hier reinzubringen.“
Das Neue, von dem der Kurator Andreas Dehmer spricht, war vielgestaltig. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte eine junge Künstlergeneration höchst innovative Stilrichtungen: Impressionismus, Symbolismus, Jugendstil. Die neue Kunst war umstritten, fand aber auch im konservativen Dresden Anhänger. Einer der Direktoren der Dresdner Sammlungen erinnert sich:
„Es wetterleuchtete hier und da, und einige Hechte im Karpfenteich, zu denen namentlich auch die Direktoren der Kunstsammlungen gehörten, brachten eine wohltuende Beunruhigung in den bis dahin von keinem Windhauch gestreiften Wasserspiegel. Es tauchten Namen auf, von denen man vorher nicht gehört hatte: Böcklin, Uhde, Liebermann, Thoma, Klinger.“
Die Direktoren konnten allerdings nicht eigenmächtig über Ankäufe entscheiden:
„In der Ankaufskommission saß immer ein königlicher Spross, und der König selbst hatte auch durchaus seine Vorstellungen, was die Kunst betraf – nicht ganz so dezidiert wie Wilhelm der Zweite, der ja alles, was impressionistisch war, als Rinnsteinkunst bezeichnete. Da waren die Sachsen nicht ganz so erbittert. Allerdings fiel es wirklich auch schwer, neue Kräfte zuzulassen, also Max Klinger oder vor allen Dingen auch Arnold Böcklin. Da ging's teilweise mit in den Landtag hinein, da erfolgten bittere Debatten, was ist gute Kunst, was ist schlechte Kunst.“
Die Gipsfigur der „neuen Salome“ ist, wie gesagt, ein Modell. Nach ihrem Vorbild schuf Max Klinger später eine Marmorversion, die sich heute in Leipzig befindet, im Museum der Bildenden Künste. Die Restauratorin Stefanie Exner weist jedoch darauf hin, dass der Künstler auch das Gipsmodell als eigenes Kunstwerk ansah:
„Für den Künstler selbst ist das ein ganz eigenständiges Werk mit einer, wie er es nennt, „ziemlich komplizierten Bemalung“. Für diese Fassung, wie man auch sagen kann, experimentierte Klinger mit mehrlagig aufgetragenen, verschiedenfarbigen Schichten. Zum Beispiel liegt unter dem Grün des Gewands der Salome eine sichtbare krapprote Farbschicht. Oder unter der braunen Haarfarbe leuchten am Ansatz blaue Partien hervor.“
Klinger scheint die Farben selbst hergestellt zu haben. Er mischte die Pigmente mit unterschiedlichen Bindemitteln wie Öl, Wachs und Leim. Das aber sorgte bereits kurz nach der Herstellung für Probleme: Bestimmte Farbschichten hafteten schlecht aufeinander und es kam schon frühzeitig zu Verlusten. Als man 1994 daran ging, die Gipsfigur zu restaurieren, zeigte sich, dass 80 Prozent der Bemalung des Gesichts verloren war; bei den Gewandpartien fehlten etwa 30 Prozent. Die Farbschichten sollten möglichst originalgetreu ergänzt werden.
„Doch wie kann das gehen, wenn es keine exakten Angaben oder Fotos gibt. Als Vorlage für die Retuschen dienten zumindest die besser erhaltenen Hände. Verbliebene Reste der Augenschattierung, der Brauen oder des Lippenrots sollten sichtbar bleiben. Sie erhielten nur eine sparsame Verstärkung. Das Ergebnis, wie man es heute sieht, ist ein geschlossen farbiges Bild, ja, aber es trügt.“
Wie Klinger das Gesicht der Salome tatsächlich bemalt hat, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.
- Material & Technik
- Gips, bemalt
- Museum
- Skulpturensammlung
- Datierung
- 1887/88
- Inventarnummer
- ZV 1269