Frisch verheiratet ist die junge Gräfin Thekla von Ludolf aus dem Baltikum mit ihrem Mann an den Golf von Neapel gereist. Um die Erinnerungen an das Gesehene festzuhalten – das blaue Meer, den rauchenden Vesuv, die pittoresken Küstenorte – zeichnet sie. Schließlich gibt es damals noch keine Fotos.
Und so zeigt das Gemälde die junge Gräfin mit Zeichenstift und Mappe. Der Maler Carl Christian Vogel von Vogelstein erweckt den Eindruck, als habe er sie überrascht, was durch die Wendung ihres Kopfes angedeutet wird. Als wolle er zeigen, dass sie soeben noch die Aussicht aus dem Fenster skizziert hat. Viel Aufmerksamkeit schenkte Vogel von Vogelstein der Darstellung des standesgemäß luxuriösen Lebens. Von Geld und Geschmack zeugen der prächtig verzierte Empire-Sessel, das samtene, an den Ärmeln geschlitzte und von einer Brosche zusammengehaltene Kleid, die spitzen Schuhe und die elegante Frisur.
Der Maler, geboren als Carl Christian Vogel, spielte im Dresdner Kunstleben des frühen 19. Jahrhunderts eine herausragende Rolle. Vor allem als Porträtist machte er sich einen Namen. 1824 wurde er zum Hofmaler ernannt und sieben Jahre später in den Adelsstand erhoben.
Das Porträt wird zunächst im Besitz des jungen Paares gewesen sein. Bis 1938 gehörte es den drei jüdischen Schwestern Jenny, Malvine und Bertha Rosauer in Wien. Vom nationalsozialistischen Staat wurden sie ihres gesamten Eigentums beraubt und ermordet. Wenig später kaufte es das Dresdner Museum bei einem Münchner Kunsthändler. Als diese Geschichte des Bildes bekannt wurde, gab das Albertinum das Porträt 2011 an die Familie zurück, bemühte sich aber um einen Ankauf. So gelangte das Gemälde, diesmal rechtmäßig, wieder ins Museum.
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Lange Zeit wusste man nicht, wer die „Junge Dame mit Zeichengerät“ eigentlich war. Und das war kein Ausnahmefall:
„Es ist eben in der Kunstgeschichte oft so, dass im Gegenzug zu männlichen Bildnissen man sich bei weiblichen Bildnissen, gerade älteren Bildnissen, weniger dafür interessiert, WER dargestellt ist, als für die, in Anführungszeichen, „Schönheit“ der Dargestellten.“
Kurator Holger Birkholz fand heraus, dass wir hier die Gräfin Thekla Ludolf, geborene Weyssenhoff, vor uns haben:
„Hier in dem Fall war es tatsächlich 'ne lange Recherche und dann am Ende 'n Glücksfund, dass ich in Washington in einer Sammlung auf ein Freundschaftsalbum gestoßen bin, in dem eine Kopie dieses Gemäldes als Aquarell enthalten ist. Und bei diesem Aquarell stand unten der Name der Dargestellten.“
Der Maler hat die Gräfin mit ihren Zeichenutensilien dargestellt, als „Dilettantin“, wie man im 19. Jahrhundert sagte – heute würde man sie eine Amateurin nennen. Zur Ausbildung junger adliger Frauen gehörte damals der Unterricht im Zeichnen. Waren die Frauen dann auf Reisen, konnten sie mit dem Zeichenstift Ansichten von unterwegs festhalten. Außerdem war es üblich, die damals beliebten Stammbücher mit Zeichnungen zu schmücken:
„Das waren Bücher, in denen man quasi Freundschaft bekundete, man trug sich dort ein mit Gedichten, und da gab's aber auch immer die Möglichkeit, oder wurde auch immer erwartet, dass dort kleinere Zeichnungen, Aquarelle mit eingebracht wurden. Also eines eben dieser Stammbücher war dann ja auch der Schlüssel zur Bestimmung des Namens der Dargestellten.“
Es gab zur Zeit der Romantik nicht wenige Frauen, die die Malerei als Beruf ausübten; dennoch finden sich unter den 600 romantischen Gemälden der Dresdner Sammlung nur drei Werke von Künstlerinnen:
„Und zwar von Therese Richter, zwei Stillleben, und ein Gemälde ist ein Kinderporträt von Emilie Lachaud de Loqueyssie. Das ist ein ziemlich heftiges Missverhältnis, auch wenn man bedenkt, dass bei den Ausstellungen der Akademie hier in Dresden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Anteil der ausstellenden Künstler:innen im Bereich der Frauen bei 20 Prozent lag.“
Ein Grund für dieses Missverhältnis liegt an den damals gültigen Kriterien der Kunstgeschichte. Kurator Holger Birkholz:
„In der Kunstgeschichte spielt die Hierarchie der Gattungen eine wichtige Rolle, an erster Stelle steht die Historie, und an niederster Stelle steht im Grunde genommen das Stillleben oder einfache Porträts. Und wenn man die Akademiekataloge anschaut und sich eben anschaut, welche Themen haben Frauen realisiert in ihren Kunstwerken, dann sind es eben oft die Themen gewesen, die innerhalb der Gattungshierarchie weiter unten standen.“
Hinter dem Gemälde der jungen Dame mit Zeichengerät verbirgt sich eine tragische Geschichte. Claudia Müller, Provenienzforscherin am Albertinum, konnte sie zusammen mit ihren Kolleginnen aufdecken:
„Also ein Fall, der mir auch immer ganz wichtig ist, das ist die Dame mit Zeichengerät von Vogel von Vogelstein, wo wir eben auch sehr genau das nachverfolgen konnten. Dieses Gemälde ist 1940 angekauft worden für die Galerie, damals noch unter Hans Posse –“
Posse, der damalige Direktor der Gemäldegalerie, erwarb das Gemälde 1940 von einem Münchner Kunsthändler. Dessen Archiv enthielt weitere Informationen: Er hatte es zuvor bei einer Kunsthändlerin in Wien erworben:
„Die wiederum hatte bei solchen Wohnungsauflösungen jüdischer Familien mitgewirkt oder hatte eben diese Kunstgegenstände übernommen und dann verkauft.“
Durch weitere Recherchen fanden die Forscherinnen heraus, dass das Bild den hochbetagten jüdischen Schwestern Jenny, Malvine und Bertha Rosauer gehört hatte, die gemeinsam in einer Wohnung in Wien gelebt hatten. Wie alle Jüdinnen und Juden hatten auch sie 1938 auf Anordnung der Nationalsozialisten eine Liste über ihr gesamtes Vermögen anfertigen müssen, die erhalten geblieben ist,
„wo die Bilder aus ihrem Besitz alle aufgeführt sind. Und da ist unter der Nummer 59 „Carl von Vogelstein, Bild einer Künstlerin mit Ausblick auf Neapel“ verzeichnet.“
Die Schwestern wurden damals aus ihrer Wohnung vertrieben und in einer Sammelunterkunft untergebracht, wo eine von ihnen starb; die beiden anderen wurden im Konzentrationslager Treblinka ermordet.
Als Hans Posse das Gemälde 1940 für die Dresdner Galerie erwarb, mag er geahnt haben, dass es aus jüdischem Besitz stammte. Denn Posse kannte sich aus. Er war nicht nur Direktor in Dresden, sondern seit 1938 aus NS-Sonderbeauftragter für Hitlers Museumsprojekt in Linz. Ausstellen konnte er es zu Kriegszeiten nicht mehr. Es wurde wie so viele Kunstschätze Dresdens auf Schloss Weesenstein in der Nähe von Pirna ausgelagert. Bis in die 1970er Jahre blieb das Bild dort als Leihgabe, dann kehrte es zurück ins Albertinum. Nachdem seine Geschichte bekannt geworden war, wurde das Gemälde 2011 der Familie Rosauer zurückerstattet und konnte vom Museum rechtmäßig angekauft werden.
- Ort & Datierung
- 1816
- Material & Technik
- Öl auf Nussbaumholz
- Dimenions
- 70 x 48,5 cm
- Museum
- Galerie Neue Meister
- Inventarnummer
- Inv.-Nr. 2011/16