Kaum 3 Kilometer von hier entfernt, in der Dresdner Friedrichstadt, hat Erich Heckel 1911 dieses Bild gemalt. Sein Freund und Künstlerkollege Ernst Ludwig Kirchner hatte dort einen leerstehenden Schusterladen gemietet. Der Raum wurde ausstaffiert mit einem großen, leuchtend grünen Wandschirm, den die Maler mit einer Bordüre und einer hockenden Figur in tiefem Blau bemalten. An die Wand hängten sie einen gelben Vorhang, den sie mit grünen Medaillons verzierten. In jeder freien Stunde trafen sich die Künstler hier zum Zeichnen und zum Malen. Dabei waren oft junge Mädchen aus proletarischem Milieu, die die Künstler dafür bezahlten, nackt Modell zu stehen. Die Minderjährigkeit war für die Künstler damals kein Problem, heute ist unsere Sichtweise eine andere. Sie sahen das jugendliche Alter der Modelle als Garant für ungezwungene, natürliche Motive.
Zu dem Freundeskreis gehörten neben Heckel und Kirchner auch noch Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff. Letzterer hatte sechs Jahre zuvor, im Sommer 1905, die Idee, sich als Künstlergruppe „Brücke“ zu nennen. Der Name sollte Ausdruck der Zusammenarbeit und des gemeinsamen Aufbruchs zu neuen Ufern sein.
Und in der Tat betraten die Maler künstlerisches Neuland. Die starken Farben, unvermischt und flächig nebeneinander gesetzt, der Verzicht auf Perspektive, und nicht zuletzt die freizügigen Motive – dies alles schockierte die bürgerliche Welt des späten Kaiserreichs. Erst später erkannte man, wie sehr diese vermeintliche Anti-Kunst von tiefer Liebe zur Malerei und auch von großem handwerklichen Können getragen war. Wie es Heckel beispielsweise gelingt, der hinter dem Wandschirm vorlugenden Franziska Fehrmann, genannt Fränzi, mit wenigen schnellen Strichen momenthaftes Leben einzuhauchen, zeugt von großer Meisterschaft.
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Nicht nur in ihren Werken zeigten die Brücke-Künstler eine große Begeisterung für das in ihren Augen vermeintlich "Ursprüngliche". Sie statteten auch ihre Ateliers auf ungewöhnliche Weise aus: mit Bildern, bemalten Vorhängen und selbstgefertigten Möbeln. Hierfür ahmten sie die Kunst afrikanischer Regionen oder pazifischer Inseln nach und eigneten sich im weitesten Sinne deren Ästhetik an.
Anregungen fanden sie zum Beispiel im Dresdner Museum für Völkerkunde. Vor allem Ernst Ludwig Kirchner war dort häufig mit Stift und Skizzenbuch anzutreffen. Zeichnend erkundete er die für ihn ungewöhnlichen Formen und das Wesen der Arbeiten. Die Brücke-Künstler sahen die Objekte als Zeugnisse einer, wie sie es formulierten, „unverfälschten“ Kunst – im Gegensatz zu der vermeintlich von der Zivilisation „verdorbenen“ europäischen Kunst. Die Frage, WIE die Objekte ins Museum gelangt waren, stellten sie sich offenbar nicht. Tatsächlich verdankten Völkerkundemuseen viele ihrer Objekte der oft brutalen Ausübung kolonialer Herrschaft.
Eine andere Inspirationsquelle waren die „Völkerschauen“, die in Dresden im Schnitt zweimal im Jahr stattfanden. Für dieses einträgliche Unterhaltungsgeschäft wurden Menschen aus Afrika, Asien, Ozeanien oder Nordamerika im Zoologischen Garten auf der „Völkerwiese zur Schau gestellt, in nachgebauten Behausungen, manchmal in ganzen Dörfern. Vor einem Massenpublikum demonstrierten sie Riten und Bräuche, führten Tänze auf oder zeigten Handwerkstechniken. Nachdem Kirchner und Heckel 1910 die „Samoa-Schau“ gesehen hatten, schufen sie wenig später Grafiken, die Samoanerinnen zeigten. Was sie von dem Spektakel ansonsten hielten, wissen wir nicht. Zweifelsohne bestätigten die Völkerschauen Vorurteile und Klischees des Kolonialismus. Die Inszenierungen behaupteten die Andersartigkeit der angeblich „naturnahen“ Kulturen und bekräftigten die vermeintliche Überlegenheit Europas.
- Material & Technik
- Vorderseitig: Öl auf Leinwand, Rückseitig: Tempera auf Leinwand
- Museum
- Galerie Neue Meister
- Datierung
- undatiert
- Inventarnummer
- Inv.-Nr. 2016/07