"Paula Modersohn-Becker hat ja in Worpswede in einer Landschaft gewohnt, die von einer einfachen bäuerlichen Umgebung geprägt war. Die Frauen und Kinder in der Nachbarschaft waren für sie wichtige Modelle und sie stellt eine alte Frau in einer offenbar üblichen Tracht dar mit einem kleinen Kind und rückt diese Figuren ganz an den Betrachter heran! Sie sind ganz eng in den Bildrahmen gestellt. Und so sind diese beiden Figuren ganz präsent."
Die Kuratorin Birgit Dalbajewa zählt Modersohn-Beckers Gemälde "Alte Frau mit Hut" zu den besonders typischen Werken der Malerin. Sie schuf es 1905 in Worpswede, als sie bereits sieben Jahre in der Künstlerkolonie bei Bremen lebte. Eine Bremerin war sie übrigens nicht: Paula Becker wurde 1876 hier in Dresden geboren, und zu ihren frühen Kunsterlebnissen zählten die Besuche in der Dresdner Galerie.
In Worpswede, wo sie den Maler Otto Modersohn heiratete, entwickelte sie ihren unverwechselbaren Malstil. Betrachten Sie die "Alte Frau mit Hut" und das Kind einmal genauer: Modersohn-Becker malt die Figuren vereinfacht, beinahe archaisch, und in ähnlichen Farbtönen wie die Natur. Die Malerin will das Wesen ihrer Figuren zum Ausdruck bringen, die Fürsorge der Frau für das Kind, die wache Aufmerksamkeit des Kleinen, die Geborgenheit in der Umgebung. Mit ihrer eigenwilligen Maltechnik schafft sie eine lebendige Oberfläche. Hören Sie den Kurator Andreas Dehmer:
"Und wenn man ganz nah davorsteht, sieht man, wie expressiv sie schon die Malerei betreibt, also sie setzt die Farben ganz locker nebeneinander, aber auch, wo es notwendig ist, scheut sie sich nicht, den Pinsel umzudrehen und statt mit den Borsten mit dem Stiel reinzukratzen."
Weitere Medien
Eine Frau, die in Deutschland künstlerisch arbeiten und davon leben wollte, hatte es um 1900 nicht leicht. Kreativität und Schöpfertum galten als Männersache. Frauen, so schrieb der Kunstkritiker Karl Scheffler, hätten:
„nur als Modell oder Mutter Existenzberechtigung. Qua Geschlecht unfähig, unproduktiv, kann eine Frau niemals Künstler – das hieße 'männlich' – werden.“
Dennoch schlugen viele Frauen eine Laufbahn als Künstlerin ein – obwohl ihnen das Studium an den Kunstakademien verwehrt war. Der Kurator Andreas Dehmer:
„Was in der Geschichte der sogenannten "Frauenkunst" des 19. Jahrhunderts noch nicht so bekannt ist, ist, dass es durchaus schon viele Organisationsformen gab und Frauen versuchten, sich durch diese Art und Weise ihr Recht zu erstreiten, auch Kunst auszuüben –“
Frauen besuchten auf eigene Kosten private Malschulen, nahmen Einzelunterricht und gründeten Vereine, um ihre Interessen zu vertreten. Als die Weimarer Verfassung 1919 festschrieb, dass Frauen und Männer rechtlich gleichgestellt waren, erhielten sie schließlich auch Zugang zum akademischen Studium. Dennoch machten Künstlerinnen auch vorher schon von sich reden:
„Schon vor 1919 gab es in Dresden eine riesengroße Ausstellung hier im Lipsius-Bau, in dem über 400 Künstlerinnen gezeigt worden sind.“
Schirmherrin der Ausstellung, die 1912 unter dem Titel „Frauenkunst“ gezeigt wurde, war Prinzessin Mathilde, Herzogin von Sachsen und selbst eine begabte Malerin.
„Das Wichtige von solchen raren Ausstellungen war vor allen Dingen die erhöhte Resonanz in den Kunstzeitschriften, und infolgedessen auch – so läuft der Kunstmarkt ja bis heute – dann in den Kunsthandlungen, die halt eben auch dann entsprechend sich für Künstlerinnen interessierten, die immer wieder mal genannt worden sind. Heute sind die alle nochmal wiederzuentdecken.“
- Ort & Datierung
- Um 1905
- Material & Technik
- Mischtechnik auf Pappe auf Hartfaserplatte
- Dimenions
- 64,5 x 40 cm (Katalogmaß 2010) 64,5 x 39,6 cm (Inventurmaß, 03.05.2010) 77,6 x 52,8 x 4,5 cm (Rahmenmaß, Tobias Lange, 03.05.2010)
- Museum
- Galerie Neue Meister
- Inventarnummer
- Leih-Nr. L 160