"Roter Klang": So hat der Maler Carl Lohse dieses ausdrucksvolle Bildnis genannt. Die Komposition ist verwegen: Lohse setzt einfach große Farbflächen nebeneinander. Das Gesicht des jungen Mannes modelliert er grob mit breiten Pinselstrichen in leuchtendem Rot; die Brillengläser malt er im Kontrast dazu in schrillem Grün.
Den eleganten jungen Mann hatte Lohse im sächsischen Bischofswerda kennengelernt. Arnold Vieth von Golßenau gehörte zum Freundeskreis jener Familie, bei der Lohse seit 1919 zu Gast war und die den mittellosen Künstler finanziell unterstützte. Der Adlige, im Ersten Weltkrieg Offizier und Kompanieführer, studierte damals Jura, aber auch Kunstgeschichte; er sollte sich bald darauf als Kunsthändler betätigen und wurde unter dem Pseudonym Ludwig Renn als Schriftsteller bekannt. Lohse empfand ihn seinerzeit offenbar als temperamentvoll und malte das Gesicht vielleicht auch deshalb in feurigem Rot.
Das längliche Antlitz mit den vorstehenden Wangenknochen muss Lohse sehr fasziniert haben, denn er schuf den Kopf auch als weiße Gipsplastik. Eine höchst ungewöhnliche Arbeit, meint die Kuratorin Birgit Dalbajewa:
„man muss sich das vorstellen, die Hände des Bildhauers in dem feuchten Gips, das Auge ist eine Öffnung, wie es überhaupt nicht üblich ist in der Plastik, die Ohröffnung ist eine tiefe Windung hinein gewissermaßen in die Innereien des Kopfes, die einzelnen Fetzen der Haare, die Stirnwulst, die Ohren stehen von dieser Gesamtform so ab: ein so bewegtes Bildnis, die Lippen flattern geradezu, und in dieser Größe, das gibt es in der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts kein zweites Mal.“
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Für die Künstlergeneration, die Ende des 19. Jahrhunderts geboren war, bildete der Erste Weltkrieg einen radikalen Einschnitt, der ihr Leben und ihre Kunst veränderte. So auch für Carl Lohse. Die Laufbahn des Hamburgers hatte vielversprechend begonnen. Schon mit 15 besuchte er die Kunstgewerbeschule. 1912 erhielt der 17Jährige ein Stipendium an der Kunsthochschule in Weimar. Dort blieb er nicht lange; auf der Suche nach seinem eigenen künstlerischen Weg zog er auf den Spuren Vincent van Goghs nach Holland, bis ihn der Kriegsbeginn 1914 zurück nach Deutschland zwang. Vergeblich bewarb sich der junge Lohse um eine Laufbahn als Reserveoffizier, die ihm vielleicht den Fronteinsatz erspart hätte:
„Gerade die Absolventen der Kunstgewerbeschulen wie Carl Lohse und Otto Dix waren nicht in der Etappe eingesetzt, sondern wirklich in den Schützengräben an vorderster Front und haben die ganz unmittelbaren Kriegserlebnisse,“
während Künstler, die an den Akademien studierten, eher als Offiziere am Krieg teilnahmen, so die Kuratorin Birgit Dalbajewa. Der 20jährige Lohse kämpft 1916 als Soldat in der Schlacht an der Somme, der wohl grauenvollsten Schlacht an der Westfront. Seine Kompanie wird verschüttet, er allein überlebt. Nach drei Jahren englischer Kriegsgefangenschaft und Schwerstarbeit in den Steinbrüchen von Calais kehrt er zurück nach Hamburg. Mittellos entlassen findet er Unterstützung: Eine ehemalige Mitschülerin vermittelt ihm den Kontakt zu einem Mäzen, einem kunstsinnigen Fabrikaten, der den jungen Maler als Gast in seinem Haus im sächsischen Bischofswerda aufnimmt. Für Lohse beginnt eine intensive Schaffensphase: In waghalsigen, expressionistischen Bildern setzt er sich mit seinen traumatischen Fronterlebnissen auseinander. Seine ersten Gemälde zeigen Skelette – das Zerbersten von Körpern – das Zersplittern einer Welt, die keinen Halt mehr bietet.
- Ort & Datierung
- 1919
- Material & Technik
- Öl auf Pappe
- Dimenions
- 71,5 x 45,5 cm (Katalogmaß 2010) 71 x 46 cm (Katalogmaß 1987) 71 x 46 cm (Inventurmaß, 29.04.2010) 82 x 55,5 x 2,5 cm (Rahmenmaß, Tobias Lange, 29.04.2010)
- Museum
- Galerie Neue Meister
- Inventarnummer
- Inv.-Nr. 79/31