Auf den ersten Blick erscheint dieses Sitzmöbel als ein typisches Beispiel für den Klassizismus: Elemente wie beispielsweise die kannelierten und mit Akanthusblättern umwachsenen Baluster, die den vorderen Teil der Armlehnen bilden, sind im Verlauf dieses Rundgangs schon mehrfach thematisiert worden. Ebenso verweisen die floralen Rosetten, Mäandermotive und Scheibenfriese auf die Architektur der Antike. Bemerkenswerte Ausnahmen bilden die Verstrebungen der Armlehnen, die an die Spitzbögen gotischer Kathedralfenster erinnern.
Das Gartenreich Dessau-Wörlitz belegt eindrucksvoll, dass spätmittelalterliche und antikisierende Formen einander nicht ausschließen, entstand dort doch in den 1770er Jahren nach Entwürfen von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff das Gotische Haus nebst klassizistischem Schloss. Unmittelbar zuvor wurde Strawberry Hill, der Landsitz von Horace Walpole (1717-1797) in Twickenham bei London fertiggestellt, der neben den Palästen von Venedig als wichtigster Impulsgeber für das wiedererwachende Interesse an der Gotik gilt. Fachzeitschriften wie das Journal des Luxus und der Moden oder das Magazin für Freunde des guten Geschmacks boten der interessierten Leserschaft schon bald darauf Beispiele für Einrichtungsgegenstände im neogotischen Stil an.
Leider ist der ursprüngliche Kontext der vorliegenden Sitzbank nicht gesichert. Höchstwahrscheinlich von einem sächsischen Möbelschreiner um 1800 ausgeführt, wurde sie nach Ende des 2. Weltkriegs aus dem Schloss und Rittergut Schönfeld (Landkreis Meißen) an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden überwiesen. Das Schloss mit Ursprüngen im 13. Jahrhundert war der Sitz der Familie Dathe von Burgk. Maximilian Dathe von Burgk (1853-1931) ließ es in den 1880er Jahren im Stil der Neorenaissance umbauen. Ob die Sitzbank zur dortigen Ausstattung gehörte oder von anderen Gütern der Familie dorthin verbracht wurde, kann vorerst nicht geklärt werden.
Text: Alexander Röstel