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„Er war ein neugieriger, sich in viele Richtungen orientierender Künstler, der, plastisch hochtalentiert und einfallsreich in der Formgebung, historisch Überliefertes, zeitgenössisch Modernes oder auch ethnisch Exotisches in seinem eigenen Werk assimilierte“. Mit diesen Worten fasste der in Dresden ansässige Bildhauer Stefan Dürre das Werk seines nahezu in Vergessenheit geratenen Vorgängers Emil Moeller (1885-1958) treffend zusammen. Die vorliegende Marmorurne unterstreicht diese Charakterisierung, während sie gleichzeitig einen wenig bekannten Aspekt seiner bildhauerischen Tätigkeit vorstellt.

Moeller wurde am 8. August 1885 in Neustadt bei Coburg geboren, wo sein künstlerisches Talent schon früh entdeckt wurde und er somit die örtliche Industrieschule besuchen konnte. 1899 begann er eine Lehre in einer Düsseldorfer Bildhauerwerkstatt und erregte mit ersten Arbeiten Aufsehen. 1903 wurde er Meisterschüler bei Robert Diez an der Dresdner Kunstakademie. Ein Jahr später erhielt er mit der Plastik eines auf einer Kugel balancierenden Jünglings den begehrten Rompreis, der ihm einen mehrjährigen Aufenthalt in der Ewigen Stadt sowie die Einrichtung eines kleinen Ateliers ermöglichte. Das künstlerische Erbe der Antike sowie Reisen durch Italien und Nordafrika prägten die Formensprache Moellers, wovon die Urne ein eindrucksvolles Zeugnis ablegt. Dank einer Signatur lässt sie sich in das Jahr 1912 datieren, eine Zeit, in der seine Werke bei großen Kunstausstellungen in Rom, Dresden und Berlin zunehmend auch internationale Anerkennung fanden. Größere Aufträge bewogen Moeller noch im gleichen Jahr zur Rückkehr nach Dresden. Auch die Kunstsammlungen erwarben schon bald darauf ausgewählte Werke, darunter dieses.

Die Grundform der Urne ist vergleichbar mit einer Hydria, einem antiken Krug, der in der Regel zur Speicherung von Wasser verwendet wurde, gelegentlich jedoch auch für Grabbeigaben genutzt wurde. An diese Funktion knüpft Moeller mit seinem Werk höchstwahrscheinlich an. Leider liegen über den Entstehungskontext keine weiteren Informationen vor, jedoch ist bekannt, dass er Grabdenkmäler schuf, u.a. für den Urnenhain im Dresdner Stadtteil Tolkewitz. Für eine solche Aufstellung spricht auch die im Halbrelief gearbeitete Außenseite des Urnenkörpers, die vier streng symmetrisch angeordnete Figuren darstellt, die einander mittels Ehrenkränzen umschließen. Sie sind nicht näher identifizierbar, scheinen jedoch Gottheiten aus der ägyptischen, griechischen, römischen und nordischen Sagenwelt aufzurufen. Stilistisch steht die Urne für das Fortwirken des Klassizismus im Jugendstil und Art Déco.

Text: Alexander Röstel

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