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Lampe Loos-Tower

Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass es sich bei dem hier ausgestellten Objekt um eine Lampe handelt. Sie nimmt Bezug auf den berühmten Entwurf für einen Wolkenkratzer des österreichischen Architekten Adolf Loos (1870-1933). Im Jahr 1922 hatte die amerikanische Tageszeitschrift Chicago Tribune, die damals als „the world’s greatest newspaper“ galt, einen Wettbewerb für den Neubau ihrer Firmenzentrale im Herzen der pulsierenden Metropole ausgeschrieben. Nicht weniger als „das schönste Bürogebäude der Welt“ schwebte dem ehrgeizigen Besitzer und Herausgeber der Zeitschrift, Robert McCormick, vor. Aufgrund der hohen Preisgelder von insgesamt 100.000 Dollar, die dieser ausgelobt hatte, reichten namhafte Architekten auf der ganzen Welt Entwürfe ein, darunter neben Loos auch Walter Gropius, Eliel Saarinen und Bruno Taut. Die Ausschreibung gilt heute als Schlüsselmoment der Architekturgeschichte, denn gerade der Geist der unterlegenen Einsendungen – allen voran Saarinens – sollte fortan die Stadtbilder Amerikas prägen. Den Zuschlag erhielt letztlich das Büro der Amerikaner John Mead Howells und Raymond Hood, die – inspiriert von der Architektur der französischen Gotik – den Firmensitz des Chicago Tribune als eine Kathedrale der Neuzeit interpretierten. 1925 fertiggestellt, beherbergte der Tribune Tower bis 2018 die Büros der Tageszeitschrift. Heute befinden sich darin vor allem Luxuswohnungen.

Statt auf mittelalterlicher Architektur basiert der Entwurf von Loos auf dem klassischen Formenkanon. Die äußere Gestalt des Gebäudes entspricht einer dorischen Säule mit einem gestuften, quaderförmigen Postament. Statt ein Gebälk zu tragen – wie die beiden weiteren Exemplare am Haupteingang, die an das Looshaus in Wien erinnern – bildet die dorische Säule somit selbst die eigentliche Architektur. Allein der Säulenschaft mit seinen durchfensterten Kanneluren hätte 21 Etagen beherbergt. Mit dieser eigentümlichen Wahl spielte Loos ironisch auf die doppelte Bedeutung des englischen Wortes „column“ an, das nicht nur Säule, sondern im Bereich der Presse – dem Geschäftsfeld des Chicago Tribune – auch Spalte bedeutet. Der Entwurf fand im Wettbewerb keine Anerkennung, regte jedoch durch seine Originalität und Radikalität immer wieder nachfolgende Generationen an.

Stephan Tschavgov und Hans-Heinz Frickel, beide selbst als Architekten tätig, transformierten den Loos’schen Entwurf im Jahr 1989 in eine Lampe. Aus dem Inneren des in Keramik ausgeformten Loos-Towers sollte ein Strahler durch die Öffnung im Abakus, der quadratischen Deckplatte des Kapitells, effektvoll nach oben leuchten. Diese Lichtführung hätte auf die tragende Funktion der Säule angespielt und somit die Loos’sche Grundidee humorvoll konterkariert. Zu einer serienmäßigen Produktion kam es jedoch nie und das vorliegende Exemplar – von Egidio Marzona für das Archiv der Avantgarden erworben – ist der letzte erhaltene Prototyp. Er ist leider nicht elektrifiziert.

Text: Alexander Röstel

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