Der Bocca della Verità (deutsch: Mund der Wahrheit) avancierte spätestens mit dem Filmklassiker Ein Herz und eine Krone (1953), mit Audrey Hepburn und Gregory Pack in den Hauptrollen, zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten Roms. Das etwa 2.000 Jahre alte Marmorrelief, dessen ursprüngliche Funktion weiterhin ungeklärt ist, befindet sich seit dem 17. Jahrhundert in der Vorhalle der frühmittelalterlichen Kirche Santa Maria in Cosmedin. Einer weit verbreiteten Legende zufolge verlieren diejenigen ihre Hand, die beim Hereinlegen in den geöffneten Mund die Unwahrheit sagen.
Für den italienischen Bildhauer Mario Ceroli (* 1938), der für seine Neuinterpretationen berühmter Kunstwerke bekannt ist, ist der Bocca della Verità ein zentrales Leitmotiv. Schon in den 1960er Jahren schuf er Objekte, die auf den antiken Lügendetektor rekurrieren. In dieser Zeit entschied sich Ceroli – beeinflusst von Louise Nevelson und Joe Tilson sowie der Pop Art – für den Werkstoff Holz, aus dem er eindrucksvolle Skulpturen geschaffen hat. Ein weiteres Kennzeichen seiner Arbeiten ist deren Einfachheit und Materialsichtigkeit, weshalb er der so genannten Arte Povera zugeordnet wird. Im Gegensatz zu einigen der Objekte, mit denen dieser Rundgang begann, wird eine aufwendige Bearbeitung oder Fassung der Oberfläche hier bewusst vermieden, um nicht von den Maserungen des Holzes abzulenken. Darüber hinaus – inspiriert von Theaterdekorationen – interessierte sich Cerioli für Silhouetten, die in seinen Werken oft hinter- oder nebeneinander gestaffelt sind und somit eine illusionistische Tiefenwirkung erzeugen.
All diese Ansätze fließen in einem Bettgestell zusammen, das Ceroli im Jahr 1970 für den florentinischen Möbelhersteller Poltronova entworfen hat. Aus praktischen Gründen ist hier lediglich das Haupt ausgestellt. Auch wenn sich der Künstler konkreter Deutungen zu entziehen versucht, ist die Idee, Wahrheit mit Schlaf und Sexualität in Beziehung zu setzen, spätestens seit Sigmund Freuds Traumdeutung vorgeprägt.
Text: Alexander Röstel