Ähnlich seinem Vorbild Max Klinger schuf Schneider in einer erfindungsreichen Erweiterung traditioneller Ikonografie einen absolut eigenständigen Symbolismus. Von den Zeitgenossen als fesselnd und visionär empfunden, aber auch kontrovers diskutiert, vermochte der Künstler um die Jahrhundertwende sein Publikum in den Bahn zu ziehen. In den 1920er-Jahren – Gedankenmalerei war längst passé – nahm Schneider seine erfolgreichen frühen Motive wieder auf und brachte sie in altmeisterlicher Maltechnik, wohl auch orientiert am Stil der Neuen Sachlichkeit, auf die Leinwand.
In der Darstellung des Judas Ischarioth zeigen sich diese Einflüsse offenkundig, in düsterer Szenerie werden christliche und mythologische Symbolik miteinander verknüpft. Judas im Passionsgeschehen als Verräter Christi verortet, hat in der Theologie eine ambivalente Position. Denn obwohl er Christus an die römischen Soldaten ausgeliefert hat, macht doch sein Verrat die Erlösung durch den opfertod Christi überhaupt erst möglich.
Ohne dass dem Bild eine eindeutige Lesart zugeordnet werden kann, zeigen sich innerhalb der Darstellung vielschichtige Deutungsmöglichkeiten. So wird unter anderem in Schneiders Werk Judas, gefesselt mit den lianenartigen Dornen der Dornenkrone Christi, zum Sinnbild seiner Verfehlungen erhoben. Silbertaler, aufsteigender Rauch und der nebulöse Blick des Engels im Hintergrund gemahnen die Frage nach Schuld und Sühne, wodurch die Betrachtenden gleichsam ihrer eigenen Haftbarkeit erinnert zu werden scheinen.
- Material & Technik
- Öl auf Leinwand
- Museum
- Galerie Neue Meister
- Datierung
- 1923
- Inventarnummer
- Gal.-Nr. 2607