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ALLE MACHT DER IMAGINATION!

Zeitgenössische Kunst der Tschechischen Republik im Dialog mit Werken der klassischen Moderne

Imagination als bildliches Spiel der Imagination kann viele Formen annehmen: Sie kann Utopien schaffen oder Realität verändern; sie kann antiautoritär und subversiv sein. Die französischen Surrealisten vor dem Zweiten Weltkrieg erkannten dieses Potenzial bereits. Ihrem Beispiel folgend wurde in der Tschechoslowakei die „Surrealistische Gruppe“ gegründet – eine bis heute aktive Kunstbewegung, deren bekanntester Vertreter der Filmemacher, Dichter und Künstler Jan Švankmajer (*1934) ist. Švankmajer ist überzeugt, dass die Vorstellungskraft eine grundlegende Fähigkeit ist, die allen Menschen innewohnt. Sein Ruf nach "Alle Macht der Imagination!", den er inmitten der Revolutionsereignisse von 1989 auf dem Balkon seines Hauses im Prager Stadtteil Hradčany erhob, beschreibt treffend den phantasievoll-lyrischen Charakter vieler zeitgenössischer tschechischer Künstler und wurde zum Gesamttitel der Tschechischen Saison der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Die Ausdrucksformen der modernen und zeitgenössischen Kunst in Ostmittel- und Osteuropa sind sehr vielfältig. Aber woher kommen diese regionalen Besonderheiten? Eine ihrer wichtigsten Quellen sind lokale künstlerische Tendenzen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und damit auch das, was wir visuelles Gedächtnis nennen: Es ist etwas, das wir mit uns tragen, oft unbewusst, darauf bauen wir intellektuell auf und bringen es als Argument in den visuellen Diskurs.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts suchten böhmische Künstler ihre Inspiration in Frankreich. Viele von ihnen zogen sich nach Paris, wo sie sich aktiv in das lebendige Leben der dortigen Kunstszene einmischten. Auf diese Weise lernte Prag die Avantgarde-Bewegungen der Seine-Metropole kennen – vom Expressionismus über den Kubismus bis zum Surrealismus.

Dank seiner reichen multikulturellen Vergangenheit, seiner offenen politischen Atmosphäre, seiner wirtschaftlichen Stärke und seiner progressiven kulturellen Veranstaltungen wurde Prag in den 1920er und 1930er Jahren zum Hotspot der frei denkenden modernen Kunst in Europa. Wie in Paris entstanden hier einzigartige künstlerische Strömungen, insbesondere der Poetismus, dessen Entstehung mit den 1920er Jahren verbunden ist, und der literarisch-künstlerische Verein "Devětsil", der einige Jahre später die Entwicklung des Pariser Artificialismus beeinflusste. Der tschechische Künstler Zdeněk Pešánek war der erste, der in seinen Kunstwerken modernste Technologien wie Leuchtreklamen für kommerzielle Werbung einsetzte. Heute gilt er als einer der weltweit führenden Pioniere der kinetischen Kunst.

Das schöpferische Potenzial des frühen 20. Jahrhunderts und der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik ist auch heute noch eine Inspirationsquelle für viele zeitgenössische Künstler. Inspiration bedeutet aber nicht Epigonismus: Bei der Auswahl der zeitgenössischen Werke für diese Ausstellung ging es darum, einen möglichst weiten und aufgeklärten Blick zu nehmen, künstlerische Affinitäten zu suchen, eine Art der Kommunikation zu etablieren und so fragile visuelle Dialoge mit Werken der klassischen Moderne zu schaffen. Die Aufnahme dieser Werke ist daher als eigenständige historische Exkursion zu verstehen, als eine Zeiterfassung, die dem Besucher helfen soll, sich in der reichen und komplexen Welt der tschechischen Gegenwartskunst zurechtzufinden. Zugleich ist es ein Versuch, den subtilen und schwankenden Fäden künstlerischer Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zwischen Kunst damals und heute gerecht zu werden.

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