Zweyter Teil – Zweytes Hauptstück:
Nachricht vom zweeten Besuch auf der Insel Tahiti
Ille terrarum mihi praeter omnes
Angulus ridet.
HORAT.
Kaum hatten die guten Leute das Schiff vom Lande her wahrgenommen, so kamen auch schon verschiedene Canots, um uns mit Geschenken von Früchten zu bewillkommen. Unter den ersten, die uns an Bord besuchten, waren zween junge Leute, die, dem Range nach, etwas mehr als die übrigen seyn mußten: Diese baten wir, in die Cajütte zu kommen, und hier wurde sogleich mit Maheinen Bekanntschaft gemacht. Der Landes-Sitte nach, mußten sie ihm ein Geschenk von Kleidungsstücken machen: Sie zogen also ihre Oberkleider, die vom feinsten hiesigen Zeuge verfertigt waren, aus, und gaben sie ihm anzuziehen. Er hingegen zeigte ihnen seine Merkwürdigkeiten, und beschenkte sie mit ein Paar rothen Federn, die sie, als eine große Seltenheit, sehr hoch aufnahmen.
Etwa um 8 Uhr des Morgens, ließen wir in Matavai-Bay den Anker fallen, und sogleich war auch eine ganze Flotte von Canots um uns her, in welchen unsere alten Bekannten, Fische, Brodfrucht, Äpfel, Cocosnüsse und Pisangs zu Markte brachten, und für sehr geringe Preise überließen. Die Fische waren größtentheils sogenannte Dikköpfe, (mullets oder mugiles) und Boniten. Sie führten sie uns lebendig, in einem Troge zu, der zwischen den doppelten Canots unter dem Wasser befestigt und, damit dieses frey hindurch konnte, vorn und hinten mit einem Flechtwerk von Baumzweigen vermacht war.
Wir ließen nun, wie ehemals, auf der Landspitze Venus wieder einige Zelte aufschlagen, sowohl zum Behuf astronomischer Beobachtungen, als zu Erleichterung des Handels, Holzhauens und Wassereinnehmens. Der Capitain, Dr. Sparmann und mein Vater giengen ans Land. Ich aber mußte noch am Bord bleiben; denn ich war so matt und elend, daß ich kaum stehen konnte. Indessen machte ich mir die kleine Verändrung, vom Cajütten-Fenster aus, zu handeln, und brachte auf die Art wenigstens etliche neue Arten Fische an mich, da hingegen jene Herren, bey ihrer Zurückkunft, nichts neues aufzuweisen hatten. Was sie uns vom Lande erzählten, lautete sehr reizend und vortheilhaft: Sie hatten alles, was sie diesmal gesehen, in weit bessern Umständen gefunden als bey unsrer ersten Anwesenheit; das Grün in voller Pracht; viele Bäume noch mit Früchten beladen; die Bäche wasserreich, und eine Menge ganz neuerbauter Häuser. Maheine, der mit ihnen gegangen war, kam die Nacht nicht wieder an Bord. Er hatte sogleich einige von seinen Verwandten angetroffen, vornehmlich eine leibliche Schwester, Namens Te-i-oa, die eine der schönsten Frauenspersonen auf der ganzen Insel, und an einen großen, ansehnlichen und vornehmen Mann, von Raietea, Namens Nuna, verheyrathet war. Sein Haus, das sich wegen der ungewöhnlichen Größe vor vielen der übrigen ausnahm, stand ganz nahe bey unseren Zelten; es lag nemlich kaum 200 Schritt, jenseit des Flusses. Ehe Maheine ans Land gieng, hatte er seine europäische Kleidung abgelegt, und dafür die schönen neuen Kleider, womit er von seinen Landsleuten beschenkt worden war, angezogen. Die Freude, welche er über diese Vertauschung der Tracht äußerte, bewies, daß ihm seine vaterländische Sitte, doch über alles wohl gefallen müsse. Indessen ist das um so weniger zu verwundern, weil man unter den mehresten Völkern, die noch nicht gehörigermaßen civilisirt sind, besonders aber unter den ganz wilden, dergleichen Beyspiele von der Macht der Gewohnheit vielfältig wahrgenommen hat. In der That war es auch ganz natürlich, daß ein Mensch von den Societäts-Inseln, (wie z. B. Maheine, der beydes kannte) das glückliche Leben, die gesunde Nahrung und die einfache Tracht seiner Landsleute, – der beständigen Unruhe, den ekelhaften Speisen, und den groben engen Kleidungen europäischer Seeleute vorziehen mußte. Haben wir doch sogar gesehen, daß Esquimaux, mit der größten Begierde in ihr wüstes Vaterland, zu ihren schmierigen Seehundsfellen und zu ihrem ranzigen Thran-Öle zurückgekehrt sind, ohnerachtet sie eine Zeitlang, die europäische Küche, den europäischen Kleider-Prunk, und alle Herrlichkeit von London, gesehen und genossen hatten!
Was Maheinen betritt, so fand er in Tahiti alle Glückseligkeit und Freude, die er nur je erwarten konnte; ein jeder begegnete ihm mit außerordentlicher Achtung, und sah ihn in mehr denn einer Absicht, für ein rechtes Meerwunder an; man bewirthete ihn mit den ausgesuchtesten Speisen; er bekam unterschiedliche Kleider geschenkt, und indem er unter den Nymphen des Landes herumschwärmte, fand er nicht selten Gelegenheit, auch jene Art des Vergnügens zu schmecken, die er zur See schlechterdings hatte entbehren müssen. Empfindlich für jede sinnliche Lust, wie alle Kinder der Natur, aber lange des Anblicks seiner hübschen Landsmänninnen beraubt, und durch den Umgang mit unsern Seeleuten vielleicht noch etwas mehr, als sonst, zur Sinnlichkeit gestimmt, mußte ihm die Gelegenheit, sich auch hierinnen einmal ein gewisses Genüge zu thun, natürlicherweise sehr willkommen seyn. Er hatte also von allen Seiten Ursach, sichs auf dieser reizenden Insel ganz wohl gefallen, und durch den Umgang mit seinen schönen Landsmänninnen sich fesseln zu lassen. Überdem konnte in einem so warmen Clima das Schiff freylich kein angenehmes Nachtquartier für ihn seyn; warum hätte er sich in eine enge, vielleicht auch übelriechende Cajütte einsperren sollen, da er am Lande die reinste Luft, den Wohlgeruch der Blumen einathmen konnte, und überdies von dem sanften Abendwinde die angenehmste Kühlung zu gewarten hatte? — — So glücklich aber auch, in Rücksieht auf diese Umstände, Maheinens Loos, am Lande seyn mogte, so gab es doch auch an Bord, Leute, die sich in ihrer Lage für recht beneidenswerth hielten! Gleich am ersten Abend kamen nemlich unterschiedliche Frauenspersonen aufs Schiff, mit welchen die ganze Nacht hindurch, alle mögliche Ausschweifungen getrieben wurden. Ich habe schon bey einer andern Gelegenheit angemerkt, daß die hiesigen liederlichen Weibspersonen von der gemeinsten oder niedrigsten Classe sind; das bestätigte sich jetzt noch augenscheinlicher, weil diese Personen gerade dieselbigen waren, die sich bereits bey unserm ersten Aufenthalt zu Tahiti, in so ausgelassene Sittenlosigkeiten, mit unsern Seeleuten einließen. Dies beweiset meines Erachtens offenbar, daß die H. . . hier zu Lande ebenfalls eine besondere Classe ausmachen. Sie ist jedoch bey weitem so zahlreich, und das Sittenverderben lange so allgemein nicht, als unsre Vorgänger solches vielleicht zu verstehen geben. Mich dünkt, sie haben dabey zu wenig auf Ort und Umstände, Rücksicht genommen. Es würde abgeschmackt seyn, wenn etwa O-Mai seinen Landsleuten erzählen wollte: in England wisse man wenig oder nichts von Zucht und Ehrbarkeit, weil er dergleichen unter den gefälligen Nymphen in Covent-Garden, Drurylane und im Strande nicht angetroffen.
Den Tag nach unsrer Ankunft hatten wir überaus trefliches Wetter. Es kamen daher viele von den Eingebohrnen zu uns an Bord. Ich fuhr ans Land und versuchte es nach den Zelten zu gehen, war aber kaum 50 Schritt weit fortgekrochen, als ich umkehren und mich niedersetzen mußte, um nicht ohnmächtig zu werden. An dem Ort, wo ich saß, brachte man unter andern auch Äpfel zum Verkauf: diese sahen so reizend aus, daß ich, dem ausdrücklichen Verbot meines Arztes zuwider, es auf die Gefahr ankommen ließ, und einen zu mir nahm. Hierauf gieng ich wieder an Bord. Während dieser Zeit hatten unsre Leute, gegen Nägel, Messer und andere Kleinigkeiten, fünfzig Stück große Bonniten, imgleichen eine Menge von Früchten eingetauscht, so daß recht reichliche Portionen davon, unter die Mannschaft ausgetheilt werden konnten. Einem von unsern Tahitischen Gästen war mittlerweile die Lust angekommen, etliche Nägel vom Schiffe zu stehlen. Diesen fand ich bey meiner Zurückkunft in Ketten; weil aber viele angesehene Personen Fürbitten für ihn einlegten, und eine ziemlich beträchtliche Anzahl Bonniten zu geben versprachen, wenn man ihn loslassen wollte, so wurde er bald wieder in Freyheit gesetzt, jedoch mit der Verwarnung, daß er sich inskünftige, für so dergleichen Diebereyen, in Acht nehmen mögte.
Das liederliche Gesindel, welches die vorige Nacht am Bord zugebracht hatte, war diesen Abend zeitig wieder da, und hatte noch so viel andere von eben dem Gelichter mit sich gebracht, daß jeder Matrose seine eigne Dirne haben konnte. Das war ihnen eben recht; sie hatten gerade heut das St. Georgen-Fest, nach altem Brauch gefeyert, das heißt, dem Schutzheiligen ihres Landes zu Ehren, sich tapfer bezecht. Nach Endigung der Bachanalien brachten sie nun noch die ganze, schöne, mondenhelle Nacht im Dienst Cytherens hin!
Dr. Sparrmann und mein Vater kamen erst nach Sonnen-Untergang vom Lande an Bord zurück. Sie waren über One-Tree-hill nach Parre gegangen, hatten daselbst Tutahah’s Mutter, nebst Happai, des Königs Vater, angetroffen und beyde mit einigen Geschenken bewillkommt. Einer von den Eingebohrnen, der sie von dort aus begleitete, leistete ihnen, vornemlich dadurch manchen sehr guten Dienst, daß er weit in einen Teich hinein schwamm, auf welchem sie einige wilde Endten geschossen hatten. Er lud sie auch nach seiner Wohnung ein, die wohl 10 Meilen westwärts von Point Venus entfernt war. Daselbst bewirthete er sie mit einer guten Mahlzeit von Früchten, und unter andern, mit einem vortreflichen Pudding, der von geschabten Cocos-Nuß-Kernen und Pfeilwurzeln (arum esculenturn) gemacht war, versorgte sie auch reichlich mit Cocos-Nüssen. Die Bäume um seine Hütte, lieferten ihm diese Frucht, ihrer Erzählung nach, in großer Menge. Nach dem Essen beschenkte er sie noch mit einer wohlriechend gemachten Kleidung, vom feinsten Zeuge, und auf dem Rückwege trug er ihnen eine große Tracht von Früchten nach, die bey der Mahlzeit nicht waren verzehrt worden. Unterwegens fanden sie die beyden Ziegen, die Capitain Fourneaux dem Könige geschenkt hatte, ohnweit dem Hause ihres hohen Eigenthümers. Sie hatten seit unsrer Abwesenheit ein feines, sanftes, seidenartiges Haar bekommen, auch hatte die Ziege bereits zween Junge geworfen, die beynahe völlig ausgewachsen, eben so gut bey Leibe und so munter waren, als die beyden Alten. Wenn die Einwohner noch eine Zeitlang fortfahren, diese Thiere so sorgfältig zu warten; so werden sie solche bald können wild gehen lassen, und dann haben sie, von der schnellen Vermehrung derselben, einen neuen Artikel des Unterhalts zu gewarten, der ihnen ohne Zweifel sehr willkommen seyn wird. Der gastfreye Begleiter meines Vaters kam mit an Bord, schlief die Nacht bey uns, und gieng am folgenden Morgen, höchst vergnügt über einige Messer, Nägel und Corallen, die er zum Geschenk bekommen hatte, wieder nach Hause.
Des folgenden Morgens, den 24sten, fand ich mich, durch den verbotenen Apfel, den ich den Tag vorher genossen hatte, ganz außerordentlich erquickt, und Capitain Cook, der noch immer einige Zeichen seiner Gallenkrankheit an sich warnahm, hatte gleiche Würkung von dieser herrlichen Frucht gespürt. Wir fuhren also fort, uns nach unserm Appetit, von Zeit zu Zeit, damit zu laben und empfohlen sie allen ähnlichen Patienten. Unsere Besserung wurde dadurch über alle Erwartung beschleunigt, und in wenig Tagen wir die ganze Krankheit, bis auf eine geringe Schwäche gehoben, die in dergleichen Fällen gemeiniglich noch eine Zeitlang zurückzubleiben pflegt.
Um Mittag aus besuchte uns, ohnerachtet es kaum aufgehört hatte zu regnen, der König Tu mit seiner Schwester Taurai und mit seinem Bruder. Sie brachten dem Capitain Cook etliche Schweine zum Geschenk, und der König schien jetzt bey weitem nicht mehr so mißtrauisch und so schüchtern als ehemals zu seyn. Man belohnte seine Freygebigkeit durch ein paar Beile; allein, es mußte ihm und seiner Gesellschaft wohl hauptsächlich um rothe Papagayen-Federn zu thun seyn, denn nach diesen fragten sie, unter der Benennung Ura, sehr eifrig. Ohne Zweifel hatten Maheinens Erzählungen und die Geschenke von dergleichen Federn, die er hier bereits ausgetheilt, dem Könige Anlaß gegeben, sich bey uns darnach zu erkundigen. Wir suchten also den ganzen Vorrath von Merkwürdigkeiten, den wir von den freundschaftlichen Inseln mitgebracht hatten, durch, und fanden darunter eine Menge solcher Federn. Indessen hielten wir nicht für rathsam, sie ihnen alle auf einmal sehen zu lassen, sondern es ward dem Könige und seiner Schwester nur ein Theil dieser Kostbarkeiten gezeigt, deren Anblick jedoch schon hinreichend war, sie in frohes Erstaunen zu setzen.
Ich habe weiter oben, als ich des Einkaufs dieser Federn erwähnte, angemerkt, daß einige davon auf Maulbeerzeug geheftet, andre aber auf Sternen von Cocosfasern befestigt waren. Von dem damit ausstafierten Zeuge, bekamen unsre hohen Gäste ein Stückchen, nicht viel über zween Finger breit, und von den Sternen ebenfalls nur einen oder zween. So klein auch diese Portion war, so schienen sie doch kaum so viel erwartet zu haben, und giengen sehr vergnügt damit fort. Man braucht diese Art Federn, hier zu Lande, vornemlich zu Ausschmückung der Kriegskleider, und wer weiß bey wie viel andern feyerlichen Gelegenheiten sie ebenfalls sonst noch Dienste leisten müssen. Der ungemein hohe Werth aber, den man darauf setzt, beweiset sattsam, wie hoch unter diesem Volke der Luxus schon gestiegen ist.
Am folgenden Tage besuchten uns unterschiedliche Befehlshaber der Insel, unter andern auch unser alter Freund Potatau, nebst seinen zwoen Gemahlinnen Whainiau und Polatehera. Auch diese mußten schon von unserm großen Reichthum an rothen Federn gehört haben, denn sie brachten eine Menge Schweine mit sich, und vertauschten solche mit großer Begierde gegen die kleinsten Läppchen mehrbemeldeten Federzeuges. Es war ganz auffallend, wie sich die Umstände der Einwohner, seit unsrer achtmonatlichen Abwesenheit, verbessert hatten. Das erstemal konnten wir mit genauer Noth, nur einige wenige Schweine von ihnen bekommen, und mußtens als eine ganz besondre Gefälligkeit ansehen, wenn uns der König und etwa noch einer oder der andre von den Vornehmern der Insel, eins dieser Thiere zukommen ließ; diesmal aber waren unsere Verdecke so voll davon, daß wir uns genöthiget sahen, einen eignen Stall zu ihrer Beherbergung am Lande zu erbauen. Solchergestalt hatten sich die Leute von ihrem letzten unglücklichen Kriege mit der andern Halb-Insel, dessen traurige Folgen sie bey unsrer ersten Anwesenheit, im August 1773, noch sehr drückend zu empfinden schienen, jetzt ohne Zweifel schon völlig wiederum erhohlt.
Regen und Ungewitter hielten diesen ganzen Vormittag über an, und die Blitze waren so heftig, daß wir, Sicherheitswegen, eine kupferne Kette an die Spitze des mittleren Mastes befestigen und zum Schiff hinaus hängen ließen. Das untere Ende verwickelte sich ins Tauwerk, und kaum hatte es der Matrose losgemacht und über Bord herunter geworfen, als ein erschrecklicher Blitz ausbrach, der an der ganzen Kette sichtbar hinab lief, und unmittelbar von einem fürchterlichen Donnerschlage begleitet wurde. Das ganze Schiff erbebte davon dermaaßen, daß nicht nur alle am Bord befindlichen Tahitier, sondern auch wir andern, äußerst erschracken. Der Blitz hatte jedoch nicht den geringsten Schaden gethan, und das überzeugte uns nun zum andernmal von dem großen Nutzen der electrischen Kette, davon Capitain Cook, als er in dem Schiffe Endeavour zu Batavia vor Anker lag, bereits ein ähnliches Beyspiel erlebt hatte.[1]
Der Regen fieng erst gegen Abend an, etwas nachzulassen; doch kamen von Zeit zu Zeit noch einige Güsse; den andern Morgen aber, hatte es ganz aufgehört. Die erste Nachricht, welche wir heute von unserer am Lande campirenden Mannschaft erhielten, lautete dahin, daß verschiedene Camisöler und einige wollene Bettdecken, die dem Capitän zugehörten, und gewaschen werden sollten, aus den Zelten gestohlen wären. Der Capitain fuhr also gegen zehn Uhr ans Land, um dem Könige seinen Besuch abzustatten, und ihn, zu Wiedererlangung des Entwendeten, um seine Vermittelung anzusprechen. Dr. Sparrmann, mein Vater, nebst noch einigen andern Herren, begleiteten ihn, und ich meines Theils, war auch wieder so weit hergestellt, daß ich mit von der Gesellschaft seyn konnte. Bey unsrer Ankunft auf der Küste von O-Parre, wurden wir durch einen Anblick überrascht, den in der Süd-See gewiß keiner von uns erwartet hatte. Längst dem Ufer lag nehmlich eine zahlreiche Flotte von großen Krieges-Canots vor Anker, mit Ruderern und Streitern bemannet, die in ihrer völligen Rüstung mit Brustschildern und hohen Helmen versehen waren. Der ganze Strand wimmelte von Menschen, doch herrschte unter der ganzen Menge ein allgemeines, feyerliches Stillschweigen. Wir hatten kaum das Ufer erreicht, als uns einer von des Königs Vettern, Namens Thi, entgegen kam, um den Capitain mit sich ins Land hinauf zu nehmen. Aber in demselben Augenblick trat auch der Oberbefehlshaber der Flotte ans Ufer und eilte uns aufs höflichste zu bewillkommen. Bey seiner Annäherung rief das gemeine Volk aus, Tohah kömmt! und machte ihm mit einer Ehrfurcht. die uns in Verwundrung setzte, Platz. Er gieng gerade auf den Capitain Cook zu, gab ihm die Hand, nannte ihn seinen Freund! und bat, daß er in sein Canot treten mögte. Mit diesem Antrag aber schien Tih nicht so ganz zufrieden, sondern vielmehr in Verlegenheit zu seyn, daß Capitain Cook ihn verlassen und dagegen mit Tohah gehen wollte. Unterdessen waren wir bis an das Canot des Admirals gekommen, und der Capitain war fast im Begriff hineinzusteigen, als er sich eines andern besann und die Einladung ablehnte. Tohah, der sich dadurch beleidiget fand, verließ uns darauf mit offenbarem Kaltsinn und stieg allein in sein Canot; wir aber, ohne uns weiter um ihn zu bekümmern, nahmen die Schiffe, die in gerader Linie, und alle mit dem Vordertheil gegen das Land gekehrt lagen, eins nach dem andern, in näheren Augenschein. Der Anblick dieser Flotte setzte uns mit Recht in Erstaunen, weil er in der That alles, was wir uns bisher von der Macht und dem Reichthum dieser Insel vorgestellt hatten, bey weitem übertraf. Es waren nicht weniger als hundert und neun und fünfzig große, doppelte Kriegs-Canots, von 50 bis 90 Fuß lang, hier beysammen. Wenn man bedenkt, mit was vor unvollkommenem Handwerkszeuge die Leute hier zu Lande versehen sind, so kann man sich über die Gedult, womit sie an Verfertigung dieser Schiffe müssen gearbeitet haben, nicht genug verwundern. Denn um erstlich, die dazu erforderlichen Bäume zu fällen, Planken daraus zu schneiden, diese dann glatt und eben zu machen, sie an einander zu fügen, und endlich in die Form großer und lastbarer Schiffe zusammen zu setzen, dazu haben sie weiter nichts, als ein Beil und einen Meißel von Stein, ein Stückchen Coralle und etwas scharfes Rochenfell, welches letztere sie vornehmlich zur Abglättung oder Abhoblung der Oberfläche gebrauchen. Alle ihre Canots sind doppelt, oder je zwey und zwey, durch funfzehn bis achtzehn starke Queerbalken, neben einander befestigt. Die Queerbalken liegen gemeiniglich viertehalb Fuß weit einer von dem andern, und sind von 12 bis 24 Fuß lang. Im letztern Fall ragen sie weit über die beyden Schiffsseiten weg, und machen alsdenn, vermöge ihrer beträchtlichen Länge, über das ganze Fahrzeug eine Art von Verdeck aus, das oft 50 bis 70 Fuß lang ist. Damit aber diese Menge von Queerbalken unter einander eine Art von Hältniß haben; so befestigen sie, an den Außenseiten, desgleichen in der Mitte, zwischen beyden zusammengefügten Canots, zwey bis drey Sparren, der Länge nach darüber her. Vorder- und Hintertheile stehen etliche Fuß hoch über dem Wasser, und das Hintertheil zuweilen wohl zwanzig Fuß. Letzteres hat die Gestalt eines krumm gebogenen Vogelschnabels, und pflegt auf unterschiedliche Art ausgeschnitzt zu seyn. An den doppelten Canots war, zwischen den beyden hohen Hintertheilen, gemeiniglich ein Stück weisses Zeug, statt eines Wimpels, ausgespannt, welches der Wind oft als ein Seegel aufblies. Einige führten gestreifte Wimpel mit rothen Feldern, und diese dienten, wie wir nachmals erfuhren, den einzelnen Divisionen in welche die Flotte eingetheilt ist, zu Unterscheidungszeichen. Oben auf dem schnabelförmigen Hintertheil stand ein hoher Pfosten von geschnitzter Arbeit aufgerichtet, dessen äußerstes Ende eine krüppliche Menschen-Figur vorstellte, deren Gesicht gemeiniglich durch einen Bretter-Rand, als mit einem niedergeklapten Hut, bedeckt, zuweilen auch wohl mit Oker-Erde roth angestrichen war. Die Pfosten oder Pfeiler waren gemeiniglich mit schwarzen Federbüschen ausgeziert und lange Streifen von aufgereiheten Federn hingen von selbigen herunter. Der niedrigste Bord der Canots, das ist, die Mitte der äußeren Seitenwände, (gunwale) stand etwa zween bis drey Fuß über Wasser; allein sie waren nicht immer auf gleiche Weise gebauet; denn einige hatten platte Böden mit senkrecht darauf emporstehenden Seiten; andre hingegen waren gewölbt und hatten einen scharfen Kiel, wie in dem Profil in Capitain Cooks ersten Reise zu sehen ist.[2] Gegen das Vordertheil des Canots waren, für die Kriegesleute, auf vier bis sechs Fuß hohen und gemeiniglich mit Schnitzwerk gezierten Pfosten, Gerüste aufgerichtet. Diese pflegten ziemlich weit über das ganze Canot hinaus zu ragen, indem sie zwanzig bis vier und zwanzig Fuß lang, und ohngefähr acht bis zehn Fuß breit waren. Unter diesem Gerüst befand sich jenes platte Verdeck, das vorbeschriebner maaßen aus Queerbalken und langen Sparren bestand; da nun diese creutzweise über einander gelegt waren, so entstanden überall viereckige Zwischenräume, und in diesen saßen die Ruderer. Die Canots welche achtzehn Queerbalken und drey lange Seitensparren, nebst einem dergleichen Sparren in der Mitte hatten, führten solchergestalt nicht weniger, als einhundert vier und vierzig Ruderer, außer acht Steuerleuten, davon viere in jedem Hintertheile standen. Von dieser Bau-Art und Beschaffenheit aber waren die wenigsten der hier versammelten Canots; denn der größte Theil hatte keine überragende Platteformen und alsdann saßen die Ruderer unmittelbar in der Vertiefung des Schiffsbauches. Die Streiter hatten ihren Stand auf dem Gerüste, und es mogten deren in jedem Fahrzeuge ohngefähr fünfzehn bis zwanzig Mann seyn. Ihre Kleidung war sonderbar, und machte bey diesem Schauspiel das mehreste Gepränge. Sie hatten drey große Stücken Zeug, vermittelst eines Lochs, das in die Mitte eingeschnitten war um den Kopf hindurchzustecken, angezogen. Das unterste und längste war weiß, das zweyte roth, das oberste und kürzeste, braun. Ihre Brustschilder waren von geflochtner Arbeit, mit Federn und Hayfisch-Zähnen zierlich besetzt. Fast keinen einzigen Krieger sahe man ohne dergleichen Brustschild; mit Helmen aber waren nur sehr wenige versehen. Diese Helme sind von außerordentlicher Größe. Sie haben nemlich beynahe fünf Fuß in der Höhe, und bestehen aus einem langen, walzenförmigen Korbe, dessen Vorderseite durch ein Schild von dichterm Flechtwerk verstärkt ist. Dieser Schild oder die Vorderplatte, die gegen das obere Ende des Helms breiter wird, und etwas gekrümmt vorne überhängt, ist ganz dicht mit glänzenden, blaugrünen Taubenfedern besetzt, und diese sind mit weißen Federn eingefaßt. Vom Rande aus verbreitete sich rund umher, stralenweise, eine Menge langer Schwanzfedern vom Tropischen Vogel, so daß es von fern aussahe, als ob eine Licht-Glorie, dergleichen unsre Mahler den Engel- oder Heiligen-Köpfen zu geben pflegen, um das Haupt der Krieger herstralte. Damit diese hohe ungeschickte Maschine den Kopf nicht drücken und doch fest sitzen mögte; so ward ein großer Turban von Zeug darunter getragen. Weil aber ein solcher Aufsatz nicht zur Verteidigung, sondern blos zum Staat dienet, so pflegten ihn die Kriegesleute mehrentheils abzunehmen und neben sich auf die platten Verdecke hinzusetzen. Die vornehmsten Befehlshaber trugen noch ein anderes Unterscheidungs-Zeichen, das mit den Roßschweiffen der Türkischen Baschahs einige Ähnlichkeit hatte. Es bestand nemlich aus langen runden Schwänzen, die von grünen und gelben Federn verfertigt waren, und auf dem Rücken herunter hiengen. Tohah, der Admiral, hatte auf dem Hintertheil seiner Kleidung fünf solcher Federschwänze, an deren unterem Ende noch überdies einige Schnüre von Cocos-Fasern mit einzelnen rothen Feder-Büscheln befestiget waren. Er trug keinen Helm sondern statt dessen einen schönen Turban, der ihm sehr wohl kleidete. Dem Ansehen nach schien er ein Mann von sechzig Jahren zu seyn, war aber noch sehr munter, dabey sehr groß, und hatte in seinem ganzen Bezeigen etwas ungemein gefälliges und edles.
Bishero hatten wir die Flotte nur vom Lande aus betrachtet, um sie aber auch von der See-Seite in Augenschein zu nehmen, setzten wir uns in unser Boot und ruderten, unter den Hintertheilen der Canots, längs der ganzen Linie hin. In jedem Canot sahen wir große Bündel von Speeren und lange Keulen, oder Streit-Äxte, die gegen die Platteformen angelehnt waren; auch hielt jeder Krieger eine Keule oder ein Speer in der Hand. Außerdem lag in jedem Fahrzeug noch ein Haufen von großen Steinen; dies ist die einzige Art Waffen, mit welchen sie ihren Feind in der Ferne zu erreichen wissen. Nächst den hundert und neun und fünfzig doppelten Krieges-Canots zählten wir ausserhalb der Linie, noch siebenzig kleinere, die auch mehrentheils doppelt und mit einem Dach auf dem Hintertheil versehen waren, theils um den Befehlshabern zum Nachtlager, theils aber auch, um als Proviant-Schiffe zu dienen. Noch andre lagen voller Pisang-Blätter, und nach der Aussage der Insulaner waren diese für die Todten bestimmt. Sie nannten dieselben E-wa-no t' Eatua, d. i. Canots der Gottheit. Die große Menge der hier versammleten Leute war ungleich mehr zu bewundern, als die Pracht des Aufzuges. Nach einem sehr mäßigen Anschlage mußte die Bemannung der Flotte, wenigstens aus fünfzehnhundert Kriegern und viertausend Ruderern bestehen, diejenigen ungerechnet, welche sich in den Proviant-Booten und am Strande befanden.
Wir hätten die Absicht einer so großen Zurüstung gerne wißen mögen, konnten aber vor der Hand nichts davon erfahren. Da der König den Distrikt O-Parre verlassen und nach Matavai-Bay gegangen war; so kehrten wir, ohne ihn gesprochen zu haben, gegen Mittag an Bord zurück. Hier fanden wir viel Befehlshaber, unter andern auch Potatau, der mit uns speißte und über Tische erzählte: die ganze Rüstung sey auf die Insel Eimeo gemünzt, deren Befehlshaber ein Vasall von O-Thu sey, aber sich empört habe. Zugleich hörten wir, zu unserer noch größern Verwunderung, die Flotte, die wir gesehen, sey bloß das Contingent des Distrikts Atahuru, und alle übrige Districte, könnten nach Maaßgabe ihrer Größe, eine verhältnißmäßige Anzahl von Schiffen in See stellen. Dies gab uns über die wahre Volksmenge der Insel einen neuen Aufschluß, und überzeugte uns augenscheinlich, daß sie ungleich ansehnlicher sey, als wir bisher geglaubt hatten. Nach dem mäßigsten Anschlage müssen auf den beyden Halb-Inseln von Tahiti ein hundert und zwanzig tausend Menschen wohnen.[3]
Beyde Halb-Inseln sind in drey und vierzig Districte eingetheilt. Wir nahmen im Durchschnitt an, daß jeder District zwanzig Krieges-Canots ausrüsten könne, und daß jedes nur mit 35 Mann besetzt sey. Die Bemannung der ganzen Flotte, die dazu gehörenden Boote nicht mitgerechnet, würde folglich nicht weniger als 30,000 Mann betragen; und diese lassen sich für den vierten Theil der ganzen Nation annehmen. Vorstehende Berechnung ist in aller Absicht sehr gering, denn ich setze dabey voraus, daß es außer jenen 30,000 Männern gar keine andre wehrhafte Leute auf der Insel gebe, welches doch nicht wahrscheinlich ist; andrer Seits schlage ich das Verhältniß der Wehrhaften gegen die Unwehrhaften, nur wie eins zu vier an, da gleichwohl, in allen europäischen Ländern die Zahl der letzteren, gegen jene gerechnet, weit beträchtlicher ist.
Capitain Cook gieng des Nachmittags abermals mit uns nach O-Parre: Die Flotte war aber schon abgefahren und die Canots hatten sich zerstreut; dagegen trafen wir den König O-Tu an und wurden sehr wohl von ihm aufgenommen. Er führte uns nach einigen seiner Häuser, dahin der Weg durch eine Landschaft gieng, die überall einem Garten ähnlich sahe. Schattige Fruchtbäume, wohlriechendes blühendes Buschwerk und Bäche, deren jeder ein Crystallspiegel zu seyn schien, wechselten in dieser angenehmen Gegend mit einander ab. Die Häuser waren alle in der besten Ordnung. Einige hatten Seitenwände von Rohr; andre waren gleich den Wohnungen des gemeinen Mannes, rund herum offen. Wir brachten einige Stunden in des Königs Gesellschaft zu, und seine Verwandten und vornehmsten Bedienten thaten alles Mögliche, uns ihre Freundschaft zu bezeigen. Obgleich die Unterredung noch nicht viel Zusammenhang hatte, ward sie doch sehr lebhaft unterhalten; vornemlich lachten und plauderten die Damen mit ausnehmend guter Laune. Oft neckten und unterhielten sie sich mit Wortspielen; zuweilen mit wirklich witzigen und drolligen Einfällen. Unter diesem Zeitvertreibe verstrich der Nachmittag so unvermerkt, daß wir erst bey Untergang der Sonne an Bord zurückkehrten. Diesmal hatten nun auch wir etwas von der eigenthümlichen Glückseligkeit genossen, welche die Natur den Bewohnern dieser Insel hat zu Theil werden lassen. Der ruhige vergnügte Zustand dieser guten Leute, ihre einfache Lebensart, die Schönheit der Landschaft, das vortrefliche Clima, die Menge gesunder wohlschmeckender Früchte – alles war bezaubernd und erfüllte uns mit theilnehmender Freude. Und wie süß ist nicht das Vergnügen, das ein Mensch von unverdorbnem Herzen bey dem Glück seines Nebenmenschen fühlt! Es ist ohnfehlbar eine der schönsten Empfindungen, welche uns vor andern Geschöpfen adelt.
Am folgenden Morgen statteten der Capitain und mein Vater, dem Könige O-Tu, zu Parre, abermals einen Besuch ab. Sie fandenTohah, den Admiral der Flotte, bey ihm, und der König übernahm es selbst, sie mit einander bekannt zu machen. Der Capitain lud sie ein, zu ihm an Bord zu kommen, und das thaten sie auch noch desselben Vormittages. Sowohl über als unter dem Verdeck wurden alle Winkel des Schiffs besichtigt, hauptsächlich dem Admiral Tohah zu gefallen, weil dieser noch nie auf einem europäischen Schiffe gewesen war. Er betrachtete die Menge neuer Gegenstände, besonders die Stärke und Größe der inneren Balken, der Mäste und der Taue, mit mehr Aufmerksamkeit als bis dahin andre Tahitier gethan hatten. Unser Takelwerk gefiel ihm so ausnehmend, daß er sich verschiedne Artikel, als Taue und Anker ausbat. Er war jetzt um nichts besser als andre Bewohner dieser glücklichen Insel gekleidet, und gieng, der Anwesenheit des Königs wegen, bis auf die Hüften nackt. Sein Ansehen war in dieser Absicht vom gestrigen so sehr verschieden, daß ich Mühe hatte, ihn wieder zu kennen. Er kam mir heute sehr dickbäuchicht vor, welches ich gestern unter dem weiten und langen Krieges-Kleide, nicht wahrgenommen hatte. Sein Haar war silbergrau, und in seinen Minen fand ich etwas dermaaßen Gefälliges und Gutherziges, als ich noch nirgends auf diesen Inseln angetroffen hatte. Der König sowohl als sein Admiral blieben bey uns zu Mittage, und aßen, von allem was ihnen vorgesetzt ward, mit herzlichem Appetite. O-Tu war nicht mehr der schüchterne, mistrauische Mann, der er sonst gewesen. Er schien bey uns zu Hause zu seyn, und machte sich ein Vergnügen daraus, Tohah in unsern Gebräuchen Unterricht zu geben. Er zeigte ihm, wie er Salz zum Fleische nehmen und Wein trinken müsse, trug auch kein Bedenken, ihm zum Exempel ein Glas voll auszuleeren, und scherzte sehr lebhaft mit seinem Admiral, den er gern überredet hätte, den rothen Wein für Blut anzusehn. Tohah kostete von unserm Grog, (einem Gemische von Branndtwein und Wasser,) verlangte aber bald Brantewein allein zu haben, den er E-Wai no Bretanni, d. i. brittisches Wasser nannte, und davon er ein Gläschen voll herunterschluckte, ohne eine Mine zu verziehen. Er sowohl als Se. Tahitische Majestät waren außerordentlich lustig und schienen an unsrer Art zu leben und zu kochen viel Geschmack zu finden. Sie erzählten, ihre Flotte sey gegen die Rebellen auf Eimeo, oder York-Eyland, und den Befehlshaber derselben Te-Eri-Tabonui bestimmt; und der erste Angrif sollte auf dem District Morea vor sich gehen. Zum Spas erbot sich Capitain Cook, sie mit seinem Schiffe zu begleiten und die Landung durch Kanonen-Feuer zu unterstützen. Anfänglich lachten sie darüber und waren es zufrieden. Gleich nachher aber sprachen sie unter sich, spannten andre Saiten auf, und sagten: sie könnten von unsrer Hülfe keinen Gebrauch machen, indem sie gesonnen wären, erst fünf Tage nach unsrer Abreise auf Eimeo loszugehen. Ohnerachtet dies wohl nicht die wahre Ursach seyn mogte, warum sie unser Anerbieten ablehnten; so war es doch ihren Verhältnissen nach, allerdings der Klugheit sehr gemäß. Unsere allzugroße Übermacht mußte hier zu Lande selbst unsern Bundesgenossen bedenklich seyn; auch würde es den Einwohnern von Eimeo ein gar zu wichtiges Ansehn gegeben haben, wenn man sich unsrer unüberwindlichen Vierpfünder gegen sie bedienet hätte; die Überwundnen würden ihre Niederlage lediglich unserm Geschütze zugeschrieben, die Sieger hingegen, würden gleich nach unsrer Entfernung, viel von dem Ansehn verlohren haben, dessen sie zuvor genossen, und die daraus entstehende Verachtung hätte ihnen in der Folge noch nachtheiliger werden können.
Mein Vater und Dr. Sparrmann, giengen am folgenden Nachmittage, in Begleitung eines Matrosen und eines Seesoldaten, ans Land, um die Berge hinauf zu steigen. Die Zufuhr an Lebensmitteln und andern Handlungs-Artikeln, war seit einigen Tagen sehr beträchtlich. Das Schiff war beständig mit Canots umringt, in welchen die Befehlshaber der benachbarten Districte, ihre Schweine und andere schätzbare Sachen selbst zu Markt brachten, um rothe Federn dagegen einzutauschen, die bey ihnen in so hohem Werthe standen. Eben diese Federn brachten in den Verbindungen der Frauensleute mit unsern Matrosen eine große Veränderung zu Wege. Glücklich war derjenige, der von dieser kostbaren Waare auf den freundschaftlichen Inseln Vorrath gesammlet hatte. Ihn allein umringten die Mädchen, so nur er allein, hatte unter den Schönsten die Wahl. Wie allgemein und unwiederstehlich unter diesem Volke das Verlangen nach rothen Federn sein mußte, davon erlebten wir heut einen sehr überzeugenden Beweis. Ich habe im ersten Theile dieser Reise schon angemerkt, daß die Weiber der Vornehmen nie Besuch von Europäern annahmen; und daß, bey aller Freyheit die den unverheiratheten Mädchen gestattet wurde, die Verheiratheten dennoch sich immer rein und unbefleckt erhielten. Allein die Begierde nach rothen Federn warf auch diesen Unterschied übern Haufen. Ein Befehlshaber ließ sich durch sie verleiten, dem Capitain Cook seine Frau anzubieten, und die Dame wandte auf ihres Mannes Geheiß, alles mögliche an, um den Capitain in Versuchung zu führen. Sie wußte ihre Reitze unvermerkt so künstlich sichtbar und geltend zu machen, daß manche europäische Dame von Stande sie darinn nicht hätte übertreffen können. Es that mir für die Ehre der Menschheit leid, daß ich einen solchen Antrag von einem Manne hören mußte, dessen Character sich sonst in allen Stücken so untadelhaft gezeigt hatte. Potatau war es der sich von seiner gewöhnlichen Höhe so sehr erniedrigen konnte. Wir verwiesen ihm seine Schwachheit, und bezeugten unsern Unwillen darüber. Es war für ein Glück anzusehen, daß die Matrosen schon eine große Menge rother Federn auf den Marquesas gegen andre Merkwürdigkeiten vertauscht hatten, ehe sie wußten, in wie hohem Werthe dieselben auf Tahiti ständen; denn, wären alle diese Reichthümer auf einmal hierhergekommen, so würden die Lebensmittel ohne Zweifel so hoch im Preise gestiegen seyn, daß wir diesmal vielleicht übler, als bey unserm ersten Aufenthalt daran gewesen wären. Die kleinste Feder ward weit höher geachtet, als eine Coralle oder als ein Nagel; und ein Stückchen Zeug mit solchen Federn bedeckt, erregte bey demjenigen, der es empfing, ein solches Entzücken, als ein Europäer vielleicht kaum empfinden dürfte, wenn er unverhofter Weise den Diamanten des großen Mogols fände. Potatau brachte seinen großen, 5 Fus hohen Kriegeshelm an Bord und verkaufte ihn – für rothe Federn. Andre folgten seinem Beyspiel und Brustschilder ohne Zahl wurden von den Matrosen eingehandelt. Noch mehr zu verwundern war es, daß die Einwohner sogar die sonderbaren Trauerkleider zum Verkauf brachten, deren in Capitain Cooks ersten Reise gedacht worden,[4] und welche man damals um keinen Preiß weggeben wollte. Da sie aus den kostbarsten Producten, welche das Land und die See liefern, bestehen, auch mit großem Fleiß so und vieler Kunst verfertigt sind; so ist es ganz natürlich, daß sie einen sehr hohen Werth darauf setzen mußten. Gleichwohl wurden nicht weniger, als zehn solcher Trauerkleider, von unterschiednen Leuten an Bord, aufgekauft und nach Europa gebracht. Capitain Cook hat dem brittischen Museum eines geschenkt, mein Vater aber die Ehre gehabt, ein ähnliches an die Universität Oxford zu überreichen, wo es in dem Aschmolischen Museo niedergelegt ist.[5] Der Obertheil dieses sonderbaren Anzuges besteht aus einem flachen dünnen Brett, das, in Gestalt eines halben Mondes, 2 Fus lang und 4 bis 5 Zoll breit ist. Auf selbigem sind vier bis fünf ausgesuchte Perlenmutter-Schaalen, durch die in den Rand derselben und auch ins Holz gebohrten Löcher, mit Cocos-Fasern fest gebunden. Eine größere Muschel von vorgedachter Art, mit blaugrünen Taubenfedern eingefaßt, befindet sich an den beyden äußersten Enden des Brettes, die vorbeschriebenermaßen, wie die Hörner des halben Mondes, aufwärts gerichtet sind. Mitten auf dem Brette sind zwo große Muscheln, die einen Zirkel von ohngefähr 6 Zoll im Durchschnitt ausmachen, befestiget; und über diese ragt ein großes Stück Perlenmutter-Schaale hervor, das gemeiniglich noch seine äußere purpurfarbne Bekleidung zu haben pflegt. Es ist von länglichter Gestalt, etwa 9 bis 10 Zoll hoch, oberhalb breiter als unten, und, rings umher, mit einem Strahlenähnlichen Zirkel von weißen Federn, aus dem Schwanze des tropischen Vogels, umgeben. Vom unteren Rande jenes halbzirkelförmigen Brettes, hängt eine Art von Schürze herab. Diese besteht aus zehn bis fünfzehn parallel laufenden Reihen kleiner Perlenmutter-Stückchen, deren jedes ohngefähr 1½ Zoll lang, an beyden Enden durchbohrt, und vermittelst Cocosfasern, an das zunächst darauf folgende festgebunden ist. Diese Schnüre sind zwar sämmtlich von gleicher Länge, weil aber die äußersten, wegen der zirkelförmigen Gestalt des Brettes, höher hängen als die mittleren; so reichen sie nicht so weit herab als diese, und folglich wird die Schürze unten schmäler als oben. An das Schluß-Ende einer jeden solchen Schnur ist noch ein Faden mit aufgereiheten Schneckendeckeln, zuweilen auch mit europäischen Glas-Corallen, angeknüpft, so und von den beyden obersten Enden des Brettes, fällt, auf jeder Seite der Schürze, ein langer runder Schwanz von grünen und gelben Federn herab, der an der ganzen Kleidung den größten Staat ausmacht. Vermittelst zweyer starken Schnüre, welche an den Seiten jener beyden Muscheln, (die auf der Mitte des halbenmondförmigen Brettes stehen) angebracht sind, wird die ganze seltsame Decoration an den Kopf des Leidtragenden festgemacht, so, daß sie völlig senkrecht vor ihm herunterhängt. Die Schürze bedeckt Brust und Unterleib, das Brett kömmt vor den Hals und die Schultern, und das erste Paar Muscheln gerade vors Gesicht. In einer derselben ist ein kleines Loch, damit der Trauernde sehen könne. Die obersten Muscheln, mit Innbegrif der rund darum her verbreiteten langen Federn, sind wenigstens zwey Fus höher als der Mann, welcher den Anzug trägt. Die übrigen Stücke seiner Kleidung sind nicht weniger sonderbar. Er zieht eine Matte oder ein Stück Zeug an, das, nach hiesigem Landesbrauch, in der Mitte ein Loch hat, wo man den Kopf hindurchsteckt. Über dieses zieht er noch ein zweytes von gleicher Art, wovon aber das Vordertheil fast bis auf die Füße herabhängt, und reihenweise mit Knöpfen von Cocosnuß-Schaale besetzt ist. Ein rund-gedrehter Gürtel, von braunem und weißem Zeuge, schürzt diese Kleidung um die Hüften zusammen. Längst dem Rücken hängt ein netzförmig geflochtner Mantel herunter, der mit großen, blauen Federn dicht besetzt ist; und auf dem Kopfe trägt er einen braun und gelben Turban, der mit einer Menge aus braun und weißem Zeuge zusammen geflochtner Schnüre festgebunden ist. Eine weite Kappe, die aus gleichlaufenden Streiffen, wechselsweise von braunem, gelbem und weißem Zeuge besteht, fällt hinterwärts vom Turban über Hals und Schultern weg, damit von der Gestalt des Mannes so wenig als möglich sichtbar bleibe. Gemeiniglich pflegt der nächste Verwandte des Verstorbnen diese wunderliche Tracht anzuziehen; dabey hat er in der einen Hand ein Paar große Perlmutter-Schaalen, womit er beständig klappert, in der andern Hand aber führt er einen Stock, mit Hayfisch-Zähnen besetzt, und mit diesem verwundet er alle Tahitier, die ihm zufälligerweise in den Wurf kommen.[6] Woher diese sonderbare Gewohnheit entstanden sey, können wir nicht ergründen. Indessen kommt mir's vor, als gehe die ganze Absicht bloß dahin, Schrecken zu erregen. Die fantastische Tracht ist wenigstens der fürchterlichen Gestalt, welche unsre Rocken-Philosophie den Gespenstern und Nachtgeistern beylegt, so ähnlich, daß ich fast geneigt wäre, zu glauben, es sey ein thörigter Aberglaube darunter verborgen. Vielleicht soll der vermummte Trauermann den Geist des Verstorbnen vorstellen, der von seinen zurückgelaßnen Verwandten, Wehklagen und Thränen fordert, und sie desfalls mit den Hayfisch-Zähnen verwundet. Bey einem noch so wenig aufgeklärten Volke als die Tahitier, kann eine solche Vorstellung wohl Eingang gefunden haben, so ungereimt sie an und für sich auch seyn mag. Doch will ich deshalb nicht behaupten, daß ich mit dieser Muthmaßung die wahre Absicht jenes Gebrauchs getroffen weil wir, aller Nachfrage ohnerachtet, von den Einwohnern keine Auskunft darüber erhalten konnten. Sie beschrieben uns zwar die ganze Trauer-Ceremonie, und nannten die einzelnen Stücke der dazu erforderlichen Kleidung namentlich her; warum aber das alles so und nicht anders sey? war eine Frage die wir ihnen nie verständlich genug ausdrücken konnten. Das allersonderbarste erfuhren wir noch von Maheinen, daß nemlich bey des Mannes Tode, die Frau die Trauer-Ceremonie verrichte, hingegen, wenn die Frau stirbt, der Mann den Popanz machen muß. Bey unsrer Rückkunft nach England waren die Liebhaber ausländischer Seltenheiten auf dergleichen Trauer-Kleider so neugierig, daß unter andern ein Matrose fünf und zwanzig Guineen für die seinige bekam! Aber freylich sind die Tahitier, in Ansehung der Neugier, eben so arg, als die civilisirteren Völker. Kaum hatte sich Maheine von seinen Abentheuren, hie und da etwas verlauten, und, von seinen mitgebrachten ausländischen Schätzen etwas sehen lassen; so plagten uns die Vornehmen unabläßig um Seltenheiten von Tongatabu, Waihu und Waitahu,[7] und nahmen dergleichen Kleinigkeiten, für die Lebensmittel und andre Sachen, welche sie zu Markte brachten, lieber als die nutzbarsten europäischen Waaren. Am angenehmsten waren ihnen die befiederten Kopftrachten von den beyden letzten Inseln, imgleichen die Körbe und gemahlten Zeuge der ersteren; ja sie setzten sogar einen besondem Werth auf die Matten von Tongatabu, die doch im Grunde den ihrigen völlig ähnlich waren. Unsre Matrosen machten sich das zu Nutze und hintergiengen sie oft, indem sie ihnen unter einem andern Namen, Matten verkauften, die entweder hier auf der Stelle, oder höchstens auf den andern Societäts-Inseln, eingehandelt waren. Es herrscht also eine große Ähnlichkeit unter den Neigungen der Menschen, vornemlich aber bey denenjenigen Völkern, die nicht zu den ganz ungesitteten gehören. Diese Ähnlichkeit äußerte sich noch deutlicher durch die Begierde, womit sie die Erzählungen ihres jungen gereiseten Landsmannes anhörten. Wo er sich nur blicken ließ, da drängten sich die Leute haufenweise um ihn her. Die Ältesten schätzten ihn am mehresten und die Vornehmen, selbst die von der königlichen Familie, bewarben sich um seine Gesellschaft. Außer dem Vergnügen ihn zu hören, hatten sie auch den Vortheil, allerhand artige Geschenke zu bekommen, die ihnen selten mehr, als ein Paar gute Worte kosteten. Auf diese Art brachte er seine Zeit am Lande so vergnügt hin, daß wir ihn fast gar nicht am Bord zu sehen bekamen, ausgenommen, wenn er sich etwa dies oder jenes ausbitten, oder das Schiff seinen Bekannten zeigen, und sie bey dem Capitain und andern von unserer Schiffsgesellschaft einführen wollte. Mit unter kamen seine Erzählungen den Zuhörern so wunderbar vor, daß sie nicht selten für nöthig erachteten, sich der Bestätigung wegen, an uns zu wenden. Der versteinerte Regen, die dichten, weißen Felsen und Berge, die in süßes Wasser zerschmolzen, und der immerwährende Tag in der Gegend um den Pol, waren Artikel von deren Glaubwürdigkeit wir selbst sie nicht genugsam überzeugen konnten. Daß es in Neu-Seeland Menschenfresser gebe, fand eher Glauben; doch konnten sie nie anders als mit Furcht und Grausen davon sprechen hören. Zu dieser Beobachtung gab mir Maheine Anlaß, indem er heute eine ganze Parthie Leute an Bord brachte, die blos in der Absicht kamen, den Kopf des Neu-Seeländischen Jünglings zu sehen, den Herr Pickersgill in Weingeist aufbewahrt hatte. Er ward ihnen in meiner Gegenwart vorgezeigt, und es schien mir sonderbar, daß sie für diesen Kopf eine eigne Benennung hatten. Sie nannten ihn durchgängig Te-Tae-ai, welches so viel, als Mann-Esser, zu bedeuten scheint. Durch Nachfragen bey den vornehmsten und verständigsten Leuten erfuhr ich, es sey eine alte Sage unter ihnen, daß vor undenklichen so Zeiten sich Menschenfresser auf der Insel gefunden, die unter den Einwohnern eine große Niederlage angerichtet hätten und sehr starke Leute gewesen; daß aber diese schon seit langer Zeit gänzlich ausgestorben wären. O-Mai, mit dem ich nach unsrer Zurückkunft in England hievon sprach, bekräftigte die Aussage seiner Landsleute in den stärksten Ausdrücken. Mir dünkt dieser Umstand in der alten Geschichte von Tahiti gegründet zu seyn; nicht als wollte ich daraus folgern, daß nur zufälligerweise einige Cannibalen auf der Insel gelandet und die Einwohner mit ihren Streifereyen geplagt hätten; sondern ich glaube vielmehr, daß der ursprüngliche Zustand des ganzen Volks in dieser Tradition verborgen liegt, und daß alle Tahitier Menschenfresser gewesen sind, ehe sie durch die Vortreflichkeit des Landes und des Clima, imgleichen durch den Überfluß guter Nahrungsmittel gesitteter geworden. So sonderbar es scheinen mag, so gewiß ist es doch, daß fast alle Völker, in den allerältesten Zeiten, Cannibalen gewesen sind. Auf Tahiti tritt man noch heut zu Tage Spuren davon. Capitain Cook fand bey seiner ersten Reise hieher, in einem Hause fünfzehn frische Kinnladen aufgehangen.[8] Sollten dieses nicht Siegeszeichen von ihren Feinden gewesen seyn?
Am folgenden Morgen ward ein Tahitier, der bey den Zelten ein Wasserfaß stehlen wollen, ertapt und gefangen gesetzt. O-Tuh und Tohah die etwas früh an Bord kamen, und hörten, was vorgegangen war, begleiteten den Capitain Cook ans Land, um die Bestrafung des Diebes mit anzusehn. Er ward an einen Pfahl gebunden und bekam mit ihrer Genehmigung vier und zwanzig tüchtige Hiebe. Diese Execution jagte den häufig dabey versammleten Indianern ein solches Schrecken ein, daß sie anfiengen davon zu laufen. Tohah aber rief sie zurück und zeigte ihnen in einer Anrede, die 4 bis 5 Minuten dauerte, daß unsre Bestrafung des Diebstahls billig und nothwendig sey. Er stellte ihnen vor, daß wir bey aller unsrer Macht weder stöhlen, noch Gewalt brauchten; daß wir vielmehr alles und jedes ehrlich bezahlten und oft Geschenke machten, wo wir nichts dagegen erwarten dürften; daß wir uns endlich überall als ihre besten Freunde bezeugt hätten, und Freunde zu bestehlen sey schändlich und verdiene gestraft zu werden. Die gesunde Vernunft und Rechtschaffenheit, welche der vortrefliche Alte bey dieser Gelegenheit bewies, machte uns denselben noch schätzbarer, und seine Zuhörer schienen durch die Bündigkeit seiner Rede überzeugt zu seyn. Nachmittags kam eben dieser Tohah mit seiner Frau an das Schiff; sie war schon bey gewissen Jahren, und dünkte uns, dem äussern Ansehn nach zu urtheilen, von eben so gutem Character als er. Ihr Fahrzeug bestand aus einem großen doppelten Canot, welches ein Verdeck auf dem Hintertheil und acht Ruderer hatte. Die beyden alten Leute baten Herrn Hodges und mich sie am Lande zu besuchen, also stiegen wir in ihr Canot und fuhren gleich mit nach Parre. Unterwegens erkundigte sich Tohah sehr umständlich nach der Beschaffenheit und Verfassung des Landes aus dem wir kamen. Da Herr Banks und Capitain Cook die Vornehmsten unter den Europäern waren, die er gesehen hatte; so glaubte er, jener könne wohl nichts geringers als des Königs Bruder, und dieser müsse zum wenigsten Groß-Admiral von England seyn. Was wir auf seine Fragen antworteten, hörte er mit Aufmerksamkeit und Verwundrung an: als wir ihm aber sagten, es gäbe bey uns weder Cocos-Nüsse, noch Brodfruchtbäume; so schien er England, bey allen seinen übrigen Vorzügen, doch nur für ein schlechtes Land anzusehen. So bald wir bey seiner Wohnung angelangt waren, ließ er Fische und Früchte auftragen, und nöthigte uns zu essen. Ob wir gleich erst eben zu Mittag gespeiset hatten, so wollten wir seine Einladung doch nicht gern abschlagen; wir setzten uns also, und fanden die Speisen vortreflich. Warlich! wir hätten dies herrliche Land mit Mahomets Paradiese vergleichen mögen, wo der Appetit selbst nach dem Genuß noch ungesättigt bleibt! Die Speisen standen vor uns, und wir waren schon im Begriff zuzugreifen, als Tohah uns bat, noch einen Augenblick zu verziehen; die Absicht davon zeigte sich bald, denn einer seiner Bedienten kam mit einem großen europäischen Küchenmesser und, statt der Gabeln, mit ein Paar Bambustöcker aufgezogen. Nun schnitt Tohah selbst vor und gab jedem von uns einen Bambustock, mit dem Zusätze, daß er auf englische Manier essen wolle. Anstatt also, wie andre Indianer, eine ganze Handvoll Brodfrucht auf einmal in den Mund zu stecken, schnitt er sie ganz manierlich in kleine Stücken und aß wechselsweise ein Stückchen Fisch und einen Bissen Brodfrucht, damit wir sehen sollten, wie genau er sich unsre Art zu essen gemerkt hatte. Die gute Dame speißte nachher, der unabänderlichen Gewohnheit des Landes gemäß, in einiger Entfernung. Nach der Mahlzeit giengen wir mit ihnen spatzieren und plauderten zusammen bis gegen Untergang der Sonnen, da sie in ihrem Canot nach dem District Atahuru abgiengen, der zum Theil Tohah eigenthümlich zugehörte. Sie nahmen ganz vertraulich von uns Abschied, und versprachen in wenig Tagen wieder ans Schiff zu kommen; wir aber mietheten für einen Nagel ein doppeltes Canot und langten vor Einbruch der Nacht am Borde an. Doctor Sparrmann und mein Vater waren nicht längst erst von ihrer botanischen Bergreise zurückgekommen. Nuna, der lebhafte Bursch, dessen ich im ersten Theil dieser Geschichte schon erwähnt,[9] war ihr Begleiter gewesen. Da sie (am 28sten) ihre Wanderschaft erst des Nachmittags angetreten, und gleich zu Anfang derselben, zwey tiefe Thäler und zween steile Berge zu paßiren gehabt hatten, wo der Weg vom Regen über aus schlüpfrig geworden war; so konnten sie gedachten Tages nicht weiter, als bis auf die zwote Reihe von Bergen kommen. In dieser einsamen Gegend gab es nur eine einzige Hütte, darinn ein Mann mit seiner Frau und dreyen Kinder wohnte. Bey dieser Familie nahmen sie das Nachtquartier. Der Mann verlängerte, zu ihrer Beherbergung, das Dach seiner Hütte vermittelst einiger Baumzweige, richtete ihnen ein Abendbrodt zu, und zündete alsdann ein Feuer an, bey welchem sie die Nacht hindurch wechselsweise wachten. Wir konnten dieses Feuer vom Schiffe aus sehen, und sie, ihrer Seits, hörten dagegen um Mitternacht die Schiffsglocke ganz deutlich, ohnerachtet der Ort ihres Aufenthalts, über eine halbe deutsche Meile von uns entfernt war. Die Nacht war schön und so angenehm kühl, daß sie gut genug würden geschlafen haben, wenn sie nicht ihr Wirth, der Tahea hieß, durch seinen heftigen Husten so oft gestört hätte. Bey Tages Anbruch marschierten sie weiter Berg an, und Tahea gieng, mit einer großen Ladung von Cocosnüßen, vor ihnen her. Je weiter sie kamen, desto beschwerlicher war der Weg, oft mußten sie auf einem schmalen Fußsteige schroffe Hügel paßiren, wo zu beyden Seiten die steilsten Abgründe vorhanden waren, und die von dem gestrigen Regen verursachte Schlüpfrigkeit des Bodens, machte ihnen den Gang doppelt mühsam und gefährlich. Auf einer ziemlich beträchtlichen Höhe des Berges fanden sie alles, sogar die steilsten Orte, mit dickem Gebüsch und hoher Waldung bewachsen. Aber auch die unwegsamsten Gegenden liessen sie, aus Begierde neue Pflanzen zu entdecken, nicht undurchsucht, bis etwa der plötzliche Anblick einer nahen Felsenkluft sie zurück schreckte. Noch höher hinauf erstreckte sich der Wald über den ganzen Berg, und da gab es Pflanzen, dergleichen ihnen in den niedrigen Gegenden nirgends vorgekommen waren. Als sie die nächste Bergspitze erstiegen hatten, fanden sie eine sehr gefährliche Stelle vor sich, und zu gleicher Zeit brach ein heftiger Regen ein; Tahea nahm diese Gelegenheit wahr, und gab ihnen zu verstehen, daß sie nicht füglich weiter kommen könnten. Um es jedoch nicht unversucht zu lassen, legten sie ihre schweren Säcke mit Pflanzen und Lebensmitteln an dieser Stelle ab, nahmen nichts als ein Gewehr mit sich, und erreichten auf solche Art, in Zeit von einer halben Stunde, würklich den obersten Gipfel des Berges. Da nun mitlerweile der Regen nachgelassen, und die Wolken sich zertheilt hatten, so konnten sie weit ins Meer, und bis nach den Inseln Huaheine, Tethuroa, und Tabbuamanu hinsehen. Die unter ihren Füßen liegende fruchtbare Ebene und das Thal Matavai, von einem Fluß durchschlängelt, gewähreten ihnen den reitzendsten Anblick. Hingegen war auf der Südseite der Insel, der vielen Wolken halber, nicht das Geringste zu unterscheiden. In wenig Augenblicken ward auch das Übrige des Horizonts wieder bedeckt, und es fiel ein dicker Nebel ein, davon sie bis auf die Haut naß wurden. Beym Heruntersteigen hatte mein Vater das Unglück, auf einer felsichten Stelle zu fallen, und ein Bein so schmerzhaft zu verwunden, daß er darüber fast in Ohnmacht gesunken wäre. Indessen erholte er sich wieder, und versuchte weiter zu gehen, fand aber, daß der Schmerz am Fuße nur das kleinste Übel sey, und daß er bey diesem Fall leyder noch einen andern Schaden erlitten hatte, um dessenwillen er bis auf den heutigen Tag eine Bandage tragen muß! Im Herabsteigen stützte er sich auf seinen treuen Führer Tahea, und um vier Uhr Nachmittags waren sie alle wieder an Bord. Die obersten Berge bestehen, ihrer Aussage nach, aus einer sehr festen und zähen Thon-Erde, in welcher die Pflanzen vortreflich gedeihen, und in den Wäldern giebt es allerhand unbekannte Kräuter- und Holz-Arten. Unter den letzteren suchten sie die wohlriechende Gattung ausfindig zu machen, womit die Tahitier ihr Öhl parfümiren. Tahea zeigte ihnen auch unterschiedne Gewächse, deren sie sich zu diesem Endzweck bedienen; die kostbarste Art aber konnte oder wollte er sie nicht kennen lehren. O-Mai hat mir gesagt, daß auf Tahiti mehr als vier zehn unterschiedene Pflanzen zum parfümiren gebraucht würden; man kann sich daraus leicht vorstellen, wie viel die Tahitier auf Wohl-Gerüche und balsamische Düfte halten müssen.
Seit dem Handel mit rothen Federn, hatte sich die Anzahl der gemeinen Frauenspersonen am Bord ungemein vermehret, und heute waren sie, vorzüglich, in solcher Menge gekommen, daß manche, die keinen Gespann hatten finden können, sich auf dem obern Verdeck als überzählig herumtrieben. Nächst den rothen Federn mochte auch das Verlangen nach Schweinefleisch sie herbey locken. Denn da es die geringern Leute selten zu essen bekommen; so pflegten sich diese Dirnen bey unsern Matrosen, die Überfluß daran hatten, gern zu Gaste zu bitten. Oft aber ließen sie sichs so gut schmecken, daß die Stärke ihrer Verdauungskräfte dem Übermaaß ihres Appetits nicht gleich kam, und dann mußten sie es durch unruhige Nächte büßen, welches auch ihre Gesellschafter oft im Schlafe stöhrte. Bey gewissen dringenden Gelegenheiten verlangten sie von ihren Liebhabern begleitet zu werden; da aber diese nicht immer so galant waren; so sah es am Morgen auf den Verdecken fast eben so, wie auf den Fußsteigen, am Lande aus.[10] Des Abends pflegten sich diese Frauenspersonen in unterschiedene Haufen zu theilen, und auf dem Vorder-Mittel- und Hinterdek zu tanzen. Ihre Lustigkeit gieng oft bis zur Ausschweifung und gemeiniglich waren sie sehr laut dabey. Mit unter fehlte es es ihnen aber auch würklich nicht an drolligten und originalen Einfällen. Wir hatten z. E. einen scorbutischen Patienten der bey unserer Ankunft allhier sehr schwach gewesen, aber durch den Genuß des frischen Kräuterwerks gar bald wieder besser geworden war, und daher kein Bedenken fand, dem Beyspiele seiner Cameraden zu folgen. In dieser Absicht wandte er sich an eines von jenen Mädchen und brachte sie, beym Einbruch der Dunkelheit, nach seiner Schlafstelle, wo er ein Licht anzündete. Nun sahe sie ihrem Liebhaber ins Gesicht, und da sie gewahr ward, daß er nur ein Auge hatte; so faßte sie ihn stillschweigend bey der Hand, führte ihn wieder aufs Verdeck und zu einem Mädchen, dem ebenfalls ein Auge fehlte, mit dem Beyfügen, daß diese sich recht gut für ihn schicke, Sie aber mit keinem Blinden oder Einäugigen etwas zu thun haben wolle.
[1774. Mai.]
Als sich mein Vater, zween Tage lang, von den Beschwerlichkeiten seiner letzten Bergreise und von dem dabey erlittenen Fall wieder etwas erholt hatte, gieng er ans Land und traf daselbst O-Retti, den Befehlshaber von O-Hiddea, an, welches der District und Haven ist, allwo Herr von Bougainville ehemals vor Anker gelegen hatte. Dieser Mann fragte den Capitain Cook, ob er, bey seiner Zurückkunft nach England, den Hrn. von Bougainville, den er Potawiri nannte, zu sehen bekommen würde? und da Capitain Cook mit Nein darauf antwortete, wandte er sich mit eben dieser Frage an meinen Vater. Dieser erwiederte ihm, es sey nicht unmöglich, obgleich gedachter Herr sich in einem ganz andern Lande aufhalte. „Gut, sagte O-Retti, wenn du meinen Freund siehest, so erzähle ihm, daß ich sein Freund bin, und herzlich wünsche, ihn wieder hier zu sehen; und damit du es nicht vergessen mögest, so will ich dir ein Schwein aus meinem Districte schicken, wohin ich eben im Begrif bin abzugehen."[11] Hierauf fieng er an zu erzählen, sein Freund Bougainville habe zwey Schiffe, und am Bord des einen, ein Frauenzimmer gehabt, welches aber gar nicht schön von Person gewesen sey. Er konnte nicht aufhören davon zu sprechen, denn es schien ihm gar zu sonderbar, daß eine einzige Frauensperson, sich unter so vielen Mannsleuten auf eine so weite Reise gewagt hatte.[12] Er bestätigte auch die Nachricht, welche wir schon bey unserm ersten Hierseyn vernommen hatten, daß ein spanisches Schiff hier gewesen; versicherte uns aber, daß er und seine Landsleute nicht viel auf die Spanier hielten.
O-Retti ist das wahre Ebenbild eines lebhaften, frohen, edelmüthigen Greises, und seines grauen Kopfes ohnerachtet noch so gesund und frisch, als die alten Leute auf Tahiti gemeiniglich zu seyn pflegen. Er erzählte, daß er mancher Schlacht beygewohnt, und mehr denn eine Wunde aufzuweisen habe; vornemlich war von einem Steinwurf, der ihn in den Schlaf getroffen hatte, noch eine tiefe Narbe zu sehen. Er hatte auch damals auf Tutahahs Seite gefochten, als dieser das Leben verlohren. Am folgenden Morgen gieng Doktor Sparrmann mit mir ins Thal Matavai herauf, welches von den Einwohnern Tua-uru genannt wird. Seit unserm Hierseyn hatte ich mich, meiner Schwäche wegen, so weit noch nicht gewagt; der Anblick des Pflanzenreichs kam mir daher als ein neues Schauspiel vor, das desto prächtiger war, weil der Frühling alles verjüngt, und Flur und Wald neu bekleidet hatte. Über die großen Verbesserungen, die man in dem ganzen Distrikt bemerkte, gerieth ich in Erstaunen. Allenthalben waren neue und weitläuftige Plantagen angelegt, welche in der vortreflichsten Ordnung standen. Die Zahl der neu erbauten Häuser war beträchtlich und an vielen Orten fand man Canots auf dem Stapel. Alles dies bewies, daß der Krieg, der ehemals zwischen den beyden Halbinseln obgewaltet hatte, vornehmlich diesem Theile der größern, sehr hart gefallen seyn mußte. Allein, so verwüstet derselbe auch bey unserm ersten Hierseyn noch ausgesehen hatte; so war doch jetzt nirgends eine Spur davon zu entdecken. Das ganze Land schien eine reichlich angefüllte Vorrathskammer zu seyn; bey jedem Hause fanden wir Schweine im Grase, die niemand vor uns zu verbergen suchte, wie wohl ehemals geschehen war. Auch bemerkte ich mit Vergnügen, daß der jetzige Wohlstand der Einwohner eine vortheilhafte Änderung in ihrem Betragen hervorgebracht hatte. Jetzt fiel uns niemand mehr mit Betteleyen um Corallen und Nägel beschwerlich, und, anstatt daß sie sonst die Lebensmittel an sich zu halten pflegten, beeiferten sie sich nun vielmehr es an Gastfreyheit und Freygebigkeit einander zuvor zu thun. Wir kamen nicht leicht bey einer Hütte vorbey, wo man uns nicht genöthigt hätte, einzusprechen und etwas Erfrischungen anzunehmen; und die frohe Bereitwilligkeit, womit sie das angebotene würklich hergaben, war in der That allemal sehr rührend. Gegen 10 Uhr erreichten wir die Wohnung des gastfreyen Insulaners, der uns ehedessen so gut bey sich aufgenommen hatte, als wir eines Tages sehr ermüdet von den Bergen herabkamen.[13] Auch diesmal empfieng er uns mit ein Paar Cocos-Nüssen, und bat, daß wir auf dem Rückwege das Mittagsmahl in seiner Wohnung einnehmen mögten. Sobald wir es zugesagt, befahl er, daß unverzüglich Anstalten dazu gemacht würden, und gieng unterdessen mit uns das Thal hinauf. Hinter seinem Hause gab es keine Wohnungen mehr, weil in dieser Gegend die Berge schon überaus steil wurden und sehr dicht zusammen liefen. Ohngefähr eine Meile weiter hin bestand der gegen Osten liegende Berg, auf eine Höhe von wenigstens vierzig Fuß, aus einer senkrechten Felsen-Wand. Oberhalb dieser Felsen-Masse ward er wiederum abhängig, und war von da aus, bis weit hinauf, mit Gebüsch bewachsen. Eine schöne Cascade stürzte sich vom Gipfel, längst der Felsenwand in den Fluß herab, und belebte diese sonst schauervolle, finstere und romantisch-wilde Aussicht. Schon von fern her konnte man an der Felsenwand viele, der Länge nach herablaufende, scharf hervorspringende Ecken unterscheiden, und als wir, zu näherer Untersuchung derselben, durchs Wasser heranwadeten, zeigte sich, daß der ganze Felsen aus lauter schwarzen, dichten Basalt-Säulen bestand, aus welcher Steinart die Einwohner ihr Handwerkszeug zu verfertigen pflegen. Diese Säulen mochten etwa fünfzehn bis achtzehn Zoll im Durchschnitt haben; sie standen aufrecht, parallel und dicht an einander, und von einer jeden ragten eine, höchstens zwey scharfe Ecken aus der Oberfläche des Felsen hervor. Da man jetzt durchgehends annimmt, daß Basalt eine volcanische Steinart sey, so haben wir hier einen neuen starken Beweis vor uns, daß Tahiti von unterirdischem Feuer große Veränderungen müsse erlitten haben. Über diese Säulen hinaus wird das Thal, der näher zusammentretenden Berge wegen, immer enger, und ist höchstens nur noch bis auf 2 oder 3 Meilen weit zu paßiren. Nachdem wir diese Strecke auf sehr beschwerlichen Wegen zurückgelegt, und den Fluß, der sich hier von einer Seite des Thals queer nach der andern herüberschlängelt, wenigstens funfzigmal durchgewadet hatten; so befanden wir uns an eben dem Orte, den Herr Banks als das äußerste Ziel seiner Wanderschaft angiebt.[14] Auch wir fanden es ohnmöglich weiter vorzudringen, und kehrten also ganz müde und matt wieder um. Auf dem Rückwege trafen wir, hie und da, noch einige neue Pflanzen, und erreichten innerhalb zweyer Stunden das Haus unsers freundschaftlichen Begleiters. Allda ließen wir uns die reichlich aufgetragenen Früchte und Kräuter wohl schmecken, und gaben unserm Wirth an rothen Federn was sein Herz begehrte; doch unterließen wir auch nicht, ihm allerhand Eisengeräthe mitzutheilen, damit, wenn jene Federn längst verlohren oder verbraucht wären, von unserer Anwesenheit wenigstens noch ein nutzbares Andenken übrig seyn möchte. Seine Tochter, welche wir bey unserm vorigen Hierseyn gesehen, war seitdem an einen vornehmen Mann verheyrathet, denn unsre damaligen Geschenke hatten sie zu einer der reichsten Parthien im ganzen Lande gemacht; sie wohnte aber jetzt ziemlich weit von hier.
Capitain Cook, mein Vater und einige Offiziere waren nach O-Parre gewesen, um O-Tuh zu besuchen. Bey dieser Gelegenheit hatte man sie an einen Ort hingeführt, wo eben ein Krieges-Canot gebauet ward, welches der König O-Tahiti nennen wollte. Capitain Cook aber, der dem Fahrzeuge lieber den Namen Brittannia beyzulegen wünschte, schenkte dem Könige in dieser Absicht eine kleine englische Flagge, einen kleinen Anker und das dazu gehörende Tau. Da nun Se. Majestät zu der Veränderung des Namens sogleich ihre Einwilligung gaben; so ward die Flagge aufgesetzt und das Volk bezeugte nach Art unsrer Matrosen, durch ein dreymaliges Freudengeschrey, sein Wohlgefallen darüber.
Ich hatte Herrn Hodges angerathen, die Cascade, die wir im Thal angetroffen, ihres mahlerischen Anblicks wegen, zu besuchen; er gieng also am folgenden Tage in Begleitung unterschiedner Herren dahin, und fertigte, sowohl von dem Wasserfall als von den darunter stehenden Basalt-Säulen, eine Zeichnung an. In seiner Abwesenheit ließen wir uns eine große Albecore (Scomber thynnus Linnæi) gut schmecken, die aber keinem, der davon gegessen hatte, gut bekam. Sie verursachte uns eine fliegende Hitze im Gesicht nebst heftigem Kopfweh, zum Theil auch Durchlauf; und ein Bedienter, der seine ganze Mahlzeit davon gehalten hatte, ward mit heftigem Brechen und Durchlauf befallen. Vermuthlich war der Fisch mit einer betäubenden Pflanze gefangen, von deren schädlichen Eigenschaft das Fleisch etwas angenommen haben mogte.
Um diese Zeit erfuhren wir, daß Maheine die Tochter eines im Thal Matavaï wohnhaften Befehlshabers, Namens Toperri, geheyrathet habe. Einer unsrer jungen See-Offiziere, von dem sich diese Nachricht herschrieb, rühmte uns, daß er bey der Verheyrathung zugegen gewesen, und die dabey vorgefallen Ceremonien mit angesehen habe; als wir ihn aber um die Beschreibung derselben ersuchten, gestand er, „daß sie zwar sehr sonderbar gewesen wären, doch könne er sich keiner insbesondre erinnern, wisse auch nicht wie er sie erzählen solle.“ Auf solche Art entgieng uns eine merkwürdige Entdeckung, die wir bey dieser Gelegenheit über die Gebräuche dieses Volks hätten machen können; und es war zu bedauern, daß kein verständigerer Beobachter zugegen gewesen, der wenigstens das was er gesehen, auch hätte erzählen können. Indessen kam Maheine mit seiner Neuvermählten an Bord. Sie war noch ein sehr junges Mädchen, klein von Statur, und nicht sonderlich schön von Ansehen. Aber aufs Betteln verstand sie sich vortreflich. Sie gieng durchs ganze Schiff um sich Geschenke auszubitten, und da ihr Mann allgemein beliebt war; so bekam sie Corallen, Nägel, Hemden, und rothe Federn die Menge. Der neue Ehemann erzählte uns, seine Absicht sey, sich auf Tahiti niederzulassen, denn seine Freunde hätten ihm allhier Land, Haus und alle Arten von Eigenthum angeboten. Er war in die Familie eines Eri aufgenommen, vom Könige selbst geachtet, und stand durchgehends in großen Ehren; ja einer seiner Freunde hatte ihm bereits einen Tautau, oder Leibeigenen zugegeben, welches ein Knabe war, der ihn bedienen, ihm allenthalben nachtreten und jederzeit zu Gebot seyn mußte.
Obgleich Maheine den Gedanken, mit uns nach England zu gehen, aufgegeben hatte; so war doch der muntre Nuna, dessen ich einigemal erwähnet, von seinem ehemals geäußerten, ähnlichen Vorhaben noch nicht abgegangen, sondern lag meinem Vater und andern Herren noch immer dringend an, daß sie ihn mit an Bord nehmen mögten. Mein Vater dem er von je her Wohlgefallen hatte, war gesonnen, ihn ganz auf seine Kosten mitzunehmen, und unter dieser Bedingung gab auch der Capitain sogleich seine Einwilligung dazu. Man sagte dem Knaben zwar, er dürffe nicht hoffen, dereinst nach seinem Vaterlande zurückzukehren, indem es zweifelhaft sey, ob jemals wieder ein Schiff nach Tahiti geschickt werden mögte. Allein, er war viel zu sehr für diese Reise eingenommen, als daß irgend eine Vorstellung ihn hätte auf andre Gedanken bringen sollen; er entsagte der Hoffnung, sein Vaterland wieder zu sehen ganz willig, damit er nur das Vergnügen haben mögte, das unsrige kennen zu lernen. Indessen war seine Freude nur von kurzer Dauer, denn gegen Abend besann sich der Capitain anders und nahm sein gegebnes Wort wieder zurück, so daß der arme Nuna zu seiner großen Betrübniß da bleiben mußte. Mein Vater hatte die Absicht, ihm das Zimmer- und Schmiede-Handwerk lernen zu lassen; mit Hülfe dieser Kenntnisse würde er bey seiner Zurückkunft, meines Erachtens, ein etwas nützlicheres Mitglied der Gesellschaft geworden seyn als sein Landsmann O-Maï, der von einem fast zweyjährigen Aufenthalt in England, nichts mit nach Hause bringt, als die Geschicklichkeit, den Insulanern auf seinem Leyerkasten etwas vorzuorgeln, oder, ihnen ein Marionetten-Spiel vorzumachen!
Wir brachten verschiedne Tage damit zu, in den Gefilden von Matawaï und in dem großen Thal Ahonnu, welches das fruchtbarste und zugleich das schönste auf der ganzen Insel ist, unsre botanischen Untersuchungen fortzusetzen. Nachdem wir auf solche Art die Flora der Ebenen gänzlich erschöpft zu haben glaubten, giengen mein Vater, Dr. Sparrmann und ich am 6ten, des Nachmittags, abermals nach den Bergen aus, um dort noch eine kleine Nachlese zu halten. Die gute Bewirthung, welche Tahea meinem Vater das vorige mal hatte wiederfahren lassen, bewog uns wieder bey ihm einzukehren, doch dünkte es uns diesmal nicht mehr nötig, die Nacht hindurch ein Feuer zu unterhalten, und wechselsweise dabey zu wachen. Tahea war ein lustiger drolliger Bursche; er verlangte unter andern, wir sollten ihn Medua „Vater" und seine Frau O-Pattea[15] Mutter nennen.
Ohnerachtet wir nicht die Absicht hatten bis auf die höchsten Berggipfel zu klettern, so machten wir uns doch schon vor Sonnen-Aufgang auf den Weg. Die Vögel schliefen noch ruhig auf den Büschen, so daß unsere Begleiter, Tahea und sein Bruder, etliche Meerschwalben (Sterna) [Abb. 5110?] mit der Hand griffen. Sie sagten uns, daß auf diesen Bergen viel Wasservögel zu übernachten, und daß vornemlich die tropischen Vögel (Phæton æthereus Linnæi) hier zu nisten pflegten. Daher sind auch die langen Schwanzfedern, welche sie alle Jahr abwerfen, in diesen Berggegenden am häufigsten zu finden und werden daselbst von den Einwohnern fleißig aufgesucht. Wir schössen eine Schwalbe und fanden allerhand neue Kräuter; da sich aber der Horizont, in unsrer Nachbarschaft zu bewölken anfieng, so eilten wir, um unsre Pflanzen trocken zu behalten, nach dem Schiff zurück, und kamen um 4 Uhr des Nachmittags wieder an Bord. Die ganze königliche Familie war daselbst versammlet, und O-Thus älteste Schwester, Nihaurai, die an T'Eri Derre, Ammo's Sohn[16] verheyrathet war, befand sich auch mit darunter. Des Königs zweetem Bruder, T'Eri Watau gefiel es so wohl bey uns, daß er, ohngeachtet die übrigen alle weggiengen, die ganze Nacht hindurch an Bord blieb. Um ihm eine Veränderung zu machen, ließen wir vom Mastbaume Raketen und andre kleine Kunstfeuer abbrennen, worüber er ungemein viel Vergnügen bezeigte. Beym Abendessen rechnete er uns alle seine Verwandten vor, erzählte uns auch manches aus der neueren Geschichte von Tahiti, welches mir bey meiner Zurückkunft nach England, durch O-Maï’s übereinstimmende Aussage bestätigt ward. Von jenem erfuhren wir, daß Ammo, Happai und Tutahah drey Brüder wären, davon der älteste, Ammo, König von ganz Tahiti gewesen sey. Dieser verheirathete sich mit O-Purea (Oberea) einer Prinzeßin aus königlichem Geblüte, und erzeugte mit ihr T'Eri-Derre, dem sogleich der Titel Eri-Rahai oder König von Tahiti beygelegt wurde.
Zu der Zeit als Capitain Wallis diese Insel besuchte, führte Ammo noch die Regierung, und mit ihm herrschte O-Purea (oder Oberea,) als Königinn. Allein, ein Jahr nachher (nemlich 1768) brach zwischen Ammo und seinem Vasallen Aheatua, dem Regenten der kleinern Halb-Insel von Tahiti, ein Krieg aus. Aheatua landete zu Paparre, wo Ammo gewöhnlich residirte, richtete unter dem Heere desselben eine große Niederlage an, steckte die Häuser und Pflanzungen in Brand, und führte, was er an Schweinen und Hünern habhaft werden konnte, mit sich weg. Ammo und Purea mit ihrem ganzen Gefolge, zu welchem auch, seinem eignen Geständniß nach, O-Mai gehörte, flüchteten damals, (im December gedachten Jahres) in die Gebirge, Endlich machte der Sieger unter der Bedingung Friede, daß Ammo die Regierung niederlegen, sein Sohn aber das Recht der Nachfolge willig an O-Tuh, den ältesten Sohn seines Bruders Happai, abtreten sollte. Dies ließen sich die Überwundenen gefallen, und, während der Minderjährigkeit des O-Tuh, ward Tutahah, der jüngere Bruder des ehemaligen Regenten, zum Administrator bestellt. Diese Revolution hat viel Ähnliches mit denenjenigen, die in den despotischen Staaten Asiens so oft vorfallen. Selten wagts allda der Sieger, die eroberten Länder selbst zu beherrschen. Gemeiniglich begnügt er sich, sie rein auszuplündern, und setzt alsdenn, aus der königlichen Familie des Landes, einen andern zum Regenten ein. Nicht lange nach obgedachtem Vorfall veruneinigte sich O-Purea mit ihrem Gemahl, und von Worten kam es zu Thätlichkeiten. Also hielten sie es fürs Beste, von einander zu scheiden. Er nahm sich zur Schadloshaltung eine sehr hübsche junge Person als Beyschläferin, und Sie theilte ihre Gunstbezeugungen einem gewissen Obadi, und noch andern Liebhabern mit. Ammo scheint jedoch an diesen Zwistigkeiten am mehresten Schuld zu seyn, und zwar durch eheliche Untreue; denn obgleich diese hier nicht so häufig als in England vorfällt, so ist sie doch eben nichts ganz Unerhörtes, vornemlich, wenn die Dame bey zunehmenden Jahren und abnehmenden Reitzen noch immer eitel genug ist, von ihrem Manne die zärtliche Aufmerksamkeit eines Bräutigams zu erwarten. Am Bord unsers eigenen Schiffes, trug sich ein Vorfall dieser Art zu. Polatehera, die ehemals mit Potatau verheyrathet gewesen, seit einiger Zeit aber von ihm geschieden war, hatte sich, sobald ihr voriger Mann anderweitig versorgt war, auch ihrer Seits einen jüngern Mann oder Liebhaber angeschafft. Dieser lebte aber mit einem andern Mädchen in gutem Vernehmen und hatte unser Schiff zum Ort seiner Zusammenkunft mit ihr gewählt. Unmöglich konnte dies geheime Verständniß ganz unbemerkt bleiben. Die handveste Polatehera,[17] ertappte sie also einmal des Morgens, und ließ ihrer Mitbuhlerin den Ausbruch ihres Zorns ganz thätig, dem betroffnen Liebhaber hingegen die bittersten Vorwürfe wegen seiner Untreue empfinden.
Zu der Zeit da Capitain Cook in der Endeavour hier ankam, war die Regierung der Insel in Tutahahs Händen. Nicht lange nach der Abreise desselben suchte Tutahah, der den Schimpf, welchen Aheatua seiner Familie zugefügt hatte, noch immer nicht vergessen konnte, die Vornehmern auf O-Tahiti-nue, oder der größern Halb-Insel, zu überreden, daß sie sich zu einem neuen Kriege gegen den Aheatua mit ihm vereinigen mögten. Vielleicht verließ er sich hiebey auf die Reichthümer, die er von den Europäern geschenkt bekommen, vielleicht wandte er auch einen Theil derselben an, um die Großen der Insel in sein Interesse zu ziehen. Genug es ward eine Flotte ausgerüstet, und mit dieser seegelte er nach Teiarrabu. Aheatua hatte sich zwar in gute Verfassung gesetzt, seinen Feind zu empfangen, da er jedoch schon bey Jahren war,[18] und seine Tage lieber in Frieden zu beschließen, als einen neuen Krieg anzufangen wünschte; so schickte er dem Tutahah Abgeordnete entgegen, und ließ ihm versichern, daß er sein Freund, und bereit sey, es immer zu bleiben; er bäthe ihn also friedlich nach seinem Lande zurückzukehren, und ein Volk, das keine Feindschaft gegen ihn hegte, nicht feindselig zu behandeln. Tutahah war aber nicht von seinem Vorhaben abzubringen, sondern gab vielmehr gleich Befehl zum Angriff. Der Verlust hielt auf beyden Seiten so ziemlich das Gleichgewicht: doch zog sich Tutahah zurück, wiewohl aus keiner andern Absicht, als um seinen Feind zu Lande anzugreifen. Happai mißbilligte diesen Schritt und blieb daher mit seiner ganzen Familie zu O-Parre zurück. Tutahah kehrte sich aber daran nicht, sondern gieng in Begleitung O-Tuh's auf die Erdenge los, welche die beyden Halb-Inseln mit einander verbindet. Hier kam es zwischen ihm und Aheatua zu einer Schlacht, in welcher Tutahas ganze Armee auseinander gesprengt wurde, und er selbst das Leben einbüßte. Einige Leute versicherten, er sey gefangen und nachher, auf Befehl des Siegers, ums Leben gebracht worden; andre aber, unter denen auch O-Maï war, behaupteten, er sey würklich auf dem Schlachtfelde geblieben. O-Thu flüchtete mit einigen vertrauten Freunden auf die Berge, indeß Aheatua sein siegreiches Heer nach Matavai und O-Parre führte. Bey Annäherung des Überwinders floh auch Happai in die Gebürge, Aheatua aber ließ so ihm durch einen Bothen sicheres Geleit versprechen und ausdrücklich andeuten, er habe gegen ihn und seine Familie im geringsten keine Absichten, sondern sey noch jetzt, so wie von je her, zum Frieden geneigt. Durch eben diesen Bothen erfuhren die Flüchtlinge auch, daß Tutahah auf dem Platz geblieben sey, O-Tuh aber vermißt werde, ohne daß man sagen könne, wo er hingekommen. Happai wagte es also, im Vertrauen auf Aheatua's Wort, aus seinem Schlupfwinkel hervorzukommen, und bald darauf langte auch O-Tuh, durch ungebahnte und sehr beschwerliche Wege, mit seinen wenigen Gefährten wiederum bey seinem Vater an. Hierauf ward sofort ein allgemeiner Friede geschlossen, und O-Tuh übernahm von Stund an die Regierung selbst. Nach den beträchtlichen Landes-Verbesserungen zu urtheilen, die er seit dem Antritt seines Regiments, während unsrer acht monatlichen Abwesenheit, zu Stande gebracht, muß O-Tuh ein Mann von ganz guten Einsichten seyn, und das allgemeine Beste seiner Unterthanen durch schickliche Mittel zu befördern wissen. Aheatua starb bald nach geschlossenem Frieden, und sein Sohn, gleiches Namens, den wir im August 1773 zu Aitepiha antrafen, folgte ihm in der Regierung von Teiarrabu.
Te-Eri Watau, dem wir die vorstehenden Nachrichten zu verdanken hatten, gab uns zugleich über die Genealogie der Königlichen Familie folgende Auskunft. Sein Vater, sagte er, habe acht Kinder. 1. Tedua[19] d. i. die Prinzessin, Nihaurai wäre die älteste von allen, ohngefähr dreyßig Jahre alt, und an Ammo's Sohn, Namens T'Eri-Derre, verheyrathet; 2) Die zweyte Tedua (Prinzessin) heiße Tauraï, sey unverheyrathet, und ohngefähr sieben und zwanzig Jahr alt; diese schien bey dem hiesigen Frauenzimmer fast in eben so allgemeinem Ansehen zu stehen, als der König auf der ganzen Insel. 3) O-Tuh, der Eri-Rahai, oder König von Tahiti, ohngefähr 26 Jahr alt; ich habe bereits weiter oben gedacht, daß jedermann zum Zeichen der Ehrfurcht in seiner Gegenwart die Schultern entblößen mußte, und unser Tahitischer Historiograph sagte mir heute, daß auch Aheatua, ohngeachtet er Regent der kleineren Halb-Insel sey, dennoch, als Vasall des Königes, zu eben dieser Ehrenbezeugung sich bequemen müsse. 4) Tedua Tehamai, oder Prinzessin Tehamai, die dem Alter nach auf O-Tuh folgt, starb in der Jugend. 5) T'Eri-Watau selbst (von dem sich alle diese Nachrichten herschreiben,) ist der nächste in der Ordnung, und schien ohngefähr 16 Jahr alt zu seyn; er sagte, daß er noch einen andern Namen habe, der mir aber entfallen ist, und ich vermuthe, daß es nur sein Ehrentitel gewesen. 6) Sein nächster Bruder, Tubuaïterai, auch Mayorro genannt, ist ein Knabe von 10 oder 11 Jahren. 7) Erreretua, ein kleines Mädchen von 7 Jahren, und 8) Tepaau, ein Knabe von 4 bis 5 Jahren, sind die jüngsten. Eine gesunde, keinesweges aber corpulente Leibesbeschaffenheit, und ein dickes buschichtes Haupt-Haar, schien das eigenthümliche Merkmal der ganzen Familie zu seyn. Ihre Gesichtszüge waren meistentheils gefällig; ihre Farbe aber sehr braun, Nihaurai und O-Tu ausgenommen. Die ganze Familie schien bey dem Volke sehr beliebt zu seyn, so wie überhaupt die Zuneigung gegen die Befehlshaber, einen Zug im National-Charakter der Tahitier ausmacht. Wirklich verdiente auch die königliche Familie, ihres durchgängig leutseligen und gutherzigen Betragens wegen, mit Recht allgemeine Liebe. Tedua Taurai begleitete den König fast jedesmal, wenn er zu uns ans Schiff kam; und dann hielt sie es ihrem Range im geringsten nicht zuwider, von den gemeinsten Matrosen, gegen Zeug und andre Merkwürdigkeiten, rothe Federn einzuhandeln. Einstmals war sie mit O-Tu, dem Capitain und meinem Vater, in der Cajütte, um unsern Vorrath von Eisengeräth und andern Handlungs-Artikeln durchzusehen. Zufälligerweise ward der Capitain herausgerufen, und kaum hatte er den Rücken gewandt, so flüsterte sie ihrem Bruder etwas ins Ohr. Dieser ließ sichs darauf sehr angelegen seyn, meines Vaters Aufmerksamkeit durch allerley Fragen an sich zu ziehen. Mein Vater merkte, worauf es abgesehen sey. Da nun die gute Prinzessin meynte, daß man ihr nicht auf die Finger sahe, so nahm sie ganz behende ein Paar Sparren-Nägel fort, und verbarg solche in den Falten ihrer Kleidung. Als Capitain Cook wieder herein kam, erzählte ihm zwar mein Vater den schlauen Streich, den Ihro Durchlaucht ausgeführt hatten: Allein sie hielten es beyde fürs beste, sich anzustellen, als wären sie nichts davon gewahr worden. Sie hatte schon bey mehreren Gelegenheiten eine unwiderstehliche Neigung blicken lassen, eins und das andre heimlich zu entwenden. Gleichwohl hatte man ihr noch nie etwas abgeschlagen; sondern ihr fast allezeit mehr geschenkt, als sie gefordert. Es war also seltsam genug, daß sie darauf verfiel, das zu entwenden, was sie auf eine weit anständigere Weise hätte erlangen können; vielleicht fand sie aber deshalb ein besonders Wohlgefallen an gestohlnen Sachen, weil sie diese blos ihrer eignen Geschicklichkeit zu verdanken zu haben glaubte. Wenn ihr die Tahitischen Mädchen nicht zu viel nachgeredet; so muß sie überhaupt sehr viel auf verstohlne Freuden halten, denn sie gaben ihr Schuld, daß sie sich des Nachts wider Wissen ihres Bruders, mit den gemeinsten Tautaus zu thun machte. Verhält sich's würklich also, so wäre es sonderbar genug, wenn hier zu Lande, wo jedermann den Trieben der Natur ohne Bedenken folgt, gerade bey Prinzessinnen und Vornehmen darinn eine Ausnahme statt finden sollte, da diese doch sonst gemeiniglich vor allen andern gewohnt sind, ihrem Willen ohne Einschränkung zu folgen. Aber so ist es: die menschlichen Leidenschaften sind allenthalben dieselben. Sclaven und Fürsten haben einerley Instincte; folglich muß die Geschichte ihrer Wirkungen auch überall, in jedem Lande, eine und eben dieselbige bleiben.
Am andern Morgen kam O-Tuh in aller Frühe nach Point Venus, und gab dem Serjeanten, der allda campirenden See-Soldaten Nachricht, daß jemand seiner Unterthanen unsrer Schildwacht die Muskete gestohlen, und mit selbiger entlaufen sey; zu gleicher Zeit fertigte er an seinen Bruder T'Eri-Watau, der seit gestern Abend noch bey uns am Bord war, einen Bothen ab und ließ ihn abrufen, worauf uns dieser auch, gleich nach dem Frühstück verließ. Der König erwartete ihn schon am Strande, und so bald er ankam, flüchteten beyde, nebst den übrigen Königl. Herrschaften, nach Westen, aus Furcht, man mögte die gestohlne Muskete von Ihnen fordern. Um sie nun demohnerachtet wieder zu bekommen, brauchte Capitain Cook, wie er in dergleichen Fällen schon mehrmalen mit gutem Erfolg gethan hatte, Repressalien, und nahm einige doppelte Reise-Canots in Beschlag, die unterschiednen vornehmen Leuten, und vornemlich einem gewissen Maratata angehörten, als welchem man Schuld gab, er habe einem seiner Leute anbefohlen, die Muskete zu entwenden. Maratata befand sich eben in seinem Canot und suchte dem Embargo durch die Flucht zu entgehen. Als aber Capitain Cook auf das Fahrzeug einige Schüsse thun ließ, sprang er mit sammt seinen Ruderern in die See, und schwamm nach dem Ufer zu, wir aber nahmen das Canot an uns. Gegen Abend kam Tih an Bord, und zeigte an, der Dieb sey nach der kleinen Halb-Insel, oder nach Teiarrabu geflüchtet; es wurden also die angehaltnen Canots, das von Maratata ausgenommen, wieder frey gegeben. Indessen hatte diese Verdrießlichkeit die Insulaner ziemlich verscheucht; am Bord waren nur sehr wenige, und Frauenspersonen gar nicht. Als Capitain Cook endlich gegen Abend ans Land gieng, kamen ihm etliche Tahitier ganz außer Athem und von Schweiß triefend entgegen, und brachten nicht nur die Muskete, sondern auch einen Bündel Kleider und ein doppeltes Stunden-Glas, mit sich, welches alles zu gleicher Zeit war entwendet worden. Sie erzählten dabey, daß sie den Dieb eingeholt, ihn tüchtig abgeprügelt, und gezwungen hätten, ihnen den Ort anzuzeigen, wo er die gestohlnen Sachen im Sande verscharret gehabt. So treuherzig sie sich aber auch dabey anstellten, so mogte es mit ihrer Erzählung doch wohl nicht so ganz klar seyn, wenigstens war der eine dieser Gesellen vor kurzer Zeit noch bey den Zelten gewesen, dergestalt, daß er unterdessen ohnmöglich so weit gelaufen seyn konnte, als sie vorgaben. Indessen stellten wir uns, als ob wir nichts argwohnten, sondern machten ihnen vielmehr allerhand Geschenke, damit sie sehen sollten, daß wir jederzeit geneigt wären, ihren Diensteifer zu belohnen. Am folgenden Tage war der bisherige Handel gänzlich eingestellt, es zeigte sich niemand, der etwas zum Verkauf gebracht hätte. Tih war der einzige, der an Bord kam; Er bath, wir mögten den König zu Parre aufsuchen und wieder besänftigen, denn er sey Matau, eine zweydeutige Redensart aus der Hofsprache, die so viel sagen wollte, der König sey ungehalten und in Besorgniß, deshalb man ihn durch einige Geschenke wieder zufrieden stellen und guten Muthes machen müsse. Zu Erreichung dieser Absicht verfügte sich der Capitain, nebst meinem Vater, zu ihm, Dr. Sparrmann aber und ich, begaben uns nach den Zelten. Wir fanden die Tahitier über den gestrigen Vorfall, und besonders darüber, daß wir selbst uns hatten Recht verschaffen wollen, nicht wenig betreten. Der König hatte ihnen ausdrücklich untersagt, uns keine Lebensmittel zu verkaufen; gleichwohl konnten sie es, ihrer angebohrnen Gastfreyheit nach, ohnmöglich übers Herz bringen, uns nicht mit Cocos-Nüssen und andern Erfrischungen zu bewirthen. Gegen Mittag kamen wir wieder an Bord zurück, und fanden daselbst den Capitain, der in der Zwischenzeit bey dem Könige schon alles wieder gut gemacht hatte. Diese Nacht mußten sich die Matrosen ohne ihre gewöhnliche Gesellschaft behelfen. Der König hatte es den Frauensleuten, für heute, ausdrücklich untersagt, damit durch die Diebereyen derselben nicht neue Händel entstehen mögten. Am folgenden Tage hingegen hatten sie sich vermuthlich schon wieder Erlaubniß ausgewürket, an Bord zu kommen; und nächst ihnen langten auch von neuem eine Menge Canots mit Lebensmitteln und frischen Fischen an. Capitain Cook schickte Maheinen nach dem District Atahuru ab, um dem daselbst wohnenden Admiral Tohah, für einige Schweine die er uns zugeschickt hatte, allerhand Gegengeschenke zu überbringen. In seiner Abwesenheit kam Opurea (Oberea) an Bord, und brachte dem Capitain Cook ebenfalls zwey Schweine. Das Gerücht von unsern rothen Federn hatte sich bis nach ihrem Wohnsitz, in die Ebnen von Paparra, verbreitet, und sie machte gar kein Geheimniß daraus, daß sie blos in der Absicht hergekommen sey, sich einige davon auszubitten. Dem Ansehen nach mochte sie jetzt zwischen vierzig und fünfzig Jahren seyn; sie war groß und stark von Cörper; und ihre Gesichtszüge, die vielleicht vor Zeiten angenehmer gewesen, hatten nunmehro ein ziemlich männliches Ansehen bekommen. Doch bemerkte man in ihrer Physiognomie noch immer Spuren von ehemaliger Majestät. Ihr Blick schien immer noch befehlerisch und in ihrem Betragen war etwas freyes und edles. Sie blieb nicht lange bey uns, vielleicht, weil es ihr wehe that, in unsern Augen nicht mehr so viel als vormals zu bedeuten. Sie begnügte sich nach einigen ihrer Freunde, die vor etlichen Jahren auf dem Schiffe Endeavour hier gewesen waren, zu fragen, und ließ sich sodann in ihrem Canot wieder ans Land bringen. Um eben die Zeit besuchte uns auch ihr voriger Gemahl O-Ammo; diesem widerfuhr aber noch weniger Achtung, als der O-Purea. Da ihn die Matrosen nicht kannten, so hatte man ihm, als einem ganz unbedeutenden Mann, so gar den Zutritt in des Capitains Cajütte verweigert, und es ward ihm auch ziemlich schwer gemacht, nur seine Schweine anzubringen, denn wir hatten deren jetzt fast mehr am Borde als wir bergen konnten. Ammo und O-Purea, die sich noch vor weniger Zeit auf dem höchsten Gipfel der Ehre befanden, waren jetzt tief herabgesunken und dürftig; mit einem Wort, lebendige Beyspiele von der Unbeständigkeit aller irrdischen Größe!
Am 12ten suchten wir dem Könige mancherley Veränderungen zu machen. Wir feuerten unsre scharf geladenen Canonen ab, so, daß die Kugeln und Kartetschen über das Rief ins Meer schlugen, welches für ihn und einige Tausend andere Zuschauer ein sehr angenehmes und bewundrungswürdiges Schauspiel war. Bey Einbruch der Nacht ließen wir Raketen und Luftkugeln steigen, worüber sie noch mehr Vergnügen und Erstaunen bezeigten. Sie hielten uns für ganz außerordentliche Leute, und wußten nicht, was sie dazu sagen sollten, daß wir Blitze und Sterne nach Belieben hervorbringen könnten. Unsern Feuerwerken gaben sie den hochtönenden Namen: Hiwa Bretanni, das brittische Fest.
Am folgenden Tage war der Zulauf von Menschen, die an Bord kamen, ungewöhnlich groß. Sie hatten bemerkt, daß wir uns zur Abreise anschickten, und daher brachten sie, statt Lebensmittel, lauter Zeug und andre Seltenheiten, die alsdenn gemeiniglich noch am theuersten bezahlt wurden. Nachmittags giengen wir mit dem Capitain Cook nach O-Parre und fanden daselbst unsern würdigen Freund, Tohah nebst Maheinen. Tohah war an einer Art von Gicht sehr krank gewesen, und klagte noch über Schmerz und Geschwulst an den Füßen. Dem ohngeachtet hatte er sich auf den Weg gemacht, um Abschied von uns zu nehmen, und versprach, morgen noch an Bord zu kommen. O-Tuh war gleichfalls da, und ließ sich verlauten, daß er uns einen Vorrath von Brodfrucht zugedacht habe, womit uns, damals, mehr als mit Schweinen gedient war. Des folgenden Morgens (am 14.) bekamen wir von vielen Vornehmen aus der ganzen Insel Besuch. Happai und alle seine Kinder, O-Tuh ausgenommen, waren mit unter dieser Zahl. Um 8 Uhr langte auch Tohah mit seiner Frau an, und hatte eine ganze Bootsladung von allerhand Geschenken bey sich. Der gute alte Admiral befand sich so übel, daß er nicht auf den Beinen stehen konnte; gleichwohl wünschte er herzlich, aufs Verdeck zu steigen; da er aber zu schwach dazu war, so ließen wir ihn, in einem an Tauen befestigten Tragesessel, in die Höhe winden, worüber er so viel Vergnügen, als seine Landsleute Erstaunen bezeigte. Wir nahmen Gelegenheit, das Gespräch auf die bevorstehende Expedition nach der Insel Eimeo zu lenken, da er uns denn versicherte, daß sie bald nach unsrer Abfahrt vor sich gehen würde, und daß ihn seine Unpäßlichkeit nicht abhalten sollte, die Flotte in Person zu commandiren. Es würde ja, setzte er hinzu, wohl nicht viel daran gelegen seyn, wenn ein so alter Mann, als er, das Leben verliehren sollte, weil er in der Welt doch nicht viel Nutzen mehr stiften könnte. Seiner Krankheit ohnerachtet, fanden wir ihn überaus heiter und lustig. Überhaupt war seine Denkungsart edel, uneigennützig, und schien wahrhaft heroisch zu seyn. Er nahm mit so vollem Herzen und einer so sichtbaren Rührung von uns Abschied, daß es in jeder fühlenden Seele Wehmuth erregte, und einen Misanthropen wieder mit der Welt hätte aussöhnen können. Maheine, der ihn an Bord begleitet hatte, entschloß sich kurz und gut mit uns nach Raietea zu gehen, von da aus wollte er seine Verwandten und Freunde in den Societäts- Inseln nach der Reihe besuchen, und dann, so bald er Gelegenheit finden würde, wieder nach Tahiti zurückkehren. Dieser Gedanke war so unrecht nicht. Er hatte in unterschiednen von diesen Inseln eigenthümliche Besitzungen, die er vortheilbaft los zu schlagen wünschte, um alle das Seinige in Tahiti beysammen zu haben. Ein solcher Plan war einer Reise werth. Er hatte sich verschiedne Gesellschafter mitgebracht, die aus Borabora gebürtig waren, diese stellte er dem Capitain Cook vor, und erklärte dabey, daß der eine davon sein leiblicher Bruder sey. Sie baten um Erlaubniß, auf unserm Schiffe nach den Societäts-Inseln gehen zu dürfen, und Capitain Cook bewilligte es ihnen ohne Bedenken. Maheine eröffnete uns mit einer Art von Prahlerey, jedoch im Vertrauen, daß er vorige Nacht bey O-Purea die Aufwartung gehabt habe, und sahe es als eine große Ehre und als einen besonderen Vorzug an; er zeigte uns auch einige Stücke sehr feinen Zeuges, welche sie ihm zur Belohnung der treu geleisteten Dienste geschenket hätte. O-Purea war also für die Freuden der Sinnlichkeit noch immer nicht zu alt, ohnerachtet in diesem so warmen Clima die Weiber früher reifen, und folglich auch, verhältnißweise, früher alt und stumpf werden sollten als bey uns zu Lande. Da O-Tuh nicht an Bord gekommen war, so statteten wir ihm noch einen Besuch ab, und sahen bey dieser Gelegenheit eine Anzahl Krieges-Canots, am Gestade von O-Parre vor Anker. Es waren ihrer vier und vierzig, die insgesammt nach Tittahah gehörten, welches der kleinste District in der nordwestlichen Halbinsel von Tahiti ist. O-Tuh ließ in unsrer Gegenwart einige Kriegs-Manövres machen, die zu unsrer Verwundrung mit der größten Fertigkeit ausgeführt wurden. Die Befehlshaber waren alle in ihren Kriegsrüstungen mit Brustschildern; aber ohne Helme. Wir fanden auch einige noch ganz junge Knaben dabey, die gleichfalls als Krieger gekleidet waren, und mit dem Speer eben so geschickt umzugehen wußten, als die Erwachsenen. Um die Wurfspieße der Feinde auszupariren, hatten sie eine besondre Methode. Sie ließen nemlich die Spitze eines Speers oder einer langen Streitaxt gerade vor sich auf dem Boden ruhen, und hoben das andre Ende mit einer Hand so weit in die Höhe, daß die Linie des herabgesenkten Speeres, gegen ihren Körper zu, einen Winkel von ohngefähr 25 bis 30 Grad ausmachte. In dieser Richtung bewegten sie den Speer, dessen Spitze immer auf ihrem Ruhepunkte blieb und folglich gerade vor ihnen aus stand, je nachdem der Wurf ihres Gegners es nöthig machte, bald auf diese, bald auf jene Seite. Durch diese einfache Bewegung ward der Speer des Feindes allemal ausparirt und prallte, ohne Schaden zu thun, an dem vorgelehnten Wurfspies ab. Etliche Canots mußten auch im Rudern Evolutionen machen. Sie passirten eines nach dem andern durch die schmale Einfahrt des Felsenriefs; und sobald sie innerhalb hinein waren, formirten sie eine Linie und schlossen dicht aneinander. Auf dem mittelsten Canot stand ein Mann hinter dem Streit-Gerüste, der den Ruderern mit einem grünen Zweige Signale gab, sich links oder rechts zu wenden. Auf diese Art ruderten sie wie nach dem Tact und so gleichförmig, daß man hätte glauben sollen, die vielen hundert Ruder würden alle nur durch ein mechanisches Triebwerk in Bewegung gesetzt. Der Oberaufseher über die Ruderknechte, läßt sich gewissermaaßen mit dem Kελευστης der alten Griechen vergleichen. Überhaupt fiel uns bey dem Anblick der Tahitischen Flotte die Seemacht jener alten Republicaner ein, und wir nahmen in der Folge Anlaß, beyde noch näher mit einander zu vergleichen. Das einzige abgerechnet, daß die Griechen Metalle hatten, mochten ihre Waffen sonst wohl eben so einfach, und ihre Art zu fechten, eben so unregelmäßig seyn als die Tahitischen, was auch Vater Homer, als Dichter, nur immer daran verschönern mag. Die vereinte Macht von ganz Griechenland, die ehemals gegen Troja in See gieng, konnte nicht viel beträchtlicher seyn, als die Flotte, mit welcher O-Tu die Insel Eimeo anzugreifen gedachte; und ich kann mir die mille carinæ eben nicht viel furchtbarer vorstellen, als eine Flotte Tahitischer Kriegs-Canots, deren eins von fünfzig bis zu einhundert und zwanzig Ruderer erfordert. Die Schiffahrt der alten Griechen erstreckte sich nicht viel weiter, als heut zu Tage die Tahitische. Von einer Insel stach man zur andern herüber, das war alles. Die damaligen Seefahrer im Archipelagus, richteten bey der Nacht ihren Lauf nach den Sternen; und so machen es die auf der Südsee noch jetzt ebenfalls. Die Griechen waren brav; und daß es die Tahitier nicht minder seyn müssen, beweisen die vielen Narben ihrer Befehlshaber. Auch dünkt es mir sehr wahrscheinlich, daß man sich hier zu Lande, wenn es zur Schlacht kommen soll, in eine Art von Raserey zu versetzen sucht, dergestalt, daß die Bravour der Tahitier blos eine Art von künstlich erregtem Grimm ist. Und, so wie uns Homer die Schlachten der Griechen beschreibt, scheint es, daß jener Heroismus, der alle die von ihm besungnen Wunder hervorbrachte, im Grunde eben auch nichts anders war. Wir wollen einmal diese Parallele weiter verfolgen. Homers Helden werden als übernatürlich große und starke Leute geschildert; auf eben die Art haben die Tahitischen Befehlshaber, der Statur und schönen Bildung nach, so viel vor dem gemeinen Mann voraus, daß sie fast eine ganz andere Art von Menschen zu seyn scheinen.[20] Natürlicherweise wird eine mehr als gewöhnliche Menge von Speise dazu erfordert, um einen mehr als gewöhnlich großen Magen zu füllen. Daher rühmt der griechische Dichter von seinen trojanischen Helden, daß sie gar stattliche Mahlzeiten gethan, und eben das läßt sich auch von den Tahitischen Befehlshabern sagen. Überdem haben es beyde Nationen mit einander gemein, daß sie, eine wie die andere, am Schweinefleisch Geschmack finden. Beyde kommen in der Einfalt der Sitten überein und ihre eigenthümlichen Charactere sind durch Gastfreyheit, Menschenfreundschaft und Gutherzigkeit, fast in gleichem Grade, vor andern ausgezeichnet. Sogar in ihrer politischen Verfassung findet sich eine Ähnlichkeit. Die Eigenthümer der Tahitischen Districte sind mächtige Herren, die gegen O-Tuh nicht mehr Ehrerbietung haben, als die griechischen Helden gegen ihren Agamemnon; und vom gemeinen Mann ist in der Iliade so wenig die Rede, daß er unter den Griechen von keiner größeren Bedeutung gewesen zu seyn scheint, als die Tautaus in der Südsee. Die Ähnlichkeit beyder Völker ließe sich meines Erachtens noch wohl in mehreren Stücken sichtbar machen; allein es war mir blos darum zu thun, sie durch einen Wink anzudeuten, und nicht durch eine lang gedehnte Vergleichung die Geduld der Leser zu mißbrauchen. Das Angeführte ist wohl Beweis genug, daß Menschen, bey einem gleichen Grade von Cultur, auch in den entferntesten Welttheilen einander ähnlich seyn können. Indessen würde es mir sehr leyd thun, wenn diese flüchtigen Anmerkungen unglücklicherweise einen oder den andern gelehrten Projectmacher auf eine unrechte Spur bringen sollten. Die Thorheit, Stammbäume der Nationen zu entwerfen, hat noch kürzlich viel Unheil in der Geschichte veranlaßt, und die Egypter und Chineser auf eine wunderbare Art zu Verwandten machen wollen. Es wäre daher wohl zu wünschen, daß sie nicht ansteckend werden und weiter um sich greifen mögte.
O-Tuh kam zu uns an Bord, um noch zu guter letzt bey uns zu speisen. Er schlug meinem Vater und Herrn Hodges vor, sie sollten zu Tahiti bleiben, und versprach ihnen, im rechten Ernste, sie in den reichen Districten von O-Parre und Matavai, zu Eris zu machen. Ob er eigennützige Absichten dabey hatte oder ob dies Anerbieten blos aus der Fülle des Herzens kam, will ich nicht entscheiden, doch kann man sich wohl vorstellen, daß kein Gebrauch davon gemacht wurde, so gut es übrigens gemeynet war. Unmittelbar nach dem Mittags-Essen hoben wir den Anker und giengen unter Seegel. O-Tuh bat den Capitain, daß er einige Kanonen abfeuern mögte und hielt bis auf den letzten Mann bey uns aus. Als seine Unterthanen alle fort waren, nahm auch Er Abschied, und umarmte uns, einen nach dem andern, recht herzlich. Das betäubende Getöse der Kanonen hinderte uns gewissermaaßen in jene Art von Traurigkeit zu sinken, die bey solchen Gelegenheiten wohl zu erfolgen pflegt, oder der sanften Wehmuth nachzuhängen, zu der wir, bey der Trennung von diesem unschuldigen, gutgesinnten, sanften Volke berechtigt waren. Einer unserer Seeleute suchte sich diese unruhigen Augenblicke zu Nutze zu machen, um unbemerkt nach der Insel zu entwischen. Man ward ihn aber gewahr, als er darnach hinschwamm und sahe zugleich einige Canots herbeyrudern, die ihn vermuthlich aufnehmen wollten; der Capitain ließ ihm also gleich durch eins von unsern Booten nachsetzen, ihn mit Gewalt zurückbringen und zur Strafe für diesen Versuch vierzehn Tage lang in Ketten legen. Allem Anschein nach, war die Sache zwischen ihm und den Insulanern förmlich verabredet; denn sie hätten vielleicht eben so viel Nutzen davon gehabt, einen Europäer unter sich zu behalten, als dieser gefunden haben würde, unter ihnen zu bleiben. Wenn man erwägt, wie groß der Unterschied ist, der zwischen der Lebensart eines gemeinen Matrosen am Bord unsers Schiffes, und dem Zustande eines Bewohners dieser so Insel statt findet; so läßt sich leicht einsehen, daß es jenem nicht zu verdenken war, wenn er einen Versuch wagte, den unzählbaren Mühseligkeiten einer Reise um die Welt zu entgehen, und wenn er, statt der mancherley Unglücksfälle die ihm zur See droheten, ein gemächliches, sorgenfreyes Leben in dem herrlichsten Clima von der Welt, zu ergreifen wünschte. Das höchste Glück, welches er vielleicht in Engelland hätte erreichen können, versprach ihm lange nicht so viel Annehmlichkeiten, als er, bey der bescheidenen Hoffnung, nur glücklich als ein ganz gemeiner Tahitier zu leben, vor sich sahe. Er durfte sich nicht schmeicheln, bey seiner Zurückkunft nach England von den Mühseligkeiten der Reise um die Welt in Frieden ausruhen zu können, sondern mußte sich vielmehr gefaßt machen, sogleich wieder auf ein andres Schiff abgegeben zu werden, und bey eben so ungesunder, elender Kost, eben solchen Mühseligkeiten, eben solchen Nachtwachen und Gefahren, als er kaum überstanden hatte, von neuem wieder entgegen zu gehen. Sollte es ihm aber auch wirklich geglückt seyn, auf eine oder die andere Art zum ruhigen Genuß des Lebens zu gelangen; so mußte er doch immer besorgen, mitten in seinen Freuden, gewaltsamerweise zum Dienst geworben, und wider seinen Willen zum Streit fürs Vaterland gezwungen zu werden, mithin, entweder sein Leben in der Blüthe seiner Jahre zu verlieren, oder das traurige Schicksal eines elenden Krüppels zu haben. Gesetzt aber, er hätte das alles vermeiden können, so mußte er sich in England doch wenigstens dahin bequemen, sein tägliches Brod im Schweiß seines Angesichts zu verdienen, und die Wirkung jenes allgemeinen Fluches zu empfinden, die Tahiti nicht erreichet zu haben scheint, oder wenigstens fast gar nicht daselbst gefühlet wird. Unser gemeines Volk ist nun einmal zu lauter Plackereyen und zu beständigen Arbeiten bestimmt. Ehe man den geringsten Gebrauch vom Korne machen kann, muß erst gepflügt, geerndtet, gedroschen und gemahlen, ja es muß hundertmal mehr davon gebauet werden, als der Ackersmann selbst verbrauchen kann, theils um das Vieh zu erhalten, ohne dessen Hülfe kein Feldbau bestehet, theils auch, um das Ackergeräth und viel andre Dinge dafür anzuschaffen, die jeder Landwirth selbst verfertigen könnte, wenn die Weitläuftigkeit des Feldbaues ihm Zeit und Muße dazu übrig ließe. Der Kaufmann, der Handwerksmann, der Künstler, müssen alle eben so arbeitsam seyn, um dem Landmanne das Korn und Brod wieder abzuverdienen. Wie ist hingegen beym Tahitier das alles so ganz anders! wie glücklich, wie ruhig lebt nicht der! Zwey oder drey Brodfruchtbäume, die beynahe ohne alle Handanlegung fortkommen, und fast eben so lange tragen, als der, welcher sie gepflanzt hat, leben kann; drey solche Bäume sind hinreichend, ihm drey Viertheile des Jahres hindurch, Brod und Unterhalt zu geben! Was er davon nicht frisch weg essen kann, wird gesäuert, und als ein gesundes, wohlschmeckendes Nahrungsmittel, für die übrigen Monathe aufbewahret. Selbst diejenigen Pflanzen, welche auf Tahiti die mehreste Cultur erfordern, nämlich der Papyr-Maulbeerbaum und die Arumwurzeln, kosten einem Tahitier nicht mehr Arbeit, als uns unser Kohl- oder andrer Gartenbau. Die ganze Kunst und Mühe, einen Brodfruchtbaum anzuziehen, besteht darinn, daß man einen gesunden Zweig abschneidet und in die Erde steckt! Der Pisang sproßt alle Jahr frisch aus der Wurzel auf; die königliche Palme, diese Zierde der Ebenen, und das nützlichste Geschenk, womit die gütige Natur ihre Schooskinder, die hiesigen Einwohner, bedacht hat; der goldne Apfel, von dessen heilsamen Eigenschaften wir eine so erwünschte Erfahrung gemacht haben, und eine Menge noch andrer Pflanzen, die alle schießen von selbst auf, und erfordern so wenig Wartung, daß ich sie fast als gänzlich wild wachsend ansehen mögte! Die Zubereitung des Kleidungszeuges, womit sich die Frauenspersonen allein abgeben, ist mehr für einen Zeitvertreib, als für eine würkliche Arbeit anzusehen; und so mühsam der Haus- und Schiff-Bau, imgleichen die Verfertigung des Handwerkszeugs und der Waffen, auch immer seyn mögen, so verliehren alle diese Geschäfte doch dadurch viel von ihrer Beschwerlichkeit, daß sie ein jeder freywillig, und nur zu seinem eigenen unmittelbaren Nutzen übernimmt. Auf solche Art fließt das Leben der Tahitier, in einem beständigen Zirkel von mancherley reizendem Genüsse hin. Sie bewohnen ein Land, wo die Natur mit schönen Gegenden sehr freygebig gewesen, wo die Luft beständig warm, aber von erfrischenden See-Winden stets gemäßigt, und der Himmel fast beständig heiter ist. Ein solches Clima und die gesunden Früchte verschaffen den Einwohnern Stärke und Schönheit des Cörpers. Sie sind alle wohlgestaltet und von so schönem Wuchs, daß Phidias und Praxiteles manchen zum Modell männlicher Schönheit würden gewählt haben. Ihre Gesichtsbildungen sind angenehm und heiter, frey von allem Eindruck irgend einer heftigen Leidenschaft. Große Augen, gewölbte Augenbraunen und eine hervorstehende Stirn geben ihnen ein edles Ansehen, welches durch einen starken Bart und Haarwuchs noch mehr erhöhet wird.[21] Alles das, und die Schönheit ihrer Zähne, sind redende Kennzeichen ihrer Gesundheit und Stärke. Das andre Geschlecht ist nicht minder wohl gebildet. Man kann zwar die hiesigen Weiber nicht regelmäßige Schönheiten nennen, sie wissen aber doch das Herz der Männer zu gewinnen, und erwerben sich durch ungezwungne, natürliche Freundlichkeit, und durch ihr stetes Bestreben zu gefallen, die Zuneigung und Liebe unseres Geschlechts. In der Lebensart der Tahitier herrscht durchgehends eine glückliche Einförmigkeit. Mit Aufgang der Sonne stehen sie auf, und eilen sogleich zu Bächen und Quellen, um sich zu waschen und zu erfrischen. Alsdenn arbeiten sie, oder gehen umher, bis die Hitze des Tages sie nöthigt, in ihren Hütten, oder in dem Schatten der Bäume, auszuruhen. In diesen Erholungs-Stunden bringen sie ihren Kopfputz in Ordnung, das heißt: sie streichen sich das Haar glatt und salben es mit wohlriechendem Öl; zuweilen blasen sie auch die Flöte, singen dazu, oder ergötzen sich, im Grase hingestreckt, am Gesange der Vögel. Um Mittag, oder auch wohl etwas später, ist ihre Tischzeit, und nach der Mahlzeit gehen sie wieder an häusliche Arbeiten oder an ihren Zeitvertreib. Bey allem was sie thun, zeigt sich gegenseitiges Wohlwollen, und eben so sieht man auch die Jugend in Liebe untereinander, und in Zärtlichkeit zu den ihrigen aufwachsen. Muntrer Scherz ohne Bitterkeit, ungekünstelte Erzählungen, fröhlicher Tanz und ein mäßiges Abendessen bringen die Nacht heran; und dann wird der Tag durch abermaliges Baden im Flusse beschlossen. Zufrieden mit dieser einfachen Art zu leben, wissen diese Bewohner eines so glücklichen Clima nichts von Kummer und Sorgen, und sind bey aller ihrer übrigen Unwissenheit glücklich zu preisen.
Ihr Leben fließet verborgen,
Wie klare Bäche, durch Blumen dahin.
KLEIST.
Das alles sind in den Augen solcher Leute, die nur an das Vergnügen der Sinnlichkeit denken, sehr wesentliche Vortheile, und es war daher kein Wunder, daß ein Matrose, der vielleicht noch weniger Überlegung haben mogte, als seine Cameraden, nur auf die Freuden des Augenblickes dachte. Freylich, mit etwas mehr Beurtheilungskraft, würde er eingesehen haben, daß ein Mensch von seiner Art, der zu einem thätigen Leben gebohren, mit tausend Gegenständen bekannt, wovon die Tahitier nichts wissen, und gewohnt ist, an das Vergangne und Zukünftige zu denken, daß der, einer so ununterbrochnen Ruhe und eines beständigen Einerley, bald überdrüßig werden müsse, und daß eine solche Lage nur einem Volk erträglich seyn könne, dessen Begriffe so einfach und eingeschränkt sind, als wir sie bey den Tahitiern fanden.
Indessen sind die Vorstellungen, die man sich von Glückseligkeit macht, bey unterschiednen Völkern eben so sehr verschieden, als die Grundsätze, Cultur und Sitten derselben; und da die Natur, in den verschiednen Gegenden der Welt, ihre Güter bald freygebig, bald sparsam ausgetheilt hat; so ist jene Verschiedenheit in den Begriffen vom Glück ein überzeugender Beweis von der erhabenen Weisheit und Vaterliebe des Schöpfers, der in dem Entwurf des Ganzen, zugleich auf das Glück aller einzelnen Geschöpfe, sowohl in den heißen als kalten Himmelsstrichen, Rücksicht nahm.
Fix 'd to no spot is happiness sincere
'Tis no where to be found or evry where.
POPE.
Drittes Hauptstück.
Zweeter Aufenthalt auf den Societäts-Inseln.
Ein rascher Wind führte uns schnell von Tahiti weg. Noch betrachteten wir die schönen Aussichten dieser Insel, als sich auf unserm eigenen Verdeck ein unerwarteter Anblick zeigte, der eines jeden Aufmerksamkeit an sich zog. Es war nichts geringeres, als eins der schönsten Mädchen, welches den Vorsatz gefaßt hatte, mit uns nach ihrem Vaterlande, der Insel Raietea, zurückzugehen. Ihre Eltern, welchen sie, vor ein Paar Jahren, ein glücklicher Liebhaber, nach Tahiti entführt hatte, waren noch am Leben; und sie konnte der Sehnsucht, dieselben wieder zu sehen, jetzt nicht länger widerstehen. Ihren Unwillen fürchtete sie also nicht, vielmehr hoffte sie eine gütige Aufnahme, und in der That muß auch da, wo Eigennutz und Ehrgeiz nur so wenig Herrschaft haben als hier, ein jugendlicher Fehltritt des Herzens leicht Verzeihung finden. Sie hatte sich, bey O-Tuh's letzter Anwesenheit auf dem Schiff, versteckt gehalten; weil er es ausdrücklich verboten, daß keine Frauensleute mit uns von der Insel weggehen sollten, und kam auch nicht ehe zum Vorschein, bis wir in offner See waren. Nächst ihr gieng auch Maheine, nebst seinem Bedienten und noch zwo andern Leuten von Borabora, in dem festen Zutrauen mit, daß sie bey uns eben so gut aufgehoben seyn würden, als ihr Landsmann (Maheine) während der vorigen Reise. Ihre Gesellschaft half uns, während der Überfahrt von Tahiti nach Huaheine, die Zeit verkürzen. Das Mädchen hatte eines Officiers Kleider angezogen, und gefiel sich in dieser Tracht so wohl, daß sie solche gar nicht wieder ablegen wollte. Sie trug kein Bedenken, in Gesellschaft der Officiers zu speisen, und lachte nur über das Vorurtheil, welches ihre Landsmänninnen abhielt, ein gleiches zu thun. Überhaupt zeigte sie viel gesunde Vernunft, und würde sich mit Hülfe einer guten Erziehung selbst unter den europäischen Damen vortheilhaft ausgezeichnet haben; denn auch ohne alle Bildung ihres Verstandes gefiel sie einem jeden, schon durch ihre natürliche Lebhaftigkeit und Freundlichkeit.
Nachdem wir die ganze Nacht hindurch fortgesegelt waren, lag am folgenden Morgen die Insel Huaheine vor uns, und des Nachmittags kamen wir, in dem nördlichen Arme des Havens Warre, ohngefähr 50 Schritt weit vom Ufer, vor Anker. Dieser geringen Entfernung vom Lande hatten wir manchen Besuch zu verdanken. Die Insulaner brachten zum Theil Schweine zum Verkauf, forderten aber Beile dafür, die nun schon so selten bey uns waren, daß wir sie für wichtigere Gelegenheiten aufsparen mußten. Ori, der Befehlshaber der Insel, kam vor Untergang der Sonnen in einem kleinen Canot ebenfalls zu uns, und brachte dem Capitain ein Schwein und einen Krieges-Brustschild, wofür ihm dieser ein schickliches Gegengeschenk machte. Er überreichte auch noch einige Pfefferwurzeln, ohne jedoch die Ceremonien zu beobachten, die zur Zeit unsrer vormaligen Anwesenheit dabey statt gefunden hatten[22]. Abends ward es gänzlich windstill, und da das Schiff überaus nahe am Ufer lag; so konnten wir an dem häuslichen Abendzeitvertreib der Einwohner, vom Bord her, Antheil nehmen. Wir sahen mit Vergnügen zu, wie sie in den nächsten Hütten, um ihre Lichter, die aus öhligten, auf einen dünnen Stock gespießten Nüssen bestehen, vertraulich her saßen und mit einander plauderten. Einer der ersten, der am folgenden Tage an Bord kam, war Porea, der junge Bursche von Tahiti, welcher vor einigen Monathen mit uns gereiset und wieder Vermuthen zu Raietea geblieben war[23]. Er gestand uns, daß es bloß zufälligerweise und ganz wieder seine Absicht geschehen sey. Ein hübsches Mädchen, mit welchem er sich in ein Liebesverständniß eingelassen, habe ihn, gerade um die Zeit als er dem Capitain Cook das Pulverhorn so eilfertig abgeliefert, an einen gewissen Ort hin bestellt. Als er sich aber daselbst eingefunden, habe ihn, statt seiner Geliebten, der Vater dieser Schöne mit einigen handfesten Kerls erwartet, ihn derb abgeprügelt, seiner europäischen Kleider beraubt, und bis nach unsrer Abreise gefangen behalten. So bald er hierauf wieder in Freyheit gesetzt worden, sey er mit der ersten Gelegenheit hieher nach Huaheine gegangen. Die Gastfreyheit seiner hiesigen Freunde, mußte ihm ganz gut behagen, denn er war dick und fett davon geworden. Aus der kläglichen Geschichte des armen Porea, läßt sich meines Erachtens so viel abnehmen, daß die Töchter hier zu Lande, bey ihren Liebeshändeln, nicht immer nach eignem Wohlgefallen zu Werke gehen dürfen. Doch weiß ich nicht, ob der Vater dieser Schöne sich deshalb für befugt halten konnte, den ehrlichen Porea bis auf die Haut auszuziehen.
Wir giengen diesen Morgen ziemlich früh ans Land, nach den salzigen Seen hin, die man nordwärts ohnweit des Havens antrift. Vom Meere sind sie blos durch einen schmalen Felsen-Rief getrennt, der überall mit Cocos-Palmen bewachsen ist, ohnerachtet er nur um ein ganz weniges über die Oberfläche des Meeres hervorragt, auch mit Sande kaum recht bedeckt ist. Unmittelbar von diesem Felsen-Damm an, wird der Boden, rings um den ganzen See her, morastig, und vertieft sich schräg gegen das Ufer herab, welches aus bloßem Schlamm besteht, der, sowohl dem äußern Ansehen als dem üblen Gerüche nach, eine Art von Schwefel-Leber enthalten muß. In den äußersten Sümpfen wachsen allerhand Ost-Indianische Pflanzen, und auf dem See gab es ganze Schaaren von wilden Enten, denen aber nicht füglich beyzukommen war, weil man befürchten mußte, in dem Morast zu versinken. Diese Unannehmlichkeit ausgenommen, ist die Gegend hier herum in der That recht mahlerisch schön, jedoch nur wenig bewohnt, vielleicht, weil die Eingebohrnen die Ausdünstungen des schlammigen Ufers für ungesund halten. Einer von den Insulanern bewirthete uns auf diesem Spaziergange mit Cocos-Nüssen, die um jetzige Jahreszeit hier etwas seltnes waren. Auf dem Rückwege ward unser Bediente, der einen Sack mit Pflanzen, nebst einem andern voll kleinem Eisengeräthe trug, wenige Schritte hinter uns, von etlichen Indianern angefallen und zu Boden geworfen. Ohne Zweifel wollte man ihn seiner Habseligkeiten berauben, da wir es aber gerade noch zu rechter Zeit gewahr wurden; so machten sich die Räuber eilfertigst aus dem Staube. Dies war das zweytemal, daß unsre Leute auf dieser Insel so kühn und freventlich waren angegriffen worden; überhaupt schienen auch die hiesigen Einwohner, unter der schläfrigen Regierung des alten Ori ausschweifender zu seyn als ihre Nachbaren, die Tahitier und andre Völker der Societäts-Inseln.
Der vorgedachte Befehlshaber kam uns diesmal noch weit unthätiger und abgelebter vor, als bey unserm ersten Besuche. Seine Verstandes- und Seelenkräfte schienen merklich abgenommen zu haben. Seine Augen waren ganz roth und entzündet, und der ganze Cörper mager und schäbicht. Die Ursach blieb uns nicht lange verborgen. Wir bemerkten nemlich, daß er jetzt dem Trunk sehr ergeben war, und von der stärksten Art des berauschenden Pfeffergetränkes, große Portionen zu sich zu nehmen pflegte. Maheine hatte die Ehre, einige Nächte hintereinander mit ihm zu zechen, und ließ sich's jedesmal so gut schmecken, daß er des Morgens gemeiniglich mit gewaltigem Kopfweh erwachte.
Am andern Morgen machten wir von neuem einen Spatziergang nach den Landseen, und brachten eine Menge Corallen, Muscheln und Meer-Igel (echinos) von daher zurück, welche die Eingebohrnen an der Küste für uns aufgelesen hatten. Von unterschiednen Befehlshabern erhielten wir Schweine und Brustschilder zum Geschenk. Sie kamen bloß in der Absicht, ihre alte Bekannten zu besuchen, und wollten daher auch, das was sie mitbrachten, nicht eher verkaufen oder abgeben, bis sie vorgelassen wurden und die Freunde selbst zu sehen bekamen, denen sie ein Geschenk zugedacht hatten. Den Tag nachher bestiegen wir einen Berg, der ganz mit Brodfrucht- Pfeffer- und Maulbeerbäumen, imgleichen mit Ignamen und Arums-Wurzeln bepflanzt war. Die Maulbeerbäume waren mit besonderem Fleiß gewartet; sie hatten den Boden zwischen selbigen sorgfältig gejäthet, und theils mit zerbrochnen Muscheln, theils mit Corallen gedünget. Überdem war die ganze Plantage mit einem tiefen Rain oder Graben umzogen, damit das Wasser ablaufen mögte. An manchen Stellen hatte man auch das Farrenkraut und andres Gesträuch niedergebrannt, um den Boden von neuem zu bestellen. Ziemlich weit den Berg hinauf fanden wir ein Haus, dessen Bewohner, eine alte Frau und ihre Tochter, uns ungemein gastfrey bewirtheten. Wir gaben ihnen etliche Glas-Corallen, Nägel und rothe Federn, welche letztere sie nicht sowohl als brauchbar, sondern vielmehr nur als eine Seltenheit annahmen. Überhaupt urtheilte man von dieser Waare hier weit richtiger als zu Tahiti. Man hielt sie nemlich für bloßen Flitterstaat, dem es an inneren Werth gänzlich fehle, und wollte daher auch nichts wahrhaft nutzbares dafür hergeben, sondern verlangte, für Schweine und andre Lebensmittel, Beile und kleineres Eisengeräth. Diese Forderung war gar nicht unbillig, wir hatten sie uns auch ehemals schon gefallen lassen, bey unsrer diesmaligen Anwesenheit aber giengen wir sie nicht ein, weil es uns jetzt an frischem Fleische nicht fehlte, der Vorrath von Eisenwerk hingegen schon merklich abgenommen hatte. Daß die Bewohner von Huaheine und von Tahiti, über den Werth der rothen Federn, so verschiedener Meynung waren, rührt augenscheinlich von der natürlichen Verschiedenheit dieser beyden Inseln her, und beweiset, daß das Volk dort wohlhabender seyn müsse als hier. Die Ursach davon war auch leicht ausfindig zu machen, denn es giebt hier in Huaheine nur wenig ebenes Land, und folglich müssen die Einwohner bey der Bestellung des Feldes die Berge mit zu Hülfe nehmen, um den nöthigen Unterhalt zu gewinnen. Da es ihnen auf solche Art um ein gutes saurer wird, als den Tahitiern, sich Lebensmittel zu verschaffen; so setzen sie auch einen höheren Werth auf dieselben, und können dem Luxus nicht so nachhängen als jene.
In den folgenden Tagen wurden wir verschiedentlich, und zum Theil auf eine sehr verwegne Art bestohlen, ohne daß wir im Stande waren, uns dafür Ersatz zu verschaffen. Wen man indessen auf der That ertappte, der ward exemplarisch bestraft. Eine Gesellschaft von Subaltern-Officiers war nach einem Berge hin aufs Vogelschießen ausgegangen, und hatte einen Seesoldaten mitgenommen, um sich ein Paar Beile und andere kleine Eisengeräthschaften nachtragen zu lassen. Unterwegens versagten ihnen die Flinten einigemale: Dies mogte einem Indianer, der ihnen nachschlich, Muth machen, eins zu wagen. Als daher der Soldat den Beutel einmal niederlegte, hatte ihn der Insulaner augenblicklich erhascht und rannte mit selbigem davon. Am folgenden Tage wohnten eben diese Herren einem Hiwa oder öffentlichen Tanze bey. Glücklicherweise trafen sie den Dieb unter den Zuschauern an. Er gestand sein Vergehen, und versprach, wenn sie ihm verzeihen wollten, zur Vergütung des Entwendeten etliche Brustschilder zu bringen, die mit den Beilen fast immer in gleichem Werthe standen. Dieses Anerbieten ließen sie sich gefallen, und am folgenden Tage stellte sich der Mann, seiner Zusage nach, richtig ein; er gehörte folglich noch nicht zu unsern verhärteten Bösewichtern, bey denen alles Gefühl erstorben ist, sondern wußte die Großmuth, welche man ihm erwiesen hatte, dankbar zu schätzen. Ein andrer, der ein Pulverhorn zu stehlen suchte, ward ertappt und bekam eine volle Ladung Schläge. Die Insulaner ließen sogar ihre eigne Landsmännin, die von Tahiti aus mit uns hieher gekommen war, nicht unangetastet. Als sie sichs einst am wenigsten versahe, ward sie in einem Hause überfallen, und sollte die europäische Kleidung, die sie seit ihrem Hierseyn beständig trug, mit Gewalt hergeben. Zum Glück kamen noch einige von unsern Leuten dazu und verjagten die Räuber. Dieser Vorfall hatte aber das arme Mädchen in solche Furcht gesetzt, daß sie sich nachher nie wieder ohne Gesellschaft ans Land wagte.
Indessen waren das die Drangsale, welche unsre Schöne hier erleben mußte, noch nicht alle, und gerade heute Abend wiederfuhr ihr ein recht schmähliger Schimpf. Sie wohnte nehmlich, in Gesellschaft etlicher Officiers, einem Hiwa, oder dramatischen Tanze bey; aber unglücklicherweise hatte man ihre eigene Geschichte zum Gegenstand des Stücks gewählt, und suchte ihre ehemalige, romanhafte Entweichung von der Insel lächerlich zu machen. Sie wollte vor Schaam und Thränen vergehen, und es kostete ihren Gesellschaftern, den Officiers, nicht wenig Zureden, daß sie bis an das Ende des Stückes aushielt. Die letzte Scene, worinn die Aufnahme vorgestellt ward, welche sie bey ihren Eltern würde zu gewarten haben, fiel, so wie es die Comödianten eingerichtet hatten, gar nicht schmeichelhaft für das trostlose Mädchen aus. Es wird dieser Nation leicht, solche kleine Stücken aus dem Stegereif aufzuführen, und nichts ist wahrscheinlicher, als daß dieses hier eine Satyre gegen das Mädchen seyn, und andre vor ihrem Beyspiel warnen sollte.[24]
Am 19ten machten wir einen Spatziergang nach dem langen Seearm, wo Dr. Sparrmann, bey unsrer ehemaligen Anwesenheit, vor ohngefähr acht Monathen, war angefallen und beraubt worden.[25] Das Wetter ließ sich zum Regen an, und die ersten Güsse wurden so heftig, daß wir in einer kleinen Hütte unter Dach traten, um nicht bis auf die Haut durchnässet zu werden. In dieser Hütte wohnte eine Familie, die uns sehr freundschaftlich aufnahm, und sogleich Fische, nebst frischer Brodfrucht vorsetzte, denn Essen und Trinken ist bey den Völkern der Südsee allemal die erste Erweisung von Gastfreyheit. Eine ältliche Frau von einigem Ansehen und Stande, hatte nebst ihrem Knecht, der ein Schwein nach ihrem Hause bringen sollte, hier ebenfalls Obdach gesucht. Als der Regen vorüber war und wir gemeinschaftlich mit einander fort giengen, bot uns die gute Frau nicht nur das Schwein zum Geschenk an, sondern bat zugleich, daß wir mit nach ihrer Wohnung kommen mögten, die ziemlich weit von hier liegen sollte. Da wir uns bey diesem Spatziergange eben keinen bestimmten Plan gemacht hatten, so war es uns ziemlich gleichgültig, hie oder da hinzugerathen, und also folgten wir ihr. Der Regen hatte den Weg so schlüpfrig gemacht, daß man sehr behutsam gehen mußte; doch wurden wir, für diese Unannehmlichkeit, durch die Menge neuer Pflanzen, welche hier anzutreffen waren, vollkommen schadlos gehalten. Unsere Führerin brachte uns, von dem Berge, nach der andern Seite der Insel, gegen das Meer zu, herab, und ehe wir noch die Ebene erreichten, hatte sich das Wetter schon völlig wieder aufgeklärt. Das Gestade machte in dieser Gegend eine angenehme Bay aus, die durch einen weit ins Meer laufenden Corallen-Rief gedeckt war, und innerhalb desselben lag eine kleine Insel, auf welcher sich ganze Heerden von wilden Enten, Brachhühnern und so Schnepfen aufhielten. Indeß wir hier eine Weile auf der Jagd zubrachten, sorgte unsre gutherzige Freundin dafür, daß die anwesenden Indianer allerhand Erfrischungen herbeyschaffen mußten, und nachdem wir Wildpret genug geschossen, so folgten wir ihr von neuem über einen seitwärts gelegnen Berg, und kamen endlich, durch ein schönes, angebautes Thal, zu ihrer Wohnung, die am Ufer des Meeres lag. Hier trafen wir einen Alten, der ihr Ehemann war, und eine zahlreiche, zum Theil schon erwachsene Familie an; Sie bewirtheten uns recht herrlich mit gestobten Hühnern, Brodfrucht und Cocos-Nüssen, und ließen uns nach der Mahlzeit in ihrem Canot wieder ans Schiff bringen, welches zur See Meilen, aber dem Landwege nach, wohl noch einmal so weit von hier entfernet lag. In dem Betragen dieser guten alten Frau, war etwas so sorgsames, als ich, selbst an den gastfreyesten Personen, deren mir in diesen Inseln doch so viele vorgekommen waren, nicht leicht bemerkt hatte. Und wie herzlich freute es mich, hier einen abermaligen Beweis von der ursprünglichen Güte des menschlichen Herzens vor mir zu sehen, das in dem sich selbst überlaßnen Stande der Einfalt, von Ehrgeiz, Wollust und andern Leidenschaften noch unverdorben, gewiß nicht böse ist.
Am folgenden Tage (den 20sten) blieben wir den ganzen Vormittag über am Bord; nach Tische aber giengen wir mit Capitain Cook ans Land, und nach einem großen Hause, welches, gleich einem Carawanserai, von unterschiednen Familien bewohnt wurde, die hieher gekommen waren, um uns näher zu seyn. Es befanden sich einige Befehlshaber von geringern Range darunter; Ori aber war nach einer andern Gegend der Insel hingegangen. Wir hatten uns noch nicht lange mit ihnen unterhalten, als verschiedene Indianer die Nachricht brachten, daß der erste und zweete Lieutenant, nebst einem von unsern Lootsen, durch eine Parthey Räuber völlig ausgeplündert worden wären. Diese Bothschaft verbreitete unter den anwesenden Indianern ein allgemeines Schrecken, und die mehresten suchten sich, aus Furcht für unserer Ahndung, sogleich mit der Flucht zu retten. Wir selbst waren über das Schicksahl unsrer Gefährten nicht wenig verlegen, weil das Tahitische Wort Matte, so wohl prügeln, als würklich todtschlagen bedeutet, und man, alles Nachfragens ohnerachtet, nicht ausfündig machen konnte, in welchem Sinn es hier gemeynet sey. Unsre Besorgniß dauerte jedoch nicht lange, denn wir sahen die für verlohren gehaltnen Herren, unbeschädigt, in ihrer völligen Kleidung und Jäger-Rüstung wieder kommen. Sie erzahlten, daß, als sie bey den Landseen auf der Jagd gewesen, man sie unversehens überfallen, und, ihrer Vogelflinten, die sie gutwillig nicht abgeben wollten, mit Gewalt beraubt, auch mit Schlägen sehr gemißhandelt hätte. Endlich sey noch ein Befehlshaber dazu gekommen, durch dessen Vermittelung ihnen die Räuber ihre Flinten und andre abgenommne Sachen wieder zurückgegeben hätten. Ganz vergnügt, daß die Geschichte einen bessern Ausgang gewonnen, als zu besorgen stand, kehrten wir allerseits an Bord zurück, bemerkten aber, daß die Einwohner sich aus dieser Gegend größtentheils verliefen. Am folgenden Morgen ließ Orih dem Capitain, durch Maheinen, der am Lande geschlafen hatte, wissen, daß die gestrige That durch dreyzehn Mann begangen worden, daß er aber ohne Capitain Cooks Hülfe nicht im Stande seyn würde, diese Bösewichter zur Strafe zu ziehen; er mögte ihm also zwey und zwanzig bewaffnete Leute zuschicken, (welche Anzahl er durch eben so viel Stöckchen andeuten ließ) alsdann wolle er noch einige seiner Krieger dazu nehmen und gegen die Rebellen marschiren. Capitain Cook zweifelte, ob er Orihs Bothschaft recht verstanden habe, er kehrte also mit Maheinen nach dem Lande zurück, um den Befehlshaber selbst darüber zu befragen, konnte aber, in Ermangelung genügsamer Sprachkenntniß, nicht nähere Erkundigung einziehen. In dieser Ungewißheit berief er bey seiner Rückkunft die Officiere zusammen, und überlegte die Sache mit ihnen: Da gestand denn der zweyte Lieutenant offenherzig, daß von ihrer Seite der erste Angriff geschehen sey, und daß sie selbst sich ihren Unstern zugezogen hätten. Es habe nemlich einer von ihnen, auf dem See ein Paar wilde Endten geschossen, und einen von den Indianern gebeten, sie aus dem Wasser zu hohlen; dieser aber, ob ers wohl vorher schon mehrmalen gethan, habe sich nicht länger als Pudel wollen gebrauchen lassen; dies habe der Officier unbilligerweise übel genommen, und den armen Kerl so lange geprügelt, bis er sich dazu bequemet. Er sey hierauf mit ganz eigenthümlicher Fertigkeit, halb schwimmend und halb gehend, durch den dicken Schlamm bis nach dem Wasser hin durchgedrungen, als er aber die wilden Endten, die weit vom Ufer entfernt gelegen, erreicht gehabt, sey er damit nach dem jenseitigen Strand zu geschwommen, vielleicht in der Überzeugung, daß ihm, zur Entschädigung für die erlittne Mißhandlung und angewandte Mühe, dieses Wildpret mit Recht gebühre. Unser Seemann hingegen, der keinesweges gleicher Meynung gewesen, habe sein Gewehr mit einer Kugel geladen und nach dem Indianer geschossen, zum Glück aber nicht getroffen. Hierauf habe er zum zweytenmal laden wollen, allein die anwesenden Indianer, die ihren Landsmann einer so unbedeutenden Ursach wegen in Lebensgefahr gesehen, hätten dem Schützen das Gewehr abgenommen; er habe zwar um Hülfe gerufen, sie wären aber sämmtlich eben so wie jener, umringt gewesen. Gleichwohl habe einer von ihnen Mittel gefunden sein Gewehr abzufeuern und einem Indianer eine Ladung Schroot ins Bein zu schießen, dadurch wären jedoch die übrigen nur immer mehr erbittert worden, und hätten diese neue Gewaltthätigkeit durch unbarmherzige Prügel gerächet. Maheinens Knecht, ein starker untersetzter junger Kerl, der bey diesem Vorfall mit zugegen gewesen, habe für unsre Herren ganz verzweifelt gefochten, sey aber von der Menge überwältigt worden. Durch dieses Geständniß bekam die Sache ein ganz andres Ansehen; demohnerachtet wollte der Capitain den Befehlshaber nochmals um seine Meynung fragen, und bat zu dem Ende, daß ihn mein Vater begleiten mögte, weil dieser von der Landessprache mehr verstand, denn sonst irgend jemand am Bord. Orih eröfnete ihnen, seine Absicht sey, wir sollten auf die Häuser der Leute losgehen, die sich selbst Recht verschaft hatten, und die vermuthlich auch gegen ihn sich aufgelehnet haben mogten; er wolle alsdann ihre Schweine und alle übrige Habseligkeiten wegnehmen und sie uns zur Schadloshaltung Preiß geben. Mit dieser Erklärung kam Capitain Cook ans Schiff zurück und beorderte eine Parthey ausgesuchter Mannschaft, die mit Inbegriff der Officiere, Dr. Sparrmanns, meines Vaters und nebst mir, aus sieben und vierzig Mann bestand, ihn zu begleiten. Es konnte des Capitains Absicht hierbey wohl gewiß nicht seyn, dem alten Ori Beystand gegen seine rebellische Unterthanen zu leisten, zumal da diese so viel Ursach hatten, sich über die von den unsrigen erlittne Mißhandlung zu beschweren; sondern er wollte vermuthlich den Insulanern nur überhaupt zeigen, daß ihr eigenmächtiges Verfahren ihm nicht gefalle. Dem sey wie ihm wolle, wir landeten und marschirten mit Ori und einigen wenigen Indianern nach der Gegend hin, wo die Gewaltthätigkeit vorgegangen war. Je weiter wir vorrückten, desto größer ward der Zulauf von Indianern. Die Zahl unsrer Begleiter belief sich in kurzem auf etliche hundert Mann, und sie fiengen zum Theil schon an, aus den nächstgelegnen Häusern Waffen zu holen. Ori selbst schleppte einen 10 Fuß langen Speer mit sich, dessen Spitze aus dem zackigten Stachel eines Rochen bestand. Nachdem wir zwo Meilen weit vorgedrungen waren, ward Halte gemacht, und wir erfuhren durch Maheinen, daß die Indianer uns einzuschließen und vom Schiff abzuschneiden gedächten. Capitain Cook ließ sich aber dadurch nicht abschrecken, sondern befahl nur, daß der Haufen, der uns nachfolgte, nicht weiter vorrücken sollte, damit wir, im Fall eines Angriffes, Freund und Feind desto besser unterscheiden könnten: Ori hingegen, der nebst etlichen andern Befehlshabern bey seinen Leuten bleiben wollte, mußte weiter mit uns fort. Von hier aus stießen wir nach einem Marsche von 3 Meilen, auf einen Scheideweg. Der eine dieser beyden Wege gieng über einen steilen Felsen, der andre hingegen schlängelte sich am Fuß des Berges herum. Der Capitain wählte den ersteren; das Heraufsteigen war sehr mühsam, auf der andern Seite aber fanden wir Tritte in den Felsen gehauen, vermittelst deren man ungleich bequemer nach der Ebene herab kommen konnte. Dieser Paß war für die Sicherheit unsrer Rückkehr so wichtig, daß ihn der Capitain durch einen Theil seiner Leute wollte besetzen lassen; da er aber sahe, daß, Oris ausdrüklichem Befehl zuwider, der große Haufe von Indianern, der zurückbleiben sollte, dennoch langsam nachkam; so dünkte es ihm der Klugheit gemäß, den ganzen Operations-Plan aufzugeben und geraden Weges wieder umzukehren und die Indianer ließen sich leicht bereden, es geschehe aus keiner andern Ursach, als weil der Feind schon zu weit entfernt sey und man ihn nicht weiter verfolgen mögte. Auf der Hälfte des Rückweges, kamen wir bey einem geräumigen Hause vorüber, darinn uns Ori Cocos-Nüsse vorsetzen ließ. Während daß wir diese Erfrischungen verzehrten, brachten einige Indianer junge Pisang-Sprossen, nebst zween Hunden, und einem Ferken herbey. Alles dieses überreichten sie dem Capitain nach einer langen Rede, davon wir zwar herzlich wenig verstanden, die sich aber, allen Umständen nach, auf die Veranlassung unseres Feldzuges beziehen mußte. Außerdem ward uns noch ein großes Schwein vorgezeigt, aber auch wieder weggetrieben. So bald diese Ceremonie vorüber war, eilten wir nach dem Strande hin und kamen daselbst um Mittagszeit an. Der Capitain ließ die Mannschaft, dem Schiffe gegen über, ihre Gewehre Plotton-weise in die See feuern, und wir vergnügten uns an dem Erstaunen der Indianer, die nicht vermuthet hatten, daß die Kugeln so weit reichten, und daß wir mit unsern Flinten ein beständiges Feuer unterhalten können. Solchergestalt lief die vorgehabte Kriegs-Expedition ohne Blutvergießen ab, so wie es alle diejenigen unter uns gewünscht hatten, denen das Leben ihrer Mitmenschen keine geringschätzige Kleinigkeit zu seyn dünkte. Andere hingegen schienen ganz unzufrieden damit, daß es nicht zum Todschlagen gekommen war. An die schrecklichen Auftritte des Krieges und Blutvergießens gewöhnt, thaten sie, als ob es gleich viel sey, nach Menschen, oder nach einem Ziele zu schießen.
Unser militärischer Kreuzzug mogte die Insulaner abgeschreckt haben, an Bord zu kommen, wenigstens wurden diesen Nachmittag nur wenig Früchte zum Verkauf gebracht. Den andern Morgen aber erhielten wir von unsern Bekannten mancherley Geschenke, zum Zeichen, daß nun alles wieder beygelegt sey. Unter andern besuchte uns auch ein Befehlshaber, Namens Morurua, der eine besondre Zuneigung gegen meinen Vater gefaßt hatte, in Begleitung seiner Frau und allen Angehörigen. Keiner kam mit leeren Händen, und daher ließen auch wir niemand unbeschenkt von uns. Morurua aber hielt sich durch das, was wir ihm gaben, weit über sein Verdienst belohnt, und gab uns durch redende Blicke, seine Freude und Dankbarkeit dafür zu erkennen. Am folgenden Morgen, als wir eben von der Insel abseegeln wollten, kam er nochmals an Bord, brachte uns wiederum Geschenke und nahm endlich mit vielen Thränen Abschied.
Maheinens drey Freunde blieben bey unserer Abreise allhier zurück, dagegen nahmen wir einen andern Indianer an Bord, den Ori mit einer Bothschaft an O-Puni, den König von Borabora abschickte. Dieser Abgesandte schien ein sehr einfältiger Tropf zu seyn; doch ließ er sich das Geheimniß seines Auftrags nicht abfragen, woran uns auch, im Grunde so gar viel nicht gelegen war. Sein Name schickte sich ungemein gut zu seinem jetzigen Geschäft, denn er hieß Hurry-Hurry, welches im Englischen so viel als Eile, Eile! bedeutet.
Am nächsten Mittage, (den 24sten) ankerten wir bey der Insel Raietea, und zwar im Haven Hamaneno, brachten aber bis Abends zu, ehe wir das Schiff mitten in den Haven hereinbugsieren konnten. Der Befehlshaber O-Rea kam an Bord und schien höchst vergnügt über unsre Wiederkunft. Ohne Zweifel mußte es uns auch durchgehends zur großen Empfehlung gereichen, daß Maheine und Hurry-Hurry sich uns anvertrauet hatten. Am folgenden Morgen begleiteten wir den Capitain nach Orea’s Hause, woselbst wir seine Frau und seine Tochter Poyadua antrafen. Bey unserm Eintritt in die Hütte waren diese beyde Frauenspersonen in vollem Weinen begriffen, und die Mutter verwundete sich den Kopf mit einem Hayfischzahne, und fieng die Blutstropfen mit einem Stückchen Zeug auf. Es dauerte jedoch nicht lange, so wurden sie beyde wiederum so lustig, als wenn gar nichts vorgefallen wäre. Des heftigen Regens wegen konnten wir erst um Mittag wieder nach dem Schiffe zurückkehren, welche unterdessen in eine enge Bucht nahe ans Land war gebracht worden, um bequemer Wasser einzunehmen.
Nachmittags machten wir, so weit das Regenwetter es zulassen wollte, an dieser Bucht einen Spatziergang. Längst dem Strande war eine unzählige Menge von Canots aufs Land gezogen, und jedes Haus und jede Hütte war gepfropft voll Menschen. Sie schickten sich zum Theil zu gesellschaftlichen Mahlzeiten an, bey denen es gewiß an nichts fehlen sollte, denn überall lagen große Vorräthe von den ausgesuchtesten Lebensmitteln dazu in Bereitschaft. Wir wußten, daß es auf diesen Inseln eine besondre Gesellschaft oder Classe von Leuten beyderley Geschlechts gebe, die Errioys genannt werden, und daß sie sich zuweilen, von weit und breit her, versammleten, eine Insel nach der andern besuchten, und überall bis zur Ausschweifung schmaußten und schwelgten. Als wir zu Huaheine vor Anker lagen, hielt sich daselbst eine dergleichen Caravane von mehr als siebenhundert solcher Errioys auf, und eben diese waren es, die wir jetzt hier antrafen. Sie hatten sich eines Morgens, mit etlichen siebenzig Canots, von Huaheine nach Raietea übersetzen lassen, und nachdem sie einige Tage an der östlichen Küste dieser Insel zugebracht, nunmehro hier auf der Westseite ihr Quartier genommen. Es waren lauter Leute von gewissem Ansehen, und schienen alle zu dem Stande der Befehlshaber zu gehören. Einige hatten große punctirte Flecken auf der Haut; dies sollten, Maheinens Aussage nach, die angesehensten Mitglieder der Gesellschaft, und zwar in eben dem Verhältnisse vornehmer seyn, als man stärkere und mehrere Puncturen an ihnen wahrnähme. Sie waren fast durchgehends stark, wohlgebauet so und nannten sich Kriegesleute. Maheine bezeigte viel Achtung für diese Gesellschaft, und versicherte uns, daß auch er in dieselbe aufgenommen sey. Die Mitglieder sind alle durch die engsten Bande der Freundschaft unter einander verbunden, und üben unter sich die Gesetze der Gastfreyheit im weitläuftigsten Verstande. Sobald ein Errioy einen andern besucht, kann er darauf rechnen, mit allem, was sowohl zur Nothdurft als zur Bequemlichkeit gehört, reichlich versehen zu werden. Persönliche Bekanntschaft oder Unbekanntschaft machen hierinn keinen Unterschied. Er wird sogleich den übrigen Mitgliedern des Ordens vorgestellt, und alle wetteyfern, wer es dem andern an Gefälligkeit, Freundschaftsbezeugungen und Geschenken zuvorthun könne. Maheine behauptete, daß alle Vortheile, welche er in Tahiti gefunden, ihm blos „als Mitglied dieser Gesellschaft" wären zu Theil geworden. Die beyden jungen Leute, welche ihn daselbst auf unserm Schiff zuerst ansichtig wurden, waren, seiner Aussage nach, Errioys, und in dieser Qualität schenkten sie ihm ihre Kleidungen, weil er selbst damals keine andre als europäische hatte. Es scheint fast, daß von jeder vornehmen Familie durchgehends eine oder mehrere Personen in diese Gesellschaft treten, deren unabänderliches Grundgesetz ist, daß keines ihrer Mitglieder Kinder haben dürfe. So viel wir aus den Berichten der verständigsten Indianer abnehmen konnten, mußten die Errioys, der ersten Einrichtung nach, unverheyrathet bleiben; da aber in diesem heißen Lande der Trieb zur Fortpflanzung sehr stark seyn muß, so hat man sich nach und nach von jener Einrichtung entfernt, und die Heyrathen zugelassen. Um aber doch die Absicht des ledigen Standes beyzubehalten, so ist man darauf verfallen, die unglücklichen Kinder gleich nach der Geburt umzubringen.
Die Errioys genießen mancherley Vorrechte, und werden in allen Societäts-Inseln sehr hoch geachtet. Das sonderbarste ist, daß sie selbst ihre größte Ehre darinn setzen, keine Kinder zu haben. Als Tupaya hörte, daß der König von England eine zahlreiche Familie habe, dünkte er sich weit vornehmer als der König zu seyn, blos weil auch er, als ein Errioy, keine Kinder hatte.[26] Fast in allen andern Ländern ists eine Ehre, Vater zu heißen; wenn aber zu Tahiti ein Errioy jemanden den Vater-Namen beylegt, so hat er es als einen verächtlichen Schimpf-Namen und Vorwurf anzusehen. Zu gewissen Zeiten halten sie große Versammlungen und reisen von einer Insel zur andern. Dann schmausen sie die besten Früchte und verzehren eine Menge von Schweinen, Hunden, Fischen und Hühnern, welche die Tautaus, oder die geringste Classe, zu Bewirthung dieser Schwelger, herbeyschaffen muß. An einer guten Portion des berauschenden Pfefferwurzel-Trankes, darf es bey solchen Gelegenheiten nicht fehlen, denn diese Herren zechen sämmtlich gern. Überhaupt halten sie es mit allen Arten von sinnlichen Freuden; und daher ist Musik und Tanz allenthalben ihr Zeitvertreib. Diese Tänze sollen des Nachts ungebührlich ausschweifend seyn, doch wird keinem, als blos den Mitgliedern der Gesellschaft, der Zutritt verstattet.
In einem Lande, das so weit, als Tahiti, sich der Barbarey entrissen, würde man eine Gesellschaft, welche dem ganzen Volke so nachtheilig zu seyn scheint, gewiß nicht bis jetzt haben fortdauern lassen, wenn nicht die Nation, auf einer andern Seite, wichtige Vortheile davon hätte. Die vornehmste Ursach, warum man sie beybehält, mag vielleicht diese seyn, daß beständig eine gewisse Anzahl von Kriegsleuten, zur Vertheidigung des Landes da sey; (denn alle Errioys sind Kriegesleute;) und da man vielleicht befürchtete, daß Liebe und Familien-Bande sie feige und muthlos machen würden; so hat man ihnen den ehelosen Stand vorgeschrieben, den sie aber in der Folge vermuthlich zu lästig gefunden haben. Nächst dieser Absicht, mag man durch Errichtung dieser Errioys-Gesellschaft, auch wohl der gar zu schnellen Vermehrung der Befehlshaber und der Vornehmen überhaupt, haben Schranken setzen wollen. Vielleicht sah ein alter vernünftiger Gesetzgeber zu Tahiti Voraus, daß, wenn jene Classe kleiner Tyrannen allzu zahlreich würde, der gemeine Mann unter dem Joche derselben bald würde erliegen müssen.[27] Zu Verhütung dieses Übels, gab es ohne Zweifel kein würksameres Mittel, als jene Verordnung, daß sie unverheyrathet bleiben sollten; dagegen mußten ihnen aber zu Versüßung dieses Zwanges freylich gewisse glänzende Vorzüge eingeräumet werden. Hieher rechne ich die große Achtung, die man dem gemeinen Volk für die Errioys beybrachte, und die Mittel, die man ihnen verschaffte, sich gütlich zu thun, tapfer zu schmausen und alle Tage in Freuden zu leben, als welches von jeher das Vorrecht der Krieger war, ehe sie zu hungerleidenden Söldnern, der alles selbst verschlingenden Tyrannen, ausarteten. Ehemals mögen sie freylich die Achtung, welche man ihnen bezeigt, durch ein unsträfliches Betragen, mehr als heut zu Tage, verdienet haben. Wenn sie sich aber einmal, in Betracht der Ehe, über die Grundregeln ihres Instituts hinweggesetzt hatten, so ist leichtlich zu begreifen, daß nach und nach der ursprüngliche Geist dieser Gesellschaft, auch in den übrigen Stücken verlohren gehen, und daß Ausschweifung und Völlerey an die Stelle der ehemaligen Keuschheit und Mäßigkeit treten mußten. Gegenwärtig sind die Errioys unter ihren übrigen Landsleuten ohnläugbar die größten Wollüstlinge; daß sie aber, zu Befriedigung der Sinnlichkeit, auf neue Erfindungen verfallen wären, bin ich nicht gewahr worden. Man hat ihnen zwar die häßlichste Art von wollüstiger Ausschweifung Schuld geben und behaupten wollen, daß ihre Weiber allen Mitgliedern des Ordens gemeinschaftlich zugehörten:[28] Allein, nicht zu gedenken, daß eine solche Einrichtung, an und für sich schon, dem Charakter dieser Nation widerstreitet, so ist uns auch, bey genauerer Nachfrage, ausdrücklich das Gegentheil davon versichert worden. Man muß also diese Erzählung für eine bloße Grille von gewissen lustigen und kurzsichtigen Reisenden oder Reisebeschreibern ansehen, die das liebe Publikum wohl mit noch andern abentheuerlichen Mährchen unterhalten haben.
Die Errioys sind zum Theil eben so verheyrathet als Maheine sich mit Toperri's Tochter verehligt hatte; andre pflegen sich Beyschläferinnen zu halten. Manche mögen sich freylich auch mit gemeinen Huren abgeben, deren auf allen diesen Inseln so viele vorhanden sind: Diese Art von Ausschweifung ist aber nichts so unerhörtes, sondern vielmehr unter den civilisirtern Europäern weit herrschender als hier. Sollte man also, blos daher Anlaß genommen haben, die Errioys zu beschuldigen, daß sie einander ihre Weiber wechselsweise Preiß gäben; so würde das ohngefähr eben so herauskommen, als wenn man, wegen der lüderlichen Lebensart einzelner Europäer, behaupten wollte, daß es in Europa eine Classe von Leuten beyderley Geschlechts gäbe, die ihre Tage in einer steten Befriedigung sinnlicher Lüste zubrächte!
Von dem Vorwurf des Kindermordes hingegen sind die Tahitier nicht freyzusprechen, so unerklärbar es auch beym ersten Anblick scheinen mag, daß eine Nation von so sanftem, mitleidigen, und zur Freundschaft gestimmten Herzen, zugleich der äußersten Grausamkeit fähig seyn soll. Wenn die Unmenschlichkeit der Väter hier schon Schaudern erregt, was soll man von den Müttern sagen, deren Herzen von Natur und durch Instinct sonst überall so zärtlich sorgsam und zum Erbarmen geneigt sind? Die Wege und Stimme der Tugend sind freylich nur gar zu leicht zu verfehlen; Aber bey alle dem bleibt es immer noch unbegreiflich, wie ein Volk, das in den übrigen Stücken so sehr der Natur getreu blieb, gerade dem ersten Grundgesetz derselben zuwider handeln, und gegen eine so tief gepflanzte Empfindung sich habe verhärten können? Doch – die leidige Gewohnheit
That monster custom, who all sense doth eat
Of habits evil
SHAKESPEARE.
entkräftet nach und nach alles Gefühl und übertäubt zuletzt gar die Vorwürfe des Gewissens. – So bald wir ohnläugbare Gewißheit davon hatten, daß eine so widernatürliche Barbarey unter den Errioys würklich ausgeübet werde, verwiesen wir es unserm jungen Freunde Maheine, daß er sichs zur Ehre rechne, einer so verabscheuungswürdigen Gesellschaft anzugehören. Wir suchten ihm die Grausamkeit dieses Verfahrens begreiflich zu machen, und ließen keinen Grund dawider ungenutzt, der uns nur beyfiel, oder vielmehr, den wir nur in seiner Sprache auszudrucken wußten. Auch gelang es uns, ihn zu überzeugen, daß es Unrecht sey, und er versprach, seine Kinder nicht umzubringen, ja sich von der Gesellschaft überhaupt gänzlich loszumachen, sobald er Vater seyn würde. Es gereichte uns einigermaaßen zum Trost bey dieser Gelegenheit von ihm zu vernehmen, daß die Errioys selten Kinder bekämen. Sie müssen also ihre Weiber und Beyschläferinnen wohl aus der Classe der gemeinsten lüderlichen Dirnen hernehmen, und, sowohl aus diesem Grunde, als wegen ihrer ausgelaßnen Wollust, selten in den Fall gerathen, ein unglückliches Kind aufzuopfern. Ich hatte bey meiner Zurückkunft nach England Gelegenheit, mich über die Errioys mit O-Mai zu besprechen. Ich stellte ihm vor, wie sehr es dem ganzen Volke zur Schande gereiche, eine Gesellschaft von Kindermördern unter sich zu dulden. Allein, er versicherte mich, daß der größere Theil der Nation keinesweges Antheil an dieser Grausamkeit nähme. Die Kinder müßten zwar, den einmal eingeführten Gesetzen nach, ums Leben gebracht werden, und zur Entschädigung für diesen bittern Zwang, habe man den Mitgliedern dieser Gesellschaft, besondere Ehrenbezeugungen und große Vorrechte zugestanden: Demohnerachtet gäben die Mütter nie ihre Einwilligung zu dem Mord ihrer Kinder. Die Männer und andre Errioys überredeten sie daher, die Kinder wegzugeben; wenn aber Bitten nicht helfen wollten, so würde zuweilen Gewalt gebraucht. Vor allen Dingen aber, setzte er hinzu, würden dergleichen Mordthaten ganz so insgeheim verübt, daß auch nicht einmal die Tautaus, oder Bedienten des Hauses, etwas davon erführen; weil, wenn es ruchtbar würde; der Mörder mit dem Leben dafür büßen müßte. Auf solche Art könnte denn freylich den Tahitiern und ihren Nachbaren, in diesem Punkte, nicht mehr zur Last gelegt werden, als was sich leider! von jedem anderen Volke sagen läßt, nemlich daß es einzelne Bösewichter unter ihnen giebt, die barbarisch genug sind, ihre eigne Kinder umzubringen. Und folglich dürfen auch diejenigen, die das menschliche Herz bey allen Gelegenheiten zu verketzern suchen, nicht länger frolockend wähnen, als ob es eine ganze Nation gebe, die Mord und Todtschlag begehen könne, ohne zu fühlen, daß sie daran Unrecht thue.[29]
Bey aller ihrer Schwelgerey vergassen die hier versammleten Errioys doch der Gastfreyheit nicht; sondern ladeten uns fleißig ein, an ihrem Mahle Theil zu nehmen; da wir selbst aber eben von Tisch aufgestanden waren, so giengen wir statt dessen lieber spatzieren, und kehrten erst gegen Sonnen-Untergang wieder nach dem Schiffe zurück, welches Maheine, das Mädchen, und die übrigen indianischen Passagiers in der Zwischenzeit verlassen hatten.
Am folgenden Morgen besuchten uns viele von den Insulanern in ihren Canots, und die Frauensleute kamen nicht nur in Menge an Bord, sondern liessen sichs zum Theil auch die Nacht über bey unsern Matrosen gefallen. Zu Huaheine waren dergleichen Besuche ungleich sparsamer gewesen; wenigstens hatten sich dort mehrentheils nur solche Frauenspersonen dazu verstanden, die auf der Insel selbst fremd waren. Die Matrosen fiengen also, nach einer kleinen Pause, ihre Tahitische Lebensart hier mit desto größerer Begierde wiederum an. Wir nahmen heut einen Spatziergang nach dem Nord-Ende der Insel vor, schössen daselbst etliche wilde Endten, und wurden in verschiednen Gegenden sehr gastfrey aufgenommen.
Des nächsten Tages war das Wetter überaus angenehm, zumal da ein starker Ost-Wind die gewöhnliche Hitze um vieles mäßigte. Wir hatten vornehmen Besuch auf dem Schiffe. Orea und seine Familie, Boba, der Vice-König dieser Insel, O-Taha, und Teina-Mai die schöne Tänzerin, deren ich schon weiter oben [T. l S. 324] gedacht habe, machten unsre Gesellschaft aus. Boba ist ein langer, wohlgebildeter junger Mann, von Borabora gebürtig, und mit Punie, dem dasigen Könige und Eroberer der Inseln Raietea und Taha, verwandt. Maheine hatte uns oft erzählt, daß Punie sich diesen jungen Menschen zum Nachfolger ausersehen, und ihm seine einzige Tochter Maiwerua zugedacht habe, die ungemein schön und erst 12 Jahre alt seyn soll. Boba war damals ein Errioy und hielt sich die schöne Tänzerin Teina zur Beyschläferin. Da sie uns schwanger zu seyn dünkte, so unterredeten wir uns mit ihr über die Gewohnheit, wonach die Kinder der Errioys umgebracht werden müssen. Das Gespräch war aber nur sehr kurz und ziemlich abgebrochen, theils, weil es Mühe kostet, diese Insulaner überhaupt, und besonders die Frauenzimmer aufmerksam zu erhalten, theils, weil wir noch nicht genug von ihrer Sprache wußten, um moralische und philosophische Begriffe darinn auszudrücken. Daher sahe es auch mit unsrer Beredsamkeit ein wenig mißlich aus, und alles, was wir damit von Teina-Mai herauslocken konnten, war dieses: „daß unser Eatua (Gott) in England vielleicht über die Gewohnheiten der Errioys böse seyn mögte, daß der ihrige aber kein Mißfallen daran habe. Indessen versprach sie, daß, wenn wir aus England kommen, und ihr Kind abholen wollten, sie solches am Leben zu erhalten suchen würde; doch verstände sichs, daß wir ihr ein Beil, ein Hemd und einige rothe Federn dafür geben müßten.“ Alles das sagte sie aber in einem so lachenden Tone, daß wir kaum hoffen durften, es sey ihr Ernst. Auch war es umsonst, länger mit ihr davon zu sprechen; denn sie verfiel unaufhaltsam von einem Gegenstand auf den andern, und wir mußten froh seyn, daß sie uns nur so lange hatte anhören wollen.
Nachmittags giengen wir ans Land, um einem dramatischen Tanze beyzuwohnen, in welchem Poyadua, Orea Tochter, sich sollte sehen lassen. Die Anzahl der versammleten Zuschauer war sehr beträchtlich; denn auf dieses Schauspiel wird hier viel gehalten. Die Tänzerin legte bey dieser Gelegenheit von ihrer schon bekannten Geschicklichkeit einen neuen Beweis ab, und fand bey allen Europäern den größten Beyfall. Die Zwischenspiele wurden durch Mannspersonen vorgestellt, und waren, ihrem Innhalt nach, für uns von ganz neuer Composition. Ohnerachtet wir nicht alles von Wort zu Wort verstanden, so konnten wir doch so viel unterscheiden, daß die Namen des Capitain Cook und andrer Herren von unserer Gesellschaft in den Gesängen vorkamen. Die ganze Handlung schien eine von denen Räubergeschichten vorzustellen, dergleichen uns in diesen Inseln so viele begegnet waren. Ein andres Intermezzo stellte den Angriff der Krieger von Borabora vor, wobey derbe Schläge mit einem Riemen ausgetheilt wurden, daß es nur so klatschte. Das dritte Zwischenspiel war seltsamer als die übrigen alle. Es stellte eine Frau in Kindeswehen vor, und erregte bey der Versammlung ein überlautes Gelächter. Der Kerl, der diese Rolle hatte, machte alle Posituren, welche die Griechen in den Haynen der Venus Ariadne bey Amathus bewunderten, und die im Monath Gorpiäus, zum Andenken der im Kindbette gestorbenen Ariadne, feyerlich vorgestellt zu werden pflegten[30]. Ein andrer großer und starker Kerl, in Tahitisches Zeug gekleidet, stellte das neugebohrne Kind vor, und gebehrdete sich dazu so possierlich, daß wir herzlich mitlachen mußten. Das Costume war so genau beobachtet, daß selbst ein Accoucheur oder jeder andre Sachverständige an diesem großen Jungen keines von den wesentlichen Kennzeichen eines neugebornen Kindes würde vermißt haben; denen indianischen Zuschauern aber gefiel das vorzüglich, daß er, unmittelbar nach seinem Eintritt in die Welt, so drell auf dem Theater herum lief, daß die Tänzer ihn kaum wieder haschen konnten. Capitain Cook hatte bey dieser Gelegenheit bemerkt, daß, sobald die andern Kerls den großen Jungen wieder eingeholt, sie ihm die Nase, oben zwischen den Augen, platt gedrückt hätten. Hieraus schließt er, ganz richtig, daß diese Gewohnheit würklich bey neugebohrnen Kindern allhier statt finde, wie sie denn auch fast durchgehends eingedrückte Nasen haben.[31] Unter allen schien diese Vorstellung den Damen das mehreste Vergnügen zu machen. Auch konnten sie sich dem Eindruck desselben ohne Bedenken überlassen, weil nach hiesiger Landes-Sitte gar nichts darinn vorkam, welches sie in Verlegenheit hätte setzen können, wie es wohl unsern europäischen Schönen geht, die in den Schauspielen oft nur durch den Fächer schielen dürfen.
Am folgenden Morgen nahmen wir einen Spatziergang nach Süden vor, und fanden daselbst sehr fruchtbare Gegenden und sehr gastfreye Leute. Der Weg führte uns zu einem großen steinernen Gebäude, das Marai no Parua, Parua’s Begräbnißplatz, genannt ward. Ich habe bereits erwähnt, daß Tupaya, der sich bey Capitain Cooks erstern Reise, auf der Endeavour mit eingeschifft hatte, eben auch diesen Namen führte; ob aber dies Grabmal ihm zum Andenken errichtet worden sey? kann ich nicht sagen. Sonst pflegen dergleichen Maraïs gemeiniglich nach lebenden Befehlshabern benannt zu werden; und also mag noch wohl jetzt einer, Namens Parua, allhier vorhanden seyn. Wenigstens versicherten die hier herum wohnenden Indianer, daß der Parua dem dies Grabmal zugehöre, ein Eri sey, welchen Titel man jedoch dem Tupaya nicht durchgehends zugestehen wollte. Dies Gebäude war 60 Fus lang und 5 Fus breit. Die Mauern bestanden aus großen Steinen, und hatten ohngefähr 6 bis 8 Fuß Höhe. Wir kletterten darüber weg, fanden aber den innern Bezirk oder Hof, blos mit einem Haufen kleiner Corallen-Steine angefüllt.
Etliche Meilen weiter gelangten wir an eine geräumige Bay, wo innerhalb des Riefs drey kleine Inseln vorhanden sind. Die Bay war überall mit Sumpf umgeben, darinn eine Menge von wilden Endten ihren Aufenthalt genommen hatte. Diese Gelegenheit zur Jagd ließen wir nicht ungenutzt und fuhren alsdann, in zwey kleinen Canots, nach einer von den vorgedachten Inseln hinüber, um zu sehen, ob die See dort etwa Muscheln an den Strand geworfen hätte? Allein, diese Hoffnung schlug uns fehl; denn außer einer einzigen Hütte, welche, (wie man aus denen darinn aufbewahrten Netzen und andern Fischer-Geräthschaften schließen konnte,) blos zum Behuf des Fischfanges angelegt zu seyn schien, war nichts als etliche Cocos-Palmen und niedriges Gebüsch daselbst zu finden. Wir kehrten also mit leeren Händen zurück, speißten bey einem Indianer, der uns eingeladen hatte und langten erst gegen Sonnen-Untergang wieder auf dem Schiffe an. Orea hatte sich in unsrer Abwesenheit bey Capitain Cook zu Gast gebeten und eine ganze Bouteille Wein getrunken, ohne davon im mindesten berauscht zu scheinen. Doch war er, wie immer, sehr gesprächig gewesen, und hatte sich hauptsächlich über die Merkwürdigkeiten der Länder unterhalten, welche wir auf unsrer Reise besucht, und wovon ihm sein Landsmann Maheine so manches erzählt hatte. Nachdem er das, was ihm der Capitain davon zu sagen wußte, eine Weile mit angehört, fieng er an: Wir hätten allerdings viel gesehen, doch könne er uns von einer Insel Nachricht geben, von der wir bey alle dem wohl nichts wissen mögten. Sie liegt, sagte er, nur wenige Tagereisen von hier, wird aber von ungeheuern Riesen bewohnt, die so groß sind als der höchste Mast, und so dick im Leibe, als das Obertheil eurer Schiffswinde. Es sind ganz gute Leute, aber wenn man sie böse macht, so ist kein Auskommens mit ihnen. Sie sind gleich im Stande, einen Mann beym Leibe zu nehmen und ihn so weit in die See zu schleudern, als ich mit einem Stein thun würde. Solltet ihr auf eurer Reise etwa noch dahin kommen; so nehmt euch nur in Acht, daß sie nicht in die See zu euch heranwaden, das Schiff auf die Schultern nehmen und so ans Land tragen. Er setzte noch andre lächerliche Umstände hinzu, und, um seiner Erzählung desto mehr Glauben zu verschaffen, so vergaß er nicht dieser wunderbaren Insel auch einen Namen zu geben. Er sagte nemlich, sie werde Mirro-Mirro genannt. Die Art, mit welcher er dies Mährchen vorbrachte, bewies offenbar, daß es eine Ironie auf diejenigen Stellen unsrer Erzählungen seyn sollte, die er entweder für erdichtet halten mogte, oder wovon er sich keinen Begriff machen konnte, und die schalkhaft witzige Einkleidung, welche er seiner Spötterey zu geben wußte, war in der That bewundernswerth. Herr von Bougainville[32] hat wohl allerdings Recht, wenn er die Ursach von den lebhaften Verstandes-Fähigkeiten dieser Insulaner in der Fruchtbarkeit ihres Landes sucht, denn Überfluß und sorgenfreye Tage bringen überall Fröhlichkeit und muntres Wesen hervor.
In der Nacht wurden aus den Booten, die an dem Anker-Wächter (buoy) befestiget waren, einige Ruder, Bootshaaken und kleine Anker gestohlen. So bald man sie am Morgen vermißte, ließ der Capitain den Befehlshaber Orea davon benachrichtigen. Dieser fand sich auch ungesäumt bey uns ein und holte den Capitain in seinem Boote ab, um die Diebe aufzusuchen. Nachdem sie ohngefähr eine Stunde weit gerudert waren, gieng er in dem südlichsten Theil der Insel ans Land und brachte das Gestohlne von dorther alles wieder zurück. Ich war unterdessen auch am Lande gewesen und hatte ohnweit der Bucht von zwo kleinen Mädchen einen Hiwa oder Tanz aufführen sehen. Sie waren aber weder so reich gekleidet, noch in ihrer Kunst so geschickt als Poyadua. Ihr Tamau, oder Kopfputz von geflochtnen Haaren, war nicht in Form eines Turbans aufgesetzt, sondern machte verschiedne große Locken aus, die eine gute Würkung auf das Auge thaten und gewissermaaßen den hohen Frisuren unserer neumodischen Damen ähnlich sahen.
Nachmittags tanzte Poyadua wiederum, und es schien fast als ob sie ihre übrigen Gespielen diesmal ausstechen wollte, wenigstens hatte sie sich mehr als gewöhnlich ausgeputzt und mit einer Menge von allerhand Europäischen Glas-Corallen behangen. Ihre bewundernswürdige Gelenkigkeit, die reizende Bewegung ihrer Arme, und das schnelle zitternde Spiel der Finger, wurden von den Indianern eben so sehr, als die Künste der Opern-Tänzerinnen von uns bewundert. Doch verdiente Poyadua auch unsern Beyfall, wenigstens um deswillen, daß sie ihre Geschicklichkeit nicht einem Lehrer, sondern blos der eigenen Ausbildung ihres natürlichen Talentes zu verdanken hatte. Nur darinn konnten wir dem Nationalgeschmack nicht beystimmen, daß die außerordentlichen Verzerrungen des Mundes schön seyn sollten! unserm Urtheil nach, waren sie vielmehr recht häßlich und so gar abscheulich. Zu diesen öfteren dramatischen Vorstellungen gab bloß die Anwesenheit der Errioys Anlaß. Ihre Gegenwart schien die ganze Insel zu beleben, und jedermann frölich zu machen, auch giengen sie selbst hierinn den übrigen mit gutem Exempel vor. Sie putzten sich aufs beste heraus und erschienen fast alle Tage in einem andern Kleide. Der ganze Tag ward in Wohlleben und Müßiggang zugebracht: Sie salbten sich die Haare mit wohlriechendem Öl, sangen, oder spielten die Flöte, kurz ein Vergnügen wechselte mit dem andern ab, und keine derer Glückseeligkeiten, die man hier zu Lande haben kann, blieb ungenossen. Dies erinnerte mich an jenes glückliche, im Schooß des Überflusses gewiegte Volk, das Ulysses in Phäacien antraf, und dessen eigner Beherrscher bekannte, sie
Liebten nur immer den Schmaus, den Reigentanz und die Laute,
Oft veränderten Schmuck, und (kühle) Bäder und Ruhe.
ODYSSEE, VIII. 248.
Unser Freund Maheine war vielleicht der einzige seines Standes, der nicht so ganz vergnügt seyn mogte als die übrigen, und das um deswillen, weil man ihm hier nicht so viel Gunstbezeugungen erwies, als er zu Tahiti genossen hatte. Es scheint auch hier in der Südsee, wie bey uns, wahr zu seyn, daß ein Prophet nirgends weniger gilt, als in seinem Vaterlande. Er hatte allhier eine zahlreiche Verwandtschaft; aber das nützte ihm zu nichts weiter, als daß alle, die dazu gehörten, Geschenke von ihm erwarteten, und zwar nicht als eine Gütigkeit, sondern beynahe als Pflicht. Zu Tahiti hingegen, ward ihm jedes, noch so geringe Geschenk, als eine Freygebigkeit angerechnet, wodurch er sich Freunde und andre Vortheile zuwege brachte. So lange dem gutherzigen Jungen noch das geringste von denen Seltenheiten übrig blieb, die er auf unserer beschwerlichen und zum Theil würklich gefährlichen Reise mit Gefahr seines Lebens gesammlet hatte; so lange nahm auch das Quälen kein Ende; und ob er gleich nach und nach alle seine Schätze ohne Rückhaltung dahin gegeben, so schienen dennoch einige seiner Verwandten laut über seinen Geiz zu klagen. Er, der ehemals im Stande gewesen war, andern mitzutheilen, mußte nun selbst wieder bey seinen europäischen Freunden, um ein und anderes bitten, denn die Habsucht seiner Verwandten hatte ihm kaum noch ein Paar rothe Federn und andre Kleinigkeiten, zum Geschenk für seinen hohen Anverwandten O-Puni, den König auf Borabora, übrig gelassen. Auf solche Art war es denn kein Wunder, daß er sehnlich nach Tahiti zurückzukehren wünschte; er sagte uns auch, daß, sobald er nur O-Puni und seine übrigen Verwandten auf Borabora besuchet haben würde, ihn gewiß nichts abhalten solle, eiligst nach Tahiti und nie wieder von dannen zu gehen. Dennoch aber würde er gern mit uns nach England gekommen seyn, wenn wir ihm nur die geringste Hoffnung hätten machen können, daß wir jemals wieder nach der Südsee zurückkehren würden: Allein, da ihm Capitain Cook ausdrücklich das Gegentheil versichert hatte; so wollte er dem Vergnügen, unsern Welttheil zu sehen, lieber entsagen, als sich auf immer von seinem geliebten Vaterlande trennen. Und in Wahrheit, wenn man bedenkt, was sein Landsmann O-Mai bey uns gelernt hat, so war es für das Herz und die Sitten unsres unverdorbenen Freundes gewiß am zuträglichsten, daß er zurückblieb. Die Pracht von London hat er nun freylich nicht kennen lernen, aber dafür sind ihm auch alle die Gräuel der Sittenlosigkeit unbekannt geblieben, welche die größeren Hauptstädte Europens fast durchgehends mit einander gemein haben.
Als der Tanz zu Ende war, nöthigte uns Maheine, daß wir ihn morgen auf seinem eignen Grund und Boden besuchen möchten. Er hatte uns schon oft erzählt, daß er auf dieser Insel Land-Eigenthum besitze, und wollte die gegenwärtige Gelegenheit, sein Vorgeben zu bestätigen, um desto weniger ungenutzt lassen, als verschiedene von unserer Schiffsgesellschaft bisher noch immer daran gezweifelt hatten. Seiner Einladung gemäß giengen wir also, des folgenden Tages frühe, in zwey Booten nach dem nord-östlichen Ende der Insel unter Seegel, allwo der ihm zuständige District, Wharaite-wah, liegen sollte. Orea begleitete uns nebst seiner Familie, und in Zeit von zwo Stunden langten wir daselbst glücklich an. Maheine bewillkommte uns nebst zween seiner älteren Brüder, und brachte uns zu einem geräumlichen Hause. Hier ließ er gleich Anstalten zur Mahlzeit machen. Während dieser Zubereitungen giengen mein Vater, Dr. Sparrmann, und ich, zum Botanisiren auf die benachbarten Berge, wir fanden aber nicht eine einzige neue Pflanze. Nach Verlauf zwoer Stunden kamen wir wieder, und unterdessen daß das Essen auf getragen ward, erzählte uns Capitain Cook ganz umständlich, wie es bey der Zurichtung hergegangen war. Er hatte alles selbst mit angesehen, und da wir uns über diesen Gegenstand noch nirgends ausführlich erklärt haben; so will ich, zum Besten meiner Leser, des Capitains Beschreibung hier wörtlich einrücken.[33] Drey Kerls ergriffen ein Schwein, das ohngefähr 50 Pfund schwer seyn mogte, legten es auf den Bücken, und erstickten es, indem sie ihm queer über den Hals einen dicken Stock drückten, so, daß an jeder Seite einer mit seinem ganzen Körper darauf ruhte. Der dritte hielt die Hinterbeine, und, um alle Luft im Leibe zu verschließen, stopfte er dem Schwein ein Büschel Gras in den Hintern. Nach Verlauf von 10 Minuten war das Schwein todt. Während dieser Zeit hatten zween andre ein Feuer angemacht, um den sogenannten Ofen durchzuheizen, der aus einer Grube unter der Erde bestand, darinn eine Menge Steine aufgepackt waren. An diesem Feuer ward das todte Schwein gesengt, und zwar so gut als hätten wirs in heißem Wasser gebrühet. Um es vollends rein zu machen, trugen sie es an das See-Ufer, rieben es dort mit Sand und Kieseln, und spülten es hernach wiederum sauber ab. Darauf ward es an den vorigen Ort zurückgebracht und auf frische Blätter gelegt, um auch von innen rein gemacht zu werden. In dieser Absicht ward der Bauch geöffnet, hiernächst der äußere Speck abgelöset, auf grüne Blätter bey Seite gelegt, und dann das Eingeweide herausgeschnitten; letzteres wurde sogleich in einem Korbe weggetragen und auch nicht wieder zum Vorschein gebracht; doch bin ich überzeugt, daß sie es nicht weggeworfen haben. Zuletzt nahmen sie das Blut und das innere Fett heraus, jenes ward auf grüne Blätter, dieses aber zu dem vorher schon abgesonderten Speck geschüttet. Nachdem hierauf das Schwein nochmals, von außen und innen, mit frischem Wasser abgewaschen war, steckten sie etliche heiße Steine in den Bauch, und ließen solche in die Höhlung der Brust hinunter fallen, stopften auch eine Anzahl frischer Blätter dazwischen ein. Mittlerweile war der Ofen, der aus einer mit Steinen ausgefüllten Grube oder Vertiefung in der Erde bestand, sattsam durchgeheizt; man nahm also das Feuer und die Steine, bis auf die unterste Schicht, weg, die so eben als gepflastert war. Auf diese ward das Schwein mit dem Bauch zu unterst gelegt; das Fett und Speck aber, nachdem es sorgfältig abgewaschen, ward in einem langen Troge, der aus einem jungen Pisangstamm ausdrücklich dazu ausgehöhlet worden, neben das Schwein gestellt. In das Blut warf man einen heißen Stein, damit es sich verdicken oder gerinnen mögte, alsdenn wurden kleine Portionen davon in Blätter gewickelt, und auch diese, nebst einer Menge Brodfrucht und Pisangs in den Ofen gebracht. Hierauf bedeckten sie alles mit frischem Laube, und dann mit dem Rest der geheizten Steine. Über diese wurde wieder eine Schicht Blätter hingestreuet und zuletzt noch allerhand Steine und Erde, hoch darüber aufgehäufet. Während der Zeit, daß dies Gericht unter der Erde stobte, deckten die Leute den Tisch; das heißt, sie breiteten an einem Ende des Hauses eine Menge grüne Blätter auf die Erde. Nach Verlauf zwoer Stunden und zehn Minuten ward der Ofen geöffnet und alles herausgezogen. Die Gäste setzten sich rund um die Blätter, die Eingebohrnen an das eine und wir an das andere Ende. Da wo wir saßen, ward das Schwein aufgetragen; an jener Seite aber, welche die Indianer eingenommen hatten, ward das Fett und das Blut hingesetzt, welches beydes sie auch allein verzehrten und für ungemein schmackhaft ausgaben, dagegen ließen wir uns das Fleisch nicht minder gut schmecken, weil es in der That ganz vortreflich zubereitet war, auch die Leute, welche die Küche besorgten, in allen Stücken eine nachahmenswerthe Reinlichkeit beobachtet hatten.[34] – Kaum war das Schwein zerlegt, als die angesehensten Befehlshaber und Errioys gemeinschaftlich darüber herfielen und ganze Hände voll des Bluts und Fetts auf einmal verschlangen. Überhaupt aßen alle unsre Tischgenossen mit ungewöhnlicher Gierigkeit, indeß die armen Tautaus, die in großer Menge um uns her standen, sich an dem bloßen Zusehen genügen lassen mußten, denn für sie blieb auch nicht ein Bissen übrig. Unter allen Zuschauern waren Orea's Frau und Tochter die einzigen die etwas bekamen, und beyde wickelten ihre Portionen sorgfältig in Blätter, um sie an einem abgesonderten Platze zu verzehren. Hier schien es, daß die Frauensleute essen dürfen, was durch Männer zubereitet und ausgetheilt wird; bey andern Gelegenheiten aber war es uns vorgekommen, als ob gewisse Leute nicht essen dürften, was von dieser oder jener Person in der Familie war berühret worden.[35] Doch können wir nicht eigentlich bestimmen, nach was für Regeln sie sich in diesem Stücke richten mögen. Zwar sind die Tahitier nicht das einzige Volk, wo die Männer von den Weibern abgesondert speisen; vielmehr ist diese Gewohnheit auch bey einigen Nationen unter den Negern, imgleichen bey den Einwohnern auf Labrador eingeführt. Allein, so wohl jene Neger, als auch die Eskimaux, bezeigen überhaupt eine ganz ungewöhnliche Verachtung für das andere Geschlecht, und eben diese mag denn auch Schuld daran seyn, daß sie nicht gemeinschaftlich mit ihren Frauen essen wollen. Bey den Tahitiern hingegen, wo den Weibern in allen übrigen Stücken so gut und artig begegnet wird, muß jene befremdliche Ungeselligkeit noch eine andre Ursach zum Grunde haben, die sich vielleicht künftig einmal, vermittelst genauer Beobachtungen, wird entdecken lassen.
[1774. Junius.]
Der Capitain hatte die Vorsorge gehabt, einige Flaschen Brandtewein mitzunehmen, der mit Wasser verdünnt, das Lieblingsgetränk der Seeleute, den sogenannten Grog, ausmacht. Die Errioys und einige andre vornehme Indianer fanden dies Gemische stark und fast eben so sehr nach ihrem Geschmack als das hiesige berauschende Pfefferwasser; sie tranken also tapfer herum, und setzten gar noch etliche Spitzgläser Brandwein oben drauf, welches ihnen dann sowohl behagte, daß sie sich bald nach einem Ruheplätzchen umsehen und eins ausschlafen mußten. Um 5 Uhr Nachmittags kehrten wir nach dem Schiff zurück, badeten aber zuvor, des heißen Wetters wegen, in einer schönen Quelle, deren wir uns zu diesem Behuf schon mehrmalen bedient hatten. Sie ist durch wohlriechendes Gebüsch vor den Sonnenstrahlen geschützt, und wird auch von den Eingebohrnen, welche alle diese Stellen genau kennen, ihres stets gemäßigt kühlen Wassers halber, vorzüglich gern besucht. Man findet dergleichen Bade Plätze auf diesen Inseln sehr häufig; und ohne Zweifel tragen sie eben so viel zur Erhaltung der Gesundheit als zur Verschönerung des Landes bey.
Die folgenden Tage suchten wir auf den Bergen umher nach Pflanzen, und fanden auch hin und wieder einige noch unbekannte Arten. An und für sich sind die hiesigen Berge mit denen zu Tahiti von gleicher Art, nur etwas niedriger als jene. Auf diesem Spatziergange entdeckten wir unter andern ein recht romantisches Thal; es war mit dicker Waldung umgeben, und ward von einem schönen Bach durchschlängelt, der sich von jener Seite, aus hohen Berggegenden her, über gebrochne Felsen-Massen in stuffenförmigen Cascaden herabstürzte.
Bey unserer Zurückkunft von der letzten botanischen Excursion erfuhren wir eine sehr wichtige Neuigkeit; es hatte nemlich einer von den Indianern, der eben aus Huaheine zurückkam, die Nachricht mitgebracht, daß allda zwey Schiffe vor Anker lägen, davon eins größer wäre als das unsrige. Capitain Cook ließ diesen Mann in die Cajütte kommen, um ihn deshalb genauer zu befragen. Der Indianer wiederholte, was er bereits auf dem Verdeck ausgesagt hatte, und führte zur Bestätigung noch den Umstand an, daß er selbst am Bord des kleinern Schiffes gewesen, und von den Leuten trunken gemacht worden wäre. Wir erkundigten uns nach den Namen der Capitains, worauf er zur Antwort gab, der Befehlshaber des größern sey Tabane, der aber in dem kleineren heiße Tonno. Da dies nun gerade dieselbigen Namen waren, welche die Indianer Herrn Banks und Fourneaux beygelegt hatten; so stutzte Capitain Cook nicht wenig, und fragte weiter, von welcher Statur diese Herren wären? Der Indianer versetzte alsbald, Tabane sey groß, Tonno aber kleiner von Statur; auch dies stimmte mit der uns bekannten Gestalt dieser beyden Herren genau überein. Gleichwohl hatten wir in manchem andern Betracht wieder eben so sehr Ursach, die ganze Erzählung in Zweifel zu setzen: denn, wenn Capitain Fourneaux würklich zu Huaheine war, so mußte er auch von den dortigen Einwohnern ohnfehlbar erfahren haben, daß Capitain Cook noch in der Nachbarschaft sey, und da er unter den Befehlen desselben von England ausgeseegelt war; so erforderte es auch jetzt seine Pflicht ihn aufzusuchen. Weil aber dies nichterfolgte, so blieb uns am Ende keine andre Vermuthung übrig, als daß, wenn überhaupt europäische Schiffe an jener Insel lägen, es doch nicht englische seyn könnten. Bey unsrer Zurückkunft nach dem Cap erfuhren wir auch, daß Capitain Fourneaux lange vor der Zeit, da ihn die Indianer zu Huaheine gesehen haben wollten, aus der Tafel-Bay abgeseegelt, Herr Banks aber gar nicht aus Europa gekommen wäre. Vermuthlich war also die ganze Sache eine blosse Erdichtung, womit die lieben Insulaner uns vielleicht gar auf die Probe setzen wollten, ob wir uns auch vor andern eben so mächtigen oder uns überlegenen Seefahrern fürchten würden.[36]
Am folgenden Tage kamen die Indianer haufenweise an das Schiff, und brachten große Vorräthe von Lebensmitteln zum Verkauf, weil sie hörten, daß wir morgen (den 4ten Junius) schon wieder absegeln wollten. Ohngeachtet sie alles sehr wohlfeil ausboten; so war doch unser Vorrath von Beilen und Messern bereits dermaaßen erschöpft, daß der Büchsenschmidt neue Waare dieser Art anfertigen mußte, die aber ungestaltet und wenig nutze war. Das galt vornämlich von den Messern, als zu welchen die Klingen aus eisernen Tonnenbändern zusammengestümpert wurden. Die guten einfältigen Leute waren aber doch damit zufrieden, weil sie die innere Güte noch nicht nach dem bloßen Ansehen zu beurtheilen wußten. Dafür also, daß sie uns bisweilen die Taschen ausgeleeret, oder manches heimlich entwendet hatten, was wir nicht genug bewachten; machten wirs jetzt doppelt so arg mit ihnen, denn wir hintergiengen sie gar bey offnen Augen. –
Unter den Bewohnern der Societäts-Inseln giebt es hie und da gewisse Personen, die von den Traditionen, von der Mythologie und von der Sternkunde ihrer Nation Kenntniß haben. Maheine hatte sie uns oft als die Gelehrtesten seiner Landesleute gerühmet und sie Tata-o-Rerro genannt, welches man ohngefähr durch Lehrer übersetzen könnte. Nachdem wir lange darauf ausgewesen, einen solchen Mann kennen zu lernen, so fanden wir endlich hier, im District Hamaneno, einen Befehlshaber, der Tutawaï hieß, und den Beynamen eines Tata-o-Rerro führte. Es that uns um desto mehr leyd, ihn nicht ehe ausgeforscht zu haben, weil unsre Abreise jetzt schon so nahe vor der Thüre war. Indessen verwendete mein Vater wenigstens noch die letzten Augenblicke unsers Hierseyns auf die Untersuchung eines so wichtigen Gegenstandes.
Dem hochgelahrten Tutawaï schien damit gedient zu seyn, daß er Gelegenheit fand, seine Wissenschaft auszukramen. Es schmeichelte seiner Eigenliebe, daß wir ihm so aufmerksam zuhörten; und dies vermogte ihn auch sich über diese Materie mit mehr Geduld und Beharrlichkeit herauszulassen, als wir sonst von den flüchtigen und lebhaften Einwohnern dieser Inseln gewohnt waren. Im Ganzen scheint die Religion aller dieser Insulaner das sonderbarste System von Vielgötterey zu seyn, das jemals erdacht worden. Nur wenig Völker sind so elend und so ganz mit den Befürfnissen der Selbsterhaltung beschäftiget, daß sie darüber gar nicht an den Schöpfer denken, und versuchen sollten, sich einen, wenn gleich noch so unvollständigen Begriff von ihm zu machen. Diese Begriffe scheinen vielmehr seit jenen Zeiten, da sich Gott den Menschen unmittelbar offenbarte, durch mündliche Erzählungen unter allen Nationen verblieben, und aufbehalten zu seyn. Vermittelst einer solchen Fortpflanzung der ehemaligen göttlichen Offenbarung, hat sich denn auch zu Tahiti und auf den übrigen Societäts-Inseln, noch ein Funken davon erhalten, dieser nemlich, daß sie ein höchstes Wesen glauben, durch welches alles Sichtbare und Unsichtbare erschaffen, und hervorgebracht worden. Die Geschichte zeigt aber, daß alle Nationen, wenn sie die Eigenschaften dieses allgemeinen und unbegreiflichen Geistes näher untersuchen wollten, die Schranken, welche der Schöpfer unsern Sinnes- und Verstandes-Kräften vorgeschrieben, bald mehr bald minder überschritten, und dadurch gemeiniglich zu den thörigsten Meynungen verleitet wurden. Daher geschahe es, daß die Eigenschaften der Gottheit durch eingeschränkte Köpfe, die sich von der höchsten Vollkommenheit keinen Begriff machen konnten, gar bald personificirt oder als besondere Wesen vorgestellet wurden. Auf diese Art entstand jene ungeheure Zahl von Göttern und Göttinnen; ein Irrthum gebahr den andern, und da jeder Mensch ein angebohrnes Verlangen hegt, von Gott sich einen Begriff zu machen; so brachte der Vater, das, was er davon wußte, in der ersten Erziehung auch seinen Kindern bey. Indessen vermehrte sich das Geschlecht der Menschen, und fieng gar bald an, sich in unterschiedne Stände zu theilen. Durch diesen eingeführten Unterschied in den Ständen ward verhältnißweise die Befriedigung der Sinnlichkeit einigen erleichtert, andern aber erschweret. Wenn nun unter denenjenigen, welchen sie erschweret wurde, ein Mann von besondern Fähigkeiten war, der den allgemeinen Hang seiner Mitbrüder zu Anbetung eines höheren Wesens bemerkte; so geschah es oft, (und ich möchte fast sagen, immer) daß er diese herrschende Neigung mißbrauchte. Zu dem Ende suchte der Betrüger die Verstandeskräfte des großen Haufens zu fesseln und sich denselben zinsbar zu machen. Die Vorstellungen, welche er ihnen von der Gottheit beybrachte, mußten seinen Absichten behülflich seyn, und deshalb pflanzte er dem Volke, das bisher von Natur eine kindliche Liebe zu Gott als seinem Wohlthäter fühlte, nun Furcht und Schrecken vor dem Zorn desselben ein. Eben so dünkt mich, ists auch auf den Societäts-Inseln zugegangen. Man verehret daselbst Gottheiten von allerhand Art und Eigenschaften; und, was vornehmlich befremdend ist, jede Insel hat eine besondere Theogonie oder Götter-Geschichte. Dies wird sich bey Vergleichung dieser Nachrichten, mit denen die in Capitain Cooks ersterer Reise enthalten sind, deutlich ergeben[37]. Tutawaï fieng damit an, daß er uns sagte, der höchste Gott oder der Schöpfer des Himmels und der Erden habe auf jeder Insel einen besondern Namen; oder, um es deutlicher auszudrücken, sie glaubten auf jeder Insel an ein besonderes höchstes Wesen, dem sie, über alle andere Gottheiten, den Rang zugeständen. Auf Tahiti und Eimeo sagen sie, der höchste Gott sey O-Ruahattu; auf Huaheine behaupten sie, es sey Tane; zu Raietea es sey O-Ru; auf O-Taha es sey Orra; zu Borabora er heiße Tautu; zu Maurua heißt er O-Tu; und auf Tabua-mannu (oder Sir Charles Saunders Eyland) wird er Taroa genennet. Die See wird ihrer Meynung nach von dreyzehn Göttern beherrscht. 1) Uruhaddu, 2) Tama-ui, 3) Ta-api, 4) O-Tuarionu, 5) Taniea, 6) Tahau-meonna, 7) Otah-mauwe, 8) O-Whai, 9) O-Whatta, 10) Tahua, 11) Ti-uteia, 12) O-Mahuru, 13) O-Whaddu. Aller dieser See-Gottheiten ohnerachtet, soll doch noch ein andrer, Namens U-marreo, die See erschaffen haben. Eben so ists mit der Sonne; diese soll von O-Mauwe einem mächtigen Gott, der die Erdbeben verursacht, erschaffen seyn, aber von einer andern Gottheit, Tutumo-hororirri bewohnt und regieret werden. Zu eben diesem Gott, der eine schöne menschliche Gestalt haben und mit Haaren versehen seyn soll, die ihm bis auf die Füße reichen, gehen, ihrer Meynung nach, die Verstorbenen, wohnen daselbst und schmausen Brodfrucht und Schweinefleisch, das nicht erst am Feuer gahr gemacht werden darf. Sie glauben auch, daß jeder Mensch ein besonderes Wesen in sich habe, welches nach dem Eindruck der Sinne handelt und aus einzelnen Begriffen Gedanken zusammensetzt[38]. Dies Wesen nennen sie Tih, so wie wir es Seele heißen; ihrer Vorstellung zufolge, bleibt es nach dem Tode übrig, und wohnt in den hölzernen Bildern, die um die Begräbnisse gestellt, und daher auch Tih genannt werden. Die Begriffe von einer künftigen Fortdauer und von der Verbindung zwischen Geist und Materie haben sich folglich bis in die entferntesten Inseln der Erde fortgepflanzt! Ob man aber auch von künftigen Strafen und Belohnungen hier etwas wisse? Das konnten wir, so wahrscheinlich mirs auch dünkt, dennoch nicht mit Fragen erforschen. Der Mond soll durch eine weibliche Gottheit erschaffen seyn. Diese heißt O-Hinna; sie regiert jenen Weltkörper und wohnt daselbst in den sichtbaren, wolken-ähnlichen Flecken dieses Planeten. Die Frauensleute pflegten oft ein kurzes Lied zu singen, welches auf die Verehrung jener Gottheit sich zu beziehen scheint; vielleicht schreiben sie derselben auch einen unmittelbaren Einfluß auf ihre Natur zu: Das Lied lautete also:
Te-Uwa no te malama
Te-Uwa te hinàrro.
Das ist:
Das Wölkchen in dem Monde
Das Wölkchen liebe ich!
Daß übrigens die tahitische Göttin des Mondes nicht die keusche Diana der Alten, sondern vielmehr die phönicische Astarte seyn müsse, werden meine Leser wohl nicht in Abrede seyn. Die Sterne sind durch eine Göttin hervorgebracht, welche Tetu-matarau genannt wird, und die Winde stehen unter der Bothmäßigkeit des Gottes Orri-Orri.
Außer diesen größern Gottheiten haben sie noch eine ansehnliche Menge von geringerem Range. Einige derselben sollen Unheil stiften und Leute im Schlafe tödten. Diese werden bey den vornehmsten Maraïs, oder steinernen Denkmälern, öffentlich durch den Tahowarahai, oder den Hohenpriester der Insel verehret. An die wohlthätigen Götter richtet man Gebethe, die aber nicht laut ausgesprochen, sondern bloß durch die Bewegung der Lippen angedeutet werden. Der Priester sieht dabey gen Himmel, und man glaubt, der Eatua oder Gott komme zu ihm herab und rede mit ihm, bleibe aber dem Volke unsichtbar, und werde nur ganz allein von dem Priester gehört und verstanden.
Die Opfer, welche den Göttern dieser Inseln dargebracht werden, bestehen in gahr gemachten Schweinen und Hühnern, wie auch allerhand Arten von andern Lebensmitteln. Die niedrigem, besonders aber die bösen Geister, werden blos durch eine Art von Gezisch verehrt. Einige derselben sollen des Nachts in die Häuser kommen und die Einwohner ums Leben bringen; andre sollen sich auf einer gewissen unbewohnten Insel, Namens Mannua, in Gestalt starker, großer Männer aufhalten, schrecklich funkelnde Augen haben und einen jeden verschlingen, der ihrer Küste zu nahe kömmt. Diese Fabel scheint indessen nicht sowohl zu ihrer Götterlehre zu gehören, als vielmehr eine Anspielung auf Menschenfresser zu seyn, deren es, wie ich oben schon bemerkt, vor undenklichen Zeiten, auf diesen Inseln mag gegeben haben.
Capitain Cook hat über die Religionsverfassung dieser Insulaner eine wichtige Entdeckung gemacht, davon mir aber bey unserm Aufenthalt in der Südsee nichts bekannt geworden. Ich will daher nicht Anstand nehmen, sie zum Besten meiner Leser, mit des Verfassers eignen Worten hier einzurücken:
„Da ich (sagt Capitain Cook) nicht ohne Grund vermuthete, daß die Tahitische Religion in manchen Fällen Menschen-Opfer vorschreibe, so gieng ich einmal mit Capitain Fourneaux nach einem Marai oder Begräbnißplatz in Matavaï, und nahm, wie ich bey ähnlichen Gelegenheiten immer zu thun pflegte, einen meiner Leute mit, der die Landessprache ziemlich gut verstand. Etliche Eingebohrne, darunter einer ein ganz gescheuter Mann zu seyn schien, folgten uns. Auf dem Platze stand ein Tupapau, oder Gerüst, worauf ein Todter, nebst einigen Speisen lag; welches alles meiner Wißbegierde zu statten zu kommen schien. Ich fing an, kurze Fragen zu thun; z. B. ob die Pisangs und andre Früchte, dem Eatua (der Gottheit) dargebracht wären? Ob man dem Eatua Schweine, Hunde, Hühner u. s. f. opferte? Auf alle diese Fragen wurde bejahend geantwortet. Nun fragte ich, ob man dem Eatua denn auch „Menschen“ opferte? Mein Tahitier antwortete gleich Taata-ino, d. i. böse Menschen würden geopfert, nachdem sie erst (Tiparrahaï) d. i. zu Tode geprügelt worden. Ich fragte weiter, ob man nicht auch zuweilen gute, rechtschaffne Leute auf diese Art umbrächte? Nein, nur Taata-ino. Werden auch Erihs jemals geopfert? Er antwortete, die haben ja Schweine, dem Eatua hinzugeben, und blieb bey seinem Taata-ino. Um gewisser zu seyn, verlangte ich noch zu erfahren, ob ein ehrlicher, unbescholtner Tautau, d. i. Kerl vom gemeinen Volk, der weder Schweine, noch Hunde, noch Hühner hat, dem Eatua geopfert würde? Ich bekam aber immer die erste Aussage zu hören, man opfere nur Bösewichter. Nach einigen andern Fragen, die ich noch an ihn that, glaubte ich endlich so viel verstanden zu haben, daß Menschen, für gewisse Übelthaten und Laster, den Göttern zum Opfer verurtheilt werden, wenn sie nemlich nicht im Stande sind, sich durch irgend etwas auszulösen oder loszukaufen, dergleichen Leute aber wohl nur in der niedrigsten Klasse des Volks anzutreffen sind.
„Der Mann, den ich hierüber befragte, gab sich Mühe, die ganze Ceremonie zu beschreiben; allein wir waren der Sprache noch nicht kundig genug, um ihn durchaus zu verstehen. Nachher habe ich von Omai erfahren, daß sie dem höchsten Wesen wirklich Menschen-Opfer darbringen. Seiner Aussage zufolge, kommt es blos auf den Hohenpriester an, wen er zum Opfer wählen will. Wenn das Volk versammelt ist, geht er allein in das Haus Gottes, und bleibt da eine Zeitlang. So bald er wieder heraustritt, erzählt er, daß er den großen Gott gesehn und gesprochen (ein Vorrecht, das dem Hohenpriester nur allein zusteht) und daß dieser einen Menschen zum Opfer verlangt habe. Er sagt ihnen hierauf namentlich, wen dies traurige Loos getroffen habe, vermuthlich aber fällt diese Wahl allemal auf jemand, der dem Priester gehäßig ist. Der wird dann sogleich erschlagen, und wenn es allenfalls nöthig seyn sollte, so wird der Priester wohl so viel Verschlagenheit besitzen, um dem Volk einzureden, der Kerl sey ein Bösewicht gewesen.“
Ich habe bey dieser Erzählung des Capitain Cook nichts zu erinnern, als daß der Ausdruck, der Hohepriester habe Gott gesehen, mit der Tahitischen Götterlehre nicht genau übereinstimmt, als wornach die Gottheit unsichtbar ist; doch mag wohl dieser Ausdruck nur nicht recht von ihm verstanden worden seyn. Übrigens stimmt diese Bemerkung über die Opfer sehr gut mit der Vermuthung überein, die ich weiter oben (Seite 62) geäußert habe, daß die Tahitier wohl ehemals Menschenfresser gewesen seyn können. Denn es ist bekannt, daß diese Art von Barbarey bey allen Nationen in den Gebrauch übergegangen sey, Menschen zu opfern, und daß sich diese gottesdienstliche Ceremonie, selbst bey zunehmender Cultur und Verbesserung der Sitten, noch lange erhalten hat. So opferten die Griechen, Carthaginenser und Römer, ihren Göttern noch immer Menschen, als ihre Cultur schon den höchsten Gipfel erreicht hatte.
Außer den Opfern sind den Gottheiten auch noch gewisse Pflanzen besonders geweyhet. Daher findet man z. B. den Casuarina-Baum, die Cocos-Palme und den Pisang oft neben die Marais gepflanzt. Eine Art von Cratæva, die Pfefferwurzel, der Hibiscus populneus, die Dracæna terminalis, und das Calophyllum finden sich eben daselbst und werden insgesammt als Friedens- und Freundschaftszeichen angesehen. Verschiedne Vögel, nemlich eine Reiger-Art, der Eisvogel und der Kukuk, sind gleichfalls der Gottheit geweyhet. Ich habe aber schon erwähnt, daß sie nicht von allen Leuten auf gleiche Weise in Ehren gehalten werden; auch ist zu merken, daß in den unterschiednen Inseln auch unterschiedne Arten von Vögeln für heilig geachtet werden.
Die Priester dieses Volkes bleiben Lebenslang in ihrem Amt, und ihre Würde ist erblich. Der Hohepriester jeder Insel ist allemal ein Erih, und hat den nächsten Rang nach dem Könige. Sie werden bey wichtigen Angelegenheiten zu Rathe gezogen, haben reichlichen Antheil an allen Herrlichkeiten des Landes, kurz, sie haben Mittel gefunden, sich nothwendig zu machen. Außer den Priestern giebt es noch in jedem District einen oder zween Lehrer, oder Tataorrero's, (dergleichen Tutawai einer war) welche sich auf die Theogenie und Cosmogenie verstehen und zu gewissen Zeiten dem Volke Unterricht darinn geben. Eben diese Leute sorgen auch dafür, daß die National-Kenntnisse von der Geographie, Astronomie und Zeitrechnung nicht verlohren gehen. Sie zählen vierzehn Monate und nennen solche, in folgender Ordnung, also: 1) O-Pororomua, 2) O-Pororo-murih, 3) Murehah, 4) Uhi-eiya, 5) O-Whirre-ammà, 6) Taowa, 7) O-Whirre-erre-erre, 8) O-Tearri, 9) Ote-tàï, 10) Warehu, 11) Wahau, 12) Pippirri, 13) E-Ununu, 14) Umannu. Die ersten sieben Monate zusammengenommen, heißen Uru oder die Brodfrucht-Zeit; wie sie aber die Monate berechnen, um genau ein Jahr daraus zu machen? das ist bis jetzt für uns noch ein Geheimniß. Fast sollte man auf die Vermuthung gerathen, daß einige, als z. B. der zweyte und siebende, Schalt-Monate seyn mögten, weil die Namen derselben eine besondre Ähnlichkeit mit dem ersten und fünften haben. Wenn dem also wäre, so würden sie jedesmal nach Verlauf eines gewissen Zeitraums eingeschoben werden müssen. Jeder Monat besteht aus neun und zwanzig Tagen; während der beyden letzten sagen sie, der Mond sey todt, weil er alsdenn nicht zu sehen ist. Hieraus folgt, daß sie den Anfang des Monats, nicht von der wahren Zeit der Conjunction, sondern von der ersten Erscheinung des Mondes anrechnen. Der fünf und zwanzigste ihres dreyzehnten Monates E-Ununu, traf auf unsern dritten Junius, als den Tag, da wir diese Nachricht einzogen.
Der tahitische Name eines Lehrers, Tahowa, wird auch denen beygelegt, welche sich auf die Heilkräfte solcher Kräuter verstehen, die hier zu Lande als Mittel gegen mancherley Krankheiten angewendet werden. Doch ist leicht zu erachten, daß diese Wissenschaft nur von geringem Umfange seyn könne, weil sie nur von wenig Krankheiten wissen, folglich auch nur wenig und sehr einfache Arzneymittel bedürfen.
Kaum war unser gelehrter Tutawai in seinem Unterricht so weit gekommen, als die Anker gelichtet wurden, und wir verließen diese Insel am 4ten Junius des Morgens um 10 Uhr. Der König von Raietea, Uuru, welchem der Eroberer O-Puni den Titel und die äußeren Vorzüge der königlichen Würde gelassen hatte, besuchte uns noch mit einigen seiner Verwandten, da wir eben im Begriff waren abzugehen. O-Rea war mit seiner Familie gleichfalls am Bord, und auch Maheine stellte sich mit den Seinigen ein, um Abschied zu nehmen. Der Auftritt war ungemein rührend. Die guten Leute weinten allerseits recht herzlich, am meisten aber der arme Maheine, der unter der Heftigkeit seines Schmerzes gleichsam zu erliegen schien. Er lief von einer Cajütte zur andern, und umarmete einen jeden, ohne ein Wort sprechen zu können. Sein schluchzendes Seufzen, seine Blicke und seine Thränen lassen sich nicht beschreiben. Als das Schiff endlich anfieng zu seegeln, mußte er sich von uns losreißen, und in sein Boot herabsteigen, doch blieb er, da alle seine Landsleute sich bereits niedergesetzt hatten, noch immer aufrecht stehen und sahe uns mit unverwandten Augen nach; endlich aber ließ er das Haupt sinken und verhüllte sein Gesicht in seine Kleidung. Wir waren schon weit über den Felsen-Rief hinaus, als er die Hände noch immer nach uns hinausstreckte, und das dauerte fort, bis man ihn nicht länger unterscheiden konnte.
So verließen wir denn ein liebenswürdiges Volk, welches bey allen seinen Unvollkommenheiten, vielleicht unschuldigem und reinem Herzens ist, als manche andre, die es in der Verfeinerung der Sitten weiter gebracht und bessern Unterricht genossen haben. Sie kennen die geselligen Tugenden und Pflichten und üben sie auch getreulich aus. Die Gutherzigkeit, welche der ehrliche Maheine bey jeder Gelegenheit bewies, ist ein ziemlich richtiger Maasstab, nach welchem sich der Character dieses Volkes überhaupt beurtheilen läßt. Wie oft habe ich gesehen, daß eine Menge von ihnen sich recht brüderlich in eine einzige Brodfrucht oder in ein Paar Cocos-Nüsse theilte, und daß sie mit den geringsten Portionen zufrieden waren, damit nur keiner leer ausgehen mögte! Auch schränkte sich diese hülfreiche Einträchtigkeit keinesweges auf bloße Kleinigkeiten ein; sondern so bereitwillig sie waren einander mit Lebensmitteln auszuhelfen, eben so gern und uneigennützig theilten sie einander auch Kleidungsstücke und Sachen von beträchtlicherem Werthe mit.
Selbst mit uns, die wir Fremdlinge in ihrem Lande waren, giengen sie auf das liebreichste um: Wenn wir aus den Booten ans Land, oder vom Ufer wieder in die Boote steigen wollten, so erboten sie sich jederzeit uns auf dem Rücken hinüber zu bringen, damit wir uns die Füße nicht naß machen sollten. Oft haben sie uns die Seltenheiten, die wir eingekauft, nachgetragen; und gemeiniglich waren sie auch gutwillig genug, ins Wasser zu gehen, um die Vögel herauszuholen, die wir geschossen hatten. Wenn uns Regenwetter überfiel oder wenn wir für Hitze und Müdigkeit oft nicht mehr fort konnten, so bathen sie uns, in ihren Hütten auszuruhen und bewirtheten uns mit ihren besten Vorräthen. Der gastfreye Hauswirth stand in solchen Fällen ganz bescheiden von fern und wollte nicht eher vor sich selbst etwas nehmen, als bis wir ihn ausdrücklich dazu einluden; andre von den Hausgenossen fächerten uns indeß mit Baumblättern oder buschigten Zweigen, Kühlung zu, und beym Abschiede wurden wir gemeiniglich in die Familie, nach Maasgabe unsers Alters, entweder als Vater, oder Bruder, oder als Söhne, aufgenommen. Dies thaten sie in der Meynung, daß unsre Officiers und alle die sich zu denselben hielten, auf eben solche Art untereinander verwandt seyn müßten, als die Befehlshaber und überhaupt die vornehmern Leute in allen Societäts-Inseln gleichfalls nur eine einzige Familie ausmachen. Dieser Irrthum verleitete sie auch Capitain Cook und meinen Vater für Brüder anzusehen, denn bey aller ihrer übrigen Fähigkeit sind sie doch nur schlechte Physionomiker. Was übrigens ihren Tugenden, als der Gastfreyheit, der Gutherzigkeit und der Uneigennützigkeit, einen doppelten Werth giebt, ist dieses, daß sie selbst sich derselben nicht einmal bewußt sind, und es gleichsam den Fremdlingen, die zu ihnen kommen, überlassen aus dankbarer Erkenntlichkeit, ihren Tugenden Denkmäler zu stiften.