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Orhan Pamuk:
In dem Dachgeschoss erzählte mir Kemal nur sehr wenig über die glücklichen Liebesstunden, die er im Frühjahr 1974 mit Füsun verbrachte. Für den Roman erschienen mir diese aber unerlässlich. Allein vom Küssen vermochte er unbefangen zu sprechen. Als wir eines Abends wieder bis zu später Stunde beim Raki saßen, sagte er, wie ähnlich es doch dem Küssen sei, wenn  eine Möwenmutter ihre gierigen Jungen füttere, und als alter Istanbuler, der auf Dächern und zwischen Schornsteinen schon zahllose Möwennester gesehen hatte, begriff ich auch sofort, wie er das meinte. Ein andermal äußerte er, das Küssen erinnere ihn daran, wie eine Möwe vorsichtig eine reife Feige aufpicke, worauf ich anregte, für das Museum könne doch bei einem zeitgenössischen Maler ein Bild von küssenden Möwen in Auftrag gegeben werden. „O je, bloß nichts von irgendeinem modernen Nachahmer“, erwiderte er. „Suchen Sie lieber was Altes aus einem Buch. Wo der Feigensaft herunterrinnt!“

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