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Krähe und der Friedhof

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Text in der Vitrine:
Aus Resat Ekrem Kocus Istanbul-Enzyklopädie und aus alten Büchern, die ich las, als würde ich Märchen lauschen, weiß ich, dass Gräber und Friedhofe seit jeher Teil des städtischen Alltagslebens sind. Die schiefen osmanischen Grabsteine, zwischen denen Kinder Fußball spielen und Leute sich in den Schatten legen, erinnern die Istanbuler an die Vergänglichkeit des Lebens, gleich den Vanitas-Stillleben, die man sich im Westen zu Hause an die Wand hängte. Die zwischen den Grabsteinen und den Zypressen herumflatternden Krähen wiederum weisen mir, der ich als Kind den Spitznamen „Krähe“ trug, das Bemühen um Modernität als vergeblich aus, als warnten sie mich vor einer Todsünde.

Aus dem Roman „Das Schwarze Buch“:
Galip blieb, als es dämmerte, unbeweglich und traurig in seinem Sessel sitzen. Eine neugierige Krähe vor dem Fenster blickte ihn seitwärts an, von der Hauptstraße kam der Lärm des freitagabendlichen Gedränges herauf. Ganz allmählich glitt er hinüber in einen glücklich machenden Schlummer. Es war dunkel im Zimmer, als er lange danach erwachte, doch er fühlte das Auge der Krähe vor dem Fenster genauso auf sich gerichtet wie Celals „Auge“ von der Zeitung her. Ohne Licht zu machen, schloss er langsam die Schubladen, fand mit gewohntem Griff seinen Mantel, zog ihn über und verließ das Büro. Alle Lampen waren gelöscht auf den dusteren Fluren des Gebäudes. Der Gehilfe aus der Teeküche spülte die Abtritte. Er spürte die Kalte, während er über die schneebedeckte Galata-Brücke lief.

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