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Sebastian Köpcke (*1967), Volker Weinhold (*1962) | Fotografen

 

Die Gebete »Müde bin ich, geh zur Ruh...« und das Vaterunser hörte der 1894 im niederschlesischen Bad Warmbrunn geborene und christlich erzogene Moritz als Kind allabendlich von seiner Mutter. Er besuchte die katholische Volksschule und lernte als 12- bis 15-Jähriger, auch auf Betreiben der Mutter, in der Holzschnitzschule Schnitzen, Modellieren und Zeichnen. Als gelernter Vermessungstechniker zog Schubert 1919 nach Mecklenburg, wo er unter anderem beim Landesvermessungsamt und als Ingenieur im Verkehrsministerium in Schwerin arbeitete.

Diese mit einem Gebet handbeschriebene Erbse ist ein eindrucksvolles Dokument religiös motivierter Volkskunst. Moritz Schubert schenkte dieses Objekt dem Museum im Herbst 1989. Ein großer Glücksfall für das Museum war auch der Brief, den der Verfertiger dem Objekt beilegte. Denn nicht nur die Erbse selbst ist außergewöhnlich; auch die Umstände der Entstehung dieses Kunstwerkes sind kurios.

Moritz Schubert arbeitete in den 1930er Jahren im Landesvermessungsamt Schwerin und stand dort neben seiner eigentlichen Arbeit in kollegialem Wettbewerb um das Beschriften kleinster Dinge. Angestachelt von einer abfälligen Bemerkung seines Vorgesetzten, bringt Schubert es dann zu einer Glanzleistung. Rückblickend schilderte er die Entstehungsgeschichte der Erbse in seinem Brief an den Museumsdirektor folgendermaßen:

Am 4.1.1933 war eine Besprechung zwischen Herrn Regierungsrat Timm und Herrn Dr. Knebusch. Ich wurde gerufen, und als ich Herrn Dr. Knebusch begrüßte, sagte er: »Ach, Sie sind wohl der Mann, der eine Erbse mit dem Vaterunser beschrieben hat«. Meine Antwort war »Nein, das bin ich nicht, aber das könnte ich auch machen.« Nun kam von Herrn Timm: »Ich glaube nicht, dass Sie das können.« [...] Am Abend desselben Tages bat ich meine Frau um eine kleine Erbse. Ich nahm meine Hosenklemme fürs Radfahren (diese hatten früher noch einen Schnapper zum Festhalten), da passte die Erbse rein und ließ sich nach allen Richtungen verstellen. Dann nahm ich mir eine meiner englischen, sehr spitzen Zeichenfedern, und machte in einem kleinen Fläschchen die chinesische Tusche etwas mit Spiritus dünner. Und schon ging‘s ohne Anstrengung los. In 1 ½ Stunden war die Erbse beschrieben. Als Lupe habe ich einen Fadenzähler für Textilien benutzt.

Am nächsten Tag zeigte ich die Erbse meinem Kollegen Leonhardt und er sorgte dafür, dass es bekannt wurde, und ich brauchte meinem Reg.-Verm.-Rat die Erbse gar nicht zeigen. Nun wollte mein Sohn unbedingt die Erbse seinem Gymnasiallehrer zeigen. Der hat gesagt, das wäre nicht so, das wäre wohl fotografisch gemacht. Jetzt kam es, dass die Mitschüler durchaus die Erbse sehen wollten, und durch das viele Anfassen und Runterfallen hat diese Erbse gelitten.

[...] Mein katholischer Glaube kam in Bewegung und ich erfuhr, dass meine liebe Schwester [...] zum evangelischen Glauben übergetreten war; und dann habe ich das auch gemacht, auch in Rücksicht auf meine evangelische Familie. Die seelische Umstellung im christlichen Glauben regte mich nun an, ein zweites Mal eine Erbse zu beschreiben. Diese ist zwar 1 mm größer, aber die Schrift ist besser zu lesen.

Etwa 25 Jahre lag die Erbse im Depot und blieb der Öffentlichkeit verborgen. Dann wurde sie Bestandteil der Dauerausstellung des Museums, wo sie jedoch schon aufgrund ihrer Abmessungen oft übersehen wird. Und sollten Gäste sie entdecken, ist es dennoch so gut wie unmöglich, das in der Objektbeschriftung behauptete, handgeschriebene Vaterunser mit bloßem Auge zu entziffern.

 

Daten des abgebildeten Objekts:

Moritz Schubert (1894-nach 1989) | Hersteller

MATERIAL & TECHNIK

Erbse, handbeschrieben

ABMESSUNGEN

H 0,85 x D 0,95 cm

MUSEUM

Museum für Sächsische Volkskunst

ORT, DATIERUNG

Schwerin, 1937

INVENTARNUMMER

E 2142

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