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Waldlandschaft im Schlehenkern

Sebastian Köpcke (*1967), Volker Weinhold (*1962) | Fotografen

 

Eine Walnuss bildete für den Mikroschnitzer Lothar Lauterbach nur den großen Rahmen für Winzigkleines. Denn in diese Nuss platzierte der Künstler einen Pfirsichkern, in den er wiederum einen Schlehenkern einbrachte. Dieser beinhaltet eine Waldlandschaft aus 14 Bäumen und – links und rechts im Vordergrund – zwei handgeschnitzte Pilzen (das Markenzeichen von Lauterbach).

Der Schnitzer Jahrgang 1929 war jedoch nicht nur für seine spektakulären Mikroschnitzereien bekannt. Er galt in seiner Heimatregion sowohl als weithin anerkannter Naturschützer als auch als ein erfahrener Hornissen- und Pilzexperte. Für seine langjährigen Verdienste als Naturschützer erhielt Lauterbach 2019 von der Lutherstadt Eisleben die Ehrennadel der Stadt.

Der Künstler war auch mehrfacher Rekordhalter. Dreimal schaffte er es in das Guinness Buch der Rekorde: 1998 mit der kleinsten Skisprungschanze; 1999 mit der kleinsten Waldlandschaft in einem Kirschkern und 2001 mit der kleinsten Waldlandschaft in einem Schlehdornkern.

Dass es das Objekt von Lothar Lauterbach überhaupt in die Sammlung des Museums geschafft hat, grenzt an ein Wunder, denn diese spektakuläre Schnitzerei ist nicht nur winzig klein, sie hat auch eine besondere Geschichte: Zunächst fertigte Lauterbach den inneren Schlehenkern mit Wald und Pilzen. Dieser winzige Kern sollte ihn in Atem halten. Gern zeigte er dem staunenden Publikum dieses Stück als Beispiel seiner Kunstfertigkeit, wenn er unterwegs war. Doch kleine Dinge gehen schnell verloren, wenn man nicht sehr aufpasst.

In der Adventszeit 2014 kam es, wie es kommen musste: Als Lauterbach in Eisleben auf einem Weihnachtsmarkt seine Erzeugnisse präsentierte, fiel ihm der Schlehenkern auf den Boden und blieb verschwunden. Erst beim abendlichen Zusammenpacken fand sich der Kern schließlich doch noch an: Er war unter dem Marktstand zwischen die Lamellen der Bodenmatte geraten, die die winterliche Kälte des Erdbodens abhalten sollte. Dieses Malheur sollte nicht das einzige bleiben. Noch ein zweites Mal suchte Lauterbach diesen Schlehenkern, der sein ganzer Stolz war. Dieses Mal kam ihm der Kern in Nordhausen abhanden, wo er seinen Stand auf einem Markt hatte. Alles Suchen blieb dort dieses Mal vergebens. Das verlorene Stück fand Lauterbach erst nach Tagen zu Hause inmitten seiner Auslage mit den übrigen Kunstwerken – der Kern war auf dem Markt unbemerkt dort hineingefallen.

Der Künstler übergab dem Museum 2015 sein Werk mit den fast entschuldigenden Worten »Kleiner bring‘ ich‘s nicht!« Lauterbach war über viele Jahre hinweg zu Gast im Museum für Sächsische Volkskunst. In der Advents- und Osterzeit reiste er für einige Tage aus Eisleben an und präsentierte im Museum seine Erzeugnisse – vielerlei winzige Landschaften, aber auch selbstgefertigten Schmuck aus diversen Naturalien.

Noch hochbetagt im Pflegeheim fertigte Lauterbach winzige Werke. Angesichts der kleinen Meisterwerke kaum zu glauben: Lauterbach, ein gelernter Orthopädie-Schuhmacher, war seit seiner Kindheit auf einem Auge nahezu blind.

 

Daten des abgebildeten Objekts:

Lothar Lauterbach (1929-2022) | Hersteller

MATERIAL & TECHNIK

Waldlandschaft Holz, geschnitzt, Walnuss, Pfirsichkern, Schlehenkern, Metall, geklebt

ABMESSUNGEN

geschlossen H 3 x B 3,8 x T 2,7 cm, Pfirsichkern H 2,7 x B 2,05 cm, Schlehenkern H 0,85 x B 1,25 cm

MUSEUM

Museum für Sächsische Volkskunst

ORT, DATIERUNG

Lutherstadt Eisleben, 2014

INVENTARNUMMER

G 11479

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