In der Natur, an einen Fels gelehnt, ein Buch lesen. Dem Inhalt nachsinnen, Gefühlen Raum geben. Sehnsucht, Melancholie. Das Mädchen erscheint wie die Stellvertreterin einer Epoche: Im ausgehenden 18. Jahrhundert feierten Kunst und Literatur den empfindsamen Menschen, der sich der Poesie und seinen Gefühlen hingibt. Goethes Roman Die Leiden des jungen Werthers, die Geschichte einer unglücklichen Liebe, wurde zum Kultbuch der Empfindsamkeit. Er bewegte eine ganze Generation – auch den jungen Caspar David Friedrich. Das Mädchen auf seiner Zeichnung könnte dem Roman entsprungen sein, oder ihn zumindest in Händen halten.
Darstellungen wie diese waren damals weit verbreitet – bis hin zum Meißener „Wertherporzellan“, das Sie hier gegenüber in einer Vitrine sehen können. Auch auf den anderen Blättern aus seinem Skizzenbuch griff Friedrich beliebte Sujets der Zeit auf: zwei Freundinnen in innigem Beisammensein, eine Frau, auf einem Felsen sitzend, den Kopf in die Hand gestützt. Letztere setzte Friedrich – ergänzt um ein Spinnennetz, Disteln und abgestorbene Bäume – als Holzschnitt um. Sie sehen ihn in der Vitrine unterhalb vor sich. Melancholische Motive erscheinen mehrfach in seinem Skizzenbuch. Vermutlich spiegelt sich in ihnen nicht nur das Zeitalter der Empfindsamkeit, sondern auch Friedrichs eigene Gefühlslage. Seine Gefühle in seiner Kunst auszudrücken wird für ihn immer wichtiger.
Die freien Flächen unter den Zeichnungen nutzte er für kleine Studien, skizzierte hier einen Tierkopf, dort einen Kuhrücken oder die Hinterbeine eines Huftieres. Letztere hat er auffällig parallel unter die Beine eines Mädchens gezeichnet. Blitzt hier bei aller Schwermut auch ein wenig Friedrichscher Humor auf?
Weitere Medien
- Material & Technik
- Feder in Braun, Pinsel in Braun, über Bleistift
- Museum
- Kupferstich-Kabinett
- Datierung
- 1801
- Inventarnummer
- C 1919-70