Else Gabriels Fotografie Der Daumen der Strafe zeigt eine kleine, fast beiläufige Geste – und doch ist sie kraftvoll: Die Künstlerin hat ihren eigenen Daumen mit einem ungewöhnlichen Eingriff markiert, die Haut um den Daumennagel mit Nadeln durchstochen und diesen Moment in einem Foto festgehalten. Es ist ein Bild, das zwischen Empfindsamkeit und Selbstbehauptung, zwischen Verletzlichkeit und Widerstand schwingt.
Else Gabriel war Teil der Gruppe Autoperforationsartisten. Gemeinsam entwickelten sie Performances, Fotografien und Videos – körpernah, experimentell, herausfordernd. Der eigene Körper wurde dabei zum zentralen Ausdrucksmittel: offen, exponiert, bisweilen ins Groteske übersteigert. Sie nutzten Materialien und Mittel, die auf den ersten Blick irritierten, jedoch nicht als bloße Schockelemente dienten. Vielmehr setzten sie diese ein, um mit Erwartungen zu brechen und sich Freiräume zu schaffen – abseits der „offiziellen“ Kunst der DDR.
Auch der Titel Der Daumen der Strafe spielt mit Mehrdeutigkeiten: Ist der durchbohrte Daumen ein Zeichen von Bestrafung – durch das System, durch andere oder durch die Künstlerin selbst? Oder ist er ein Symbol der Selbstermächtigung, ein Akt der Kontrolle über den eigenen Körper?
Die Fotografie steht exemplarisch für Gabriels künstlerischen Ansatz: präzise, direkt, körperlich erfahrbar, stets zwischen Intimität und Provokation. In einem Staat, der Konformität auch über den Körper und über ästhetische Vorgaben herstellte, wurde die Grenzüberschreitung zu einer Form der Befreiung. Das Spiel mit physischen Grenzen wurde zu einer künstlerischen Strategie, um Normen infrage zu stellen.
- Material & Technik
- S/W-Fotografie
- Abmessungen
- 30,4 x 24 cm
- Museum
- Kunstfonds
- Ort & Datierung
- 1986, Neuabzug 1999
- Inventarnummer
- 90/99