Marie: Der Studiensaal des Kupferstich-Kabinetts ist ein ganz besonderer Ort. Wenn ihr im Vorraum steht, befindet sich dieser Saal hinter den großen braunen Holztüren. Die Werke des Kabinetts werden in verschlossenen Schachteln aufbewahrt und nur hervorgeholt, wenn die Gäste danach fragen, oder wenn sie für eine Ausstellung im Kupferstich-Kabinett gezeigt werden sollen.
Drache: Ist das nicht umständlich?
Marie: Schon, aber dringend notwendig. Denn in diesem Kabinett wird etwas sehr Empfindliches gesammelt, aufbewahrt und gezeigt.
Drache: Kupferstiche?
Marie: (lacht) Ja, auch Kupferstiche. Aber empfindlich ist das Papier, auf dem sie gedruckt sind. Hier im Kabinett werden Papierkunstwerke gezeigt. Alle, die sie sehen wollen, sind herzlich eingeladen hereinzukommen. Dann bringen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Schachteln und dazu ein Paar Handschuhe an einen der Tische – um alles ganz vorsichtig anzuschauen. Für uns gibt es hier im Vorraum auch einen Tisch. Und darauf eine Schachtel mit einem Drachen. Wenn wir sie öffnen, können wir Faksimiles, also Kopien verschiedener Kunstwerke, entdecken. Dafür einfach die Handschuhe anziehen, eine Lupe nehmen und los geht’s. Denn besondere Werke brauchen eine besondere Handhabung.
Stephanie Buck: Willkommen im Kupferstich-Kabinett. Ich bin Stephanie Buck und habe euch ja schon ganz am Anfang gesagt, dass hier oben mein Arbeitsbereich liegt. Und gleich was zum Kupferstich. Das ist eine Drucktechnik. Anfangs haben die Menschen mit der Hand gemalt und geschrieben. Das war natürlich ziemlich mühsam. Doch als vor mehr als 500 Jahren der Buchdruck in Europa erfunden wurde, ging das Büchermachen auf einen Schlag schneller. Die Künstler dachten, was mit der Schrift geht, sollte doch auch mit Bildern gehen. Sie entwickelten zwei früh bekannte Drucktechniken weiter, den Holzschnitt und den Kupferstich. Die Blätter mit den merkwürdig ineinander verschlungenen Tieren sind Kupferstiche aus dieser ganz frühen Zeit.
Kind 1: Die sind schon über 500 Jahre alt?
Kind 3: Aber wieso sehe ich kein Kupfer?
Stephanie Buck: Weil du nur einen Abdruck auf Papier siehst. Die Künstlerin bzw. der Künstler ritzt mit einem spitzen Werkzeug Linien in eine Kupferplatte. So zeichnet sich ein Bild. Als nächstes wird dann die Farbe auf die Platte aufgetragen und wieder abgewischt. Dadurch bleibt sie nur noch in den Vertiefungen hängen. Danach wird Papier auf die bearbeitete Platte gelegt und beides unter eine schwere Druckerwalze geschoben. Die Farbe aus den Linien drückt sich ins Papier und fertig ist der Kupferstich!
Marie: (zögerlich) Aber was ist das für ein seltsames Bild? Was soll denn das sein, Tiere, die sich ineinander verbeißen?... – ist das vielleicht was aus dem Zirkus?
Kind 2: (aufgeregt) Sind das nicht Buchstaben? Guckt mal, die Tiere bilden ein O.
Marie: Oh, das ist ja lustig. Wer hatte denn diese Idee?
Stephanie Buck: Also das wissen wir nicht. Doch solche aus Tieren und Menschen zusammengefügten Buchstaben gab es damals schon länger. Sie tauchten erstmals in den handgeschriebenen Büchern der Klöster auf.
Marie: Was sind denn das für Tiere? Hirsche, ein Hund, ein Tier mit lockigem Fell – was ist das denn?
Stephanie Buck: Hm. Das kann ich leider auch nicht genau sagen. Aber wegen der Punkte tippe ich mal auf einen Leoparden oder Geparden. Damals gab es weder Zoos, noch Flugzeuge. Niemand konnte mal einfach schnell auf andere Kontinente, wie zum Beispiel Afrika, reisen. Wie groß Afrika war und wie es dort aussah, war in Europa lange ein Rätsel. Von Raubkatzen und anderen wilden Tieren hatten die meisten nur gehört. Der Meister, der dieses Kunstwerk geschaffen hat, interessierte sich sehr für das Aussehen dieser Tiere – und das, obwohl er sie nicht genau kannte. Seine Raubkatzen werden in diesem Buchstaben richtig lebendig. Findet ihr nicht?
Kind 1: Und warum beißen die sich?
Stephanie Buck: Wir nehmen an, dass in jedem Buchstaben eine kleine Geschichte versteckt ist. Oder ein Sprichwort: Hier passt z. B., „die Großen fressen die Kleinen“. Wobei Hirsche nicht klein sind. Aber sie werden von Hunden gejagt und die Hunde wiederum von den Geparden.
- Ort & Datierung
- um 1466/1467
- Material & Technik
- Kupferstich
- Abmessungen
- 143 x 112 mm (Blatt; Plattenrand beschnitten)
- Museum
- Kupferstich-Kabinett
- Inventarnummer
- A 422