Dieses Bildnis ist bezaubernd schön. Aber es stellt sich die Frage, wen wir hier sehen. Auf den ersten Blick scheint es ein Porträt zu sein, der Fähnchenfächer gehörte zu den Top-Accessoires in Venedig. Doch meint das Bild keine konkrete Person, sondern die weibliche Schönheit an und für sich. Betrachten Sie Tizians koloristisches Können.
Er entwickelte das Bild ganz aus der Farbe Weiß heraus, durchsetzt mit Akzenten in Gold und Rot. Ungemein sinnlich sind die Materialien wie Seide, Perlmutt und Gold geschildert.
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Lange Zeit galt die „Dame in Weiß“ als Geliebte Tizians. So war sie 1663 im Inventar der Sammlung in Modena aufgeführt. Der Kunstkritiker Francesco Scannelli, der das Gemälde für eines der besten Werke des Künstlers hielt, nannte es das „überaus wahre Bild von Tizians Geliebter“. Im ersten Katalog der Königlichen Gemäldegalerie in Dresden von 1765 war es als „Porträt der Mätresse von Tizian“ verzeichnet. Erst 1826 wurde diese Einordnung in Frage gestellt, zwölf Jahre später verzichtete man in Dresden ganz auf den Hinweis.
Als sich die Kunstgeschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als historische Wissenschaft etablierte, begann man auch, das Geheimnis um die Schöne zu erforschen. Man glaubte nun, Tizian habe hier seine Tochter Lavinia abgebildet. Seine Aussage, dass die Dargestellte das Teuerste und Liebste sei, was er habe, spricht auf jeden Fall eher für eine Tochter als für eine Geliebte. Zwischenzeitlich glaubte man eine Weile sogar, das Bild würde Lavinia als Neuvermählte zeigen. Allerdings hat die „Dame in Weiß“ keine Ähnlichkeit mit dem Tizian in unserer Gemäldegalerie, das gemeinhin als Porträt von Lavinia angesehen wird.
Aber erst Hans Posse, ab 1910 Direktor der Gemäldegalerie, wies diese Identifizierung als Irrtum zurück und gab dem Bild den neuen Titel „Dame in Weiß“. Charles Hope, ein englischer Kunsthistoriker, brachte schließlich den Namen Emilia ins Spiel. Sie war eine Tochter Tizians und vermutlich unehelich geboren. Von ihr gibt es allerdings kein verbürgtes Porträt, mit dem man das Dresdner Gemälde vergleichen könnte.
Wer auch immer das Vorbild war, einiges spricht für die Vermutung, Tizian habe hier das Ideal der „bella donna veneziana“, der schönen venezianischen Frau dargestellt. Die Tradition dieses Motives weiblicher Idealbildnisse war von Giorgione in Venedig zu Beginn des 16. Jahrhunderts eingeführt worden und erfreute sich in der Lagunenstadt großer Beliebtheit.
Die „ideale schöne Venezianerin“, das macht dieses Gemälde deutlich, gehörte zur Oberschicht, sie trug kostbare Kleidung und edlen Schmuck. Und so inszenierte Tizian seine „Dame in Weiß“ vor einem diffusen dunklen Hintergrund, vor dem sie sich leuchtend abhebt. Nichts lenkt von ihr ab.
Alles an dieser Frau ist aufeinander abgestimmt: das Weiß der Perlen auf das prachtvolle Kleid aus glänzendem Seidenatlas, der goldene Schmuck und der extravagante Fähnchenfächer auf das Haar, das sich die Damen damals hell färben ließen, um ihnen die Farbe von Gold zu verleihen. Auch die Fächer waren ein überaus luxuriöses Accessoire. Der Stiel ist mit Silber belegt und diagonal mit Golddraht umwickelt. In der Mitte jeder Raute sitzt ein Schmuckstein.
Jedes Detail auf diesem Gemälde erzählt von Tizians malerischer Raffinesse. Fast glaubt man, den schweren Stoff rascheln zu hören und die Perlen berühren zu können. Zu dem meisterhaften Porträtisten, der Kaiser, Dogen, Fürsten, Gelehrte und Kaufleute auf die Leinwand bannen durfte, machte ihn aber auch seine Fähigkeit, unter die Oberfläche zu blicken und etwas vom Wesen der Dargestellten zu erfassen.
- Material & Technik
- Öl auf Leinwand
- Museum
- Gemäldegalerie Alte Meister
- Datierung
- Um 1561
- Inventarnummer
- Gal.-Nr. 170